Vor gar nicht mal allzu langer Zeit hatte ich die Idee, mit meinen nunmehr 30 Jahren nochmal ein Studium anzufangen. Warum ich auf diese Idee gekommen bin? Ein bisschen lag es vielleicht daran, dass ich das Studieren an sich immer gerne gemocht habe.
Das Ende des Studiums war wie eine Trennung
Ich war richtig traurig, als sich mein Studium der Deutschen Literaturen dem Ende zuneigte. Das fühlte sich für mich damals an wie Schluss machen. Oder verlassen werden.
Mein Vater wollte immer, dass meine Schwester und ich BWL studieren, eine kaufmännische Ausbildung machen – irgendwas, das er versteht, sprich: irgendwas mit Zahlen.
Auf der anderen Seite dieser Idee stand mein Vater, dessen unstillbarer Wunsch nach Absicherung seiner beiden Töchter sich nie so ganz mit meiner ersten Studienwahl hat vereinbaren lassen. Er wollte immer, dass meine Schwester und ich BWL studieren, eine kaufmännische Ausbildung machen – irgendwas, das er versteht, sprich: irgendwas mit Zahlen. Und wenn es schon etwas mit Sprache sein muss, dann doch wenigstens Jura, damit wir nachher nicht am Hungertuch nagen. Sein Wunsch blieb bisher ungehört: Meine Schwester ist Biochemikerin, genauer gesagt: Doktorin der Biochemie – immerhin!
Und ich bin das, was er leidenschaftlich gerne in die Suchfunktion bei Stepstone und indeed eingibt, um doch noch bessere Jobideen für mich zu finden als das, was ich momentan mache. Ich bin für ihn “Germanist”. Nichtmal das “Voll-” vor dem “Germanist” (immerhin habe ich einen Master-Abschluss) oder die genderspezifische Endung “-in” am Ende des Wortes gönnt er mir bei seiner Recherche. (Danke Papa, ich liebe dich trotzdem und ich weiss, du liebst mich auch.)
Nichtmal das “Voll-” vor dem “Germanist” oder die genderspezifische Endung “-in” am Ende des Wortes gönnt er mir bei seiner Recherche.
Also, die Idee nochmal zu studieren. Kein schlechter Plan, mochte ich. Genauso wie die Idee, kurz nach Beendigung meines Masterstudiums noch etwas Zeit an der Uni zu verbringen und ein Promotionsprojekt zu beginnen. Oder jetzt, wo ich mich zuhause aufhalte, könnte ich ja auch eine meiner fünf Buchideen realisieren. Oder zumindest ein Konzept schreiben. Ja geil, auf jeden Fall machen! Jetzt ist die Zeit, wenn nicht jetzt, wann dann?
Jetzt ist die Zeit, seine Ideen zu realisieren
Anschließend fällt mir aber immer auf, dass damit ja Elan, Arbeit und Eigeninitiative und alledem voran ein Wille zur Aktivität einhergeht und dann… überkommt mich Müdigkeit. Und der Wunsch, mal ein Päuschen zu machen – mich hinzulegen, lange. Und dieser Wunsch ist meistens nicht unbedingt stärker, aber eben einfacher durchzuführen. Und einfach ist für den Moment immer sehr angenehm. Will ich diese Dinge denn überhaupt wirklich? Oder sollte ich sie nur wollen, weil meine Umwelt will, dass ich sie will – mindestens mein Vater?
Warum geht mir die Ambition, die andere offensichtlich haben und immer hatten, so komplett ab? Ich meine damit auch und vor allen Dingen den Anspruch, Dinge nicht nur zu erreichen – sondern sie vor allem auch erreichen zu wollen.
Das Ziel kann ich mir super vorstellen, warum nicht? Mir fehlt nur das Dazwischen. Das “Erreichen wollen”.
Nicht nur den Weg zu gehen, sondern erstmal dahin zu kommen, diesen Weg auch gehen zu wollen? Denn das Ziel kann ich mir super vorstellen, warum nicht? Mir fehlt nur das Dazwischen. Das “Erreichen wollen” – die Ambition. Ich wäre gerne ambitioniert. Ich will wollen, aber irgendwie will ich nicht. Zumindest nicht genug. Oder vielleicht sehe ich auch die Notwendigkeit einfach nicht.
Gleichzeitig sehe ich aber auch, dass es den meisten nicht genügt, genügsam zu sein. Muss das so sein? Muss ich mehr wollen? Oder reicht es, dass ich weiß, dass ich diese Dinge erreichen könnte – wenn ich wollte?
Headerfoto: Pim Chu on Unsplash („Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!