Nach dem Sex soll ich pinkeln gehen, habe ich gelernt. Um Bakterien loszuwerden, mich wieder ein bisschen frisch zu machen oder um das manchmal doch etwas ungelenke Kuscheln mit dem One-Night-Stand zu vermeiden. Wie hilfreich dieser Tipp auch immer sein mag, meistens verspüre ich nach kürzerer oder längerer Bett-Action ohnehin diesen anderen Ruf der Natur.
Mist, in dieser Wohnung liegt die Toilette in Hörweite.
Also wird vom Bett aus nach meinem Höschen, Top, Socke oder was auch immer gegen kalte Badezimmer hilft, geangelt, hineingeschlüpft und los. Nur um im Flur festzustellen: Mist. In dieser Wohnung liegt die Toilette echt ziemlich nah am soeben verlassenen Schlafzimmer. Will sagen, in Hörweite.
Beim Pinkeln geht’s ja noch (mittlerweile). Aber der Gedanke daran, die Toilettengeräusche fahren zu lassen, die Nummer zwei so mit sich bringt… Und das dann mit meinem Date als Publikum?! Not my kind of Pottcast. Seltsamerweise ist mir wenig peinlicher als die Vorstellung, vor meinem Date zu furzen oder das verräterische Plätschern und Plumpsen ertönen zu lassen, das davon zeugt, dass auch ich ein vollkommen normal stoffwechselnder Mensch bin.
Wieso verspüre ich trotzdem den female urge, um jeden Preis zu verschleiern, dass auch ich kacken muss?
Ich habe aber eine Verdauung, das ist Fakt. Alle anderen müssen es auch wissen. Wieso verspüre ich dann trotzdem den female urge, um jeden Preis zu verschleiern, dass auch ich kacken muss? Der Witz dabei ist, dass es mir vor allem vor Leuten unangenehm ist, mit denen ich gerne (weiter) intim involviert sein möchte. Wer oder was hat so dermaßen tief in mein Hirn eingestanzt, dass Stuhlgang-Geräuschkulisse und Sexyness sich unbedingt ausschließen?
Wer kackt schon Rosenblätter?
Ist das so ein „bitte betrachte mich als weiblich und zart“-Komplex und ich leide an dieser Stelle einfach noch unter dem hart patriarchalen Eindruck, dass ich mir dafür nicht einmal basale Körperfunktionen zugestehen lassen kann? Vielleicht ist es mit der Funktion der Vulva und des Hinterns genauso wie mit der „vorgesehenen“ Funktion von Brüsten: Als sexy werden diese Körperteile nur interpretiert, wenn die biologischen Funktionen nicht stattfinden, also ausgeblendet werden können. Solange sie schön anzusehen sind, haben sie ihre Daseinsberechtigung. Alles andere wird als eklig oder bestenfalls als Fetisch abgestraft.
Als sexy werden Körperteile nur interpretiert, wenn die biologischen Funktionen nicht stattfinden, also ausgeblendet werden können.
Aber sobald diese Möpse in der Öffentlichkeit ein Kind füttern, dann ist die Empörung groß. Also vielleicht kein Wunder, dass der Arsch am liebsten stumm und inaktiv gesehen wird. Alles andere wäre ja profan und stört nur die Romantik. Das nimmt zuweilen bei manchen Leute solche großen Schamausmaße an, dass sie lieber über Stunden oder Tage quälende Bauchschmerzen in Kauf nehmen, als einfach auf die Toilette zu verschwinden, um diesen selbstgemachten Problemen vorzubeugen. Und das bloß, weil sie sich in akustischer Nähe zu ihrem love interest befinden.
Wenn ich bei einem Date übernachte, habe ich Strategien am Start, um mich möglichst stummgeschaltet zu erleichtern.
Bitte sagt mir, ich bin nicht alleine damit. Bitte sagt mir auch, ich bin nicht die Einzige, die erstmal (fast gänzlich) erleichtert auf die Toilette geht, sobald das Date die Wohnung und damit die Hörweite verlassen hat. Wobei zum Pinkel-Plätschern kann ich mich heute glücklicherweise überwinden. Aber eine laute Verdauung? Hörbarer Horror. Das geht bei mir sogar so weit, dass ich, wenn ich bei einem Date übernachte, Strategien am Start habe, um mich möglichst stummgeschaltet zu erleichtern. Ja, gut, weil ihr es seid, teile ich eine mit euch.
