So ist es wirklich, ein Callgirl zu sein


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Aufgewachsen im ländlichen Kalifornien, hatte ich schon als Mädchen ungerade Zähne, eine Dauerwelle und den Komplex, dass ich zu klein sei. Skandalträchtige Talkshows waren meine Flucht aus dem Alltag und machten mich nebenbei mit einem ganz neuen Typ Frau bekannt. Alles an ihr war elegant: die Kleidung, die Gesten, das Haar. Männer liebten sie. So sehr, dass sie sie dafür bezahlten, mit ihnen um die Welt zu reisen.

Dieser Typ Frau war ein High Class Callgirl und ich war sofort von ihr verzaubert. Viel wichtiger noch: Ich war inspiriert.

Bis ich meine Jungfräulichkeit verlor, hatte ich allerdings keine Ahnung, wie sehr ich Sex lieben würde.

Bis ich meine Jungfräulichkeit verlor, hatte ich allerdings keine Ahnung, wie sehr ich Sex lieben würde. Damals war ich bereits Studentin in Manhattan und litt noch immer unter meinem Minderwertigkeitskomplex. Aber durch Sex fühlte ich mich plötzlich begehrt, gebraucht und geschätzt. Es war kraftvoll und berauschend.

Als meine finanziellen Ressourcen fürs Studium dann irgendwann erschöpft waren, hatte ich endlich einen legitimen Grund, in die Sex-Arbeitswelt einzutreten. Also beschloss ich Stripperin zu werden.

Ich genoss es, oben ohne zu tanzen. Das Theater, die extravaganten Outfits, die glamourösen Frisuren, das Make-up und vor allem auch die Möglichkeit, mich mit der Schönheit meines Körpers auseinanderzusetzen. Eine Frau zu sein machte auf einmal viel mehr Spaß und je besser ich mich zu bewegen wusste, desto mehr wurde der Sex zum Vergnügen.

Die späten Arbeitszeiten, die verrauchten Bars und die wiederkehrenden, einschläfernden Gespräche mit den Kunden laugten mich allerdings schnell aus, weshalb ich beschloss, die Spätschichten gegen einen regulären Bürojob einzutauschen. Mit der neuen Arbeit konnte ich aber nur wenig anfangen. Obwohl ich für die höchsten Führungskräfte tätig war, ließ mich der Job abstumpfen. Also erinnerte ich mich wieder an jene schönen Frauen, die ich als Kind im Fernsehen gesehen hatte, und träumte von einem völlig anderen Leben.

Die späten Arbeitszeiten, die verrauchten Bars laugten mich allerdings schnell aus, weshalb ich beschloss, die Spätschichten gegen einen regulären Bürojob einzutauschen.

Mein Interesse an dem Thema führte mich in die Praxis eines scharfsinnigen Psychiaters. Er war Franzose und sehr offen. Wir sprachen über die alte Welt der Kurtisanen (und die der moderne Hostessen), die mehrere Männer gleichzeitig jonglierten und mit ihnen die Welt bereisten. Dabei wurden sie für ihre Weiblichkeit, ihre Schönheit und ihr Talent geschätzt, den Männern ein unmittelbares Wohlgefühl zu bescheren.

Die Vorstellung, dass ein Mann seine Begeisterung statt mit leeren Versprechungen, wie ich es im wahren Leben so oft erfahren hatte, in Form von großzügiger und greifbarer finanzieller Unterstützung ausdrückt, empfand ich als ansprechend. Mein Therapeut schlussfolgerte, ich würde an einer Art Berufsneurose leiden. „Lebe es aus!“, war sein Rat, wenn auch nur um das Verlangen ein für alle Mal zu stillen und mit der Sache abzuschließen.

So fand ich mich eines Nachts in einem Bordell in Manhattan wieder. Ich hatte beschlossen, den Schritt zu wagen und mich als Edelprostituierte anzubieten. Kein Dilettieren, kein kurzes Eintauchen. Ich wollte mich ernsthaft darauf einlassen, den Beruf erlernen und – mehr noch – ihn zu meiner Berufung machen. Mit einer langen seidenen Robe, delikaten Perlen und Kitten Heels stand ich neben all den großen (und neben mir noch größer wirkenden), schlanken Mädchen in ihren verführerischen Outfits – und ragte heraus.

Was immer du anzubieten hast, setze es für dich ein!

Eingeschüchtert durch meine flache Brust und meine bescheidene Größe redete ich mir anfangs ein, dass ich nie würde tun können, was sie taten. Aber als ein Mädchen fragte, warum ich mein „Nachtgewand“ tragen dürfe, antwortete unsere Bordellmutter: „Weil es ganz einfach zu ihr passt!“

Das war der Moment, in dem ich eine Lektion fürs Leben lernte: Was immer du anzubieten hast, setze es für dich ein!

Ich muss mich zuerst mir selbst widmen, bevor ich mich auf physischer, mentaler und spiritueller Ebene um einen Mann kümmern kann.

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Übergewichtig? Nein. Du bist saftig und kurvig (auch als üppiges Callgirl hast du üppige Karrierechancen, wenn du dich nur richtig vermarktest). Oder geht dein Look eher in Richtung Gothic mit dunklem Haar und Tätowierungen? Irgendwo dort draußen ist ein Mann, der darauf wartet, genau dich mit seinem Geld zu ehren. Eine graue Maus mit akademischem Abschluss, Bleistiftrock und einer Brille? Irgendwo in dir steckt ein freches Lächeln.

Nimm dich und deinen Look an, perfektioniere ihn und arbeite damit! Dein Telefon wird gar nicht mehr aufhören zu klingeln.

Nimm dich und deinen Look an, perfektioniere ihn und arbeite damit! Dein Telefon wird gar nicht mehr aufhören zu klingeln.

Und ich? Ich war nie klein, ich war zierlich. Ich war nicht unschuldig, ich war mädchenhaft. Ich habe gelernt, meine Besonderheit zu lieben und zu feiern. Es gibt keine Vorgabe für das Ideal von Schönheit und Charakter. Männer, die bezahlen (und auch solche, die es nicht tun), wollen die Gesellschaft einer authentischen, unabhängigen Frau, die sich selbst in ihrer Gänze zelebriert.

Als ich das endlich verstanden hatte, ist mein Selbstbewusstsein explodiert – und damit auch meine Karriere. Bald darauf verließ ich das Bordell und machte mich selbstständig. Ich arbeitete von meiner Wohnung aus und habe mich sowohl auf die „Girlfriend Experience“ spezialisiert als auch auf die individuelle Begleitung meiner Kunden, ob für einen Abend oder eine ganze Weltreise.

Wenn es mein Beruf ist, mich um andere zu kümmern, musste ich mich zuallererst um mich kümmern – und zwar physisch wie psychisch.

Um diese Art der Gesellschaft anbieten zu können, musste es vor allem mir selbst gut gehen. Ich musste lernen, einfühlsamer, taktvoller, diplomatischer und nicht zuletzt gütiger zu werden. Wenn es mein Beruf ist, mich um andere zu kümmern, musste ich mich zuallererst um mich kümmern – und zwar physisch wie psychisch. Diese hohen Ansprüche schulten meine Selbstdisziplin und lehrten mich, meine Emotionen besser zu kontrollieren. Negative Gedanken sind Unkraut auf dem Boden, der eigentlich Positives für dich und deine Kunden hervorbringen soll.

Als ich meine Sorgen endlich im Griff hatte, verschwanden sie allmählich ganz. Das half mir wiederum meinen Fokus mehr auf meine Kunden zu legen. Und obwohl man mitunter Gefahr zu laufen scheint, sich von ihren Bedürfnissen und Erwartungen auszehren zu lassen, gibt es doch so viel mehr Raum zur Erfüllung. Vielen der Männer, die zu mir kamen, ging es nicht um Sex. Sie waren selbst gestresst, unsicher, unausgeglichen. Wenn man sich das vor Augen hält, wächst die Tätigkeit über die einer bloßen „Transaktion“ hinaus.

Und nur meine Arbeit als Callgirl hat mir die Zeit, das Geld und die Erfahrungen beschert, die ich brauchte, um zu schreiben – und das tue ich jetzt.

Was mich meine Zeit als Callgirl gelehrt hat, ist die Erkenntnis, dass ich mich zuerst mir selbst widmen muss, bevor ich mich auf physischer, mentaler und spiritueller Ebene um einen Mann kümmern kann. Nur so habe ich etwas Wertvolles (und Unbezahlbares), das ich teilen kann. Und nur meine Arbeit als Callgirl hat mir die Zeit, das Geld und die Erfahrungen beschert, die ich brauchte, um zu schreiben – und das tue ich jetzt. Ich habe eine Reihe von Erotikromanen geschrieben („The Spicy Secrets of a Jet-Set Temptress“) – etwas, dass ich mir ohne die als Callgirl erarbeitete Disziplin niemals zugetraut hätte.

Heutzutage sehe ich die Arbeit als Callgirl als eine helfende, heilende und unterhaltende Tätigkeit, und zwar nicht nur für mich, sondern auch für meine Kunden. Ja, ich habe für Geld gearbeitet und ja, ich habe jedes einzelne Geschenk und jedes Trinkgeld gerne angenommen, aber ich musste genauso hart für dieses Leben arbeiten, weil es eben mit dem Job einhergeht. Es hat mich an einen besseren Ort gebracht, an einen Ort, an dem ich meine Einzigartigkeit erkennen und mir zu eigen machen und sogar kultivieren konnte. Ich war ein Callgirl, aber nicht nur fürs Geld.

Ich war ein Callgirl, aber nicht nur fürs Geld.

Lantana Bleu ist eine ehemalige Edelprostituierte und Autorin der „The Spicy Secrets of a Jet-Set Tempress“-Serie von Erotikromanen. Einen tieferen Einblick in diese Arbeitswelt bietet auch die Serie „The Girlfriend Experience“ des US-amerikanischen Pay-TV-Senders STARZ. Die Serie begleitet die Jurastudentin Christine Reade, die sich von der Welt der High-Class-Callgirls angezogen fühlt.

Headerfoto: Sharon McCutcheon via Unsplash. („Körperliches“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

Text: Lantana Bleu.

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