Toiletten-Tango tanzen
Ich öffne meine Augen in ein dunkles Zimmer hinein. Neben mir im Bett liegt mein Date von letzter Nacht. Nur ist diese Nacht noch nicht ganz vorbei, denn ich bin zur Übernachtung eingeladen worden. Nett eigentlich, irgendwie zutraulich und vielleicht sogar ein klitzekleines bisschen romantisch. Wäre da nicht eine schlechte kulinarische Entscheidung, die am Vorabend von mir getroffen worden war. Geschmacklich gesehen ein voller Erfolg, nicht falsch verstehen. Aber in logistischer Hinsicht weiß ich schon wenige Momente nach dem nächtlichen Erwachen nicht mehr, wohin mit mir – außer am liebsten einmal länger auf die Toilette.
Keine Ahnung, was genau das Donnerwetter in meiner Magen-Darm-Gegend auslöst, aber es wird immer deutlicher spürbar, dass es dort nicht viel länger bleiben kann.
Oder sind es doch nur Blähungen, die ich da verspüre? Keine Ahnung, was genau das Donnerwetter in meiner Magen-Darm-Gegend auslöst, aber es wird immer deutlicher spürbar, dass es dort nicht viel länger bleiben kann. Ganz egal, ob in gasförmigem oder festem Aggregatzustand. Doch direkt aufzustehen und die Toilette aufzusuchen ist ein riskantes Unterfangen. Könnte es doch schlafende Hunde wecken, von denen ich in dem Moment ja annehme, dass sie mich und meine Toilettengeräusche im Traumland nicht wahrnehmen können.
Also entscheide ich mich, erstmal zu testen, ob ich auch ohne großen Aufstand (schließlich bin ich auch noch weit weg vom Wachzustand) schon etwas heiße Luft ablassen kann. Ein letztes prüfendes Horchen zur Seite, ob meine Bettbegleitung auch tatsächlich noch tief und regelmäßig atmet? Okay, safe! Also drehe ich mich vorsichtig auf die Seite, fasse mit einer Hand nach meinem Hintern, um die nun oben liegende Backe etwas anzuheben und entlasse ein möglichst kontrolliertes Lüftchen. Hat akustisch etwas von diskret Luft verlierendem Fahrradreifen.
Viel lieber würde ich natürlich diese übertriebene Zurückhaltung loswerden, was das Verursachen von Toilettengeräuschen oder hörbarer Verdauung bei Dates anbelangt.
Wenn das erleichtert…äh erledigt ist, schnell die Decke um meine Hüfte wickeln, um etwaige Geruchsentwicklung zu verschleiern und dann großes Aufatmen! Also… nach ein paar Momenten, in denen sich der Furz verzogen hat und mein Date immer noch nicht aus dem Dornröschenschlaf erwacht ist.
Voila, das war mein Tipp, um wenigstens nachts unbemerkt etwas Dampf abzulassen. Viel lieber würde ich natürlich diese übertriebene – nennen wir es – Zurückhaltung loswerden, was das Verursachen von Toilettengeräuschen oder hörbarer Verdauung bei Dates anbelangt.
Sexy, sexy Körperfunktionen – Ein Widerspruch?
Wie gesagt, wenigstens die Scham davor, dass man mich pinkeln hört, habe ich ja bereits auf ein Minimum reduziert. Leider kann ich nicht mehr genau nachvollziehen, wie ich das geschafft habe. Vermutlich hatte es viel damit zu tun, dass ich im Laufe meines aktiven Sexlebens mehr Menschen begegnet bin, die mir Rückversicherung gegeben haben.
Mein Sexappeal und meine Version von Weiblichkeit werden nicht dadurch unterminiert, dass ich die vorprogrammierten Funktionen meines Körpers auch nutze.
Mir wurde die Erfahrung ermöglicht, dass mein Sexappeal und meine Version von Weiblichkeit nicht dadurch unterminiert werden, dass ich die vorprogrammierten Funktionen meines Körpers auch nutze. Dass ich mich deswegen nicht zu schämen brauche. Dass Körperflüssigkeiten wie Menstruationsblut, Squirting-Flüssigkeit, Ejakulat, Reste von Ausfluss am Morgen oder auch Kot am Kondom nach Analsex Dinge sind, die man eben einkauft, wenn man Sex mit einer anderen Person haben will. Dinge, die man akzeptieren und antizipieren muss, die man nicht einmal schräg anzugucken hat und manchmal sogar willkommen heißt, wenn man vögeln möchte.
Sex an sich ist niemals steril. Er ist körperlich und Körperliches ist nicht dazu gemacht, gänzlich ohne Flüssigkeiten vonstatten zu gehen.
Ich meine, gerade Analsex! Natürlich ist das keine per se „dreckige“ Praktik. Aber Sex an sich (außer der rein mentale vielleicht) ist niemals steril. Er ist körperlich und Körperliches ist nicht dazu gemacht, steril zu sein oder gänzlich ohne Flüssigkeiten vonstatten zu gehen. Akzeptanz von meinen Sexpartner*innen zu erfahren, wird nicht ganz ausreichen, unterstützt mich aber stark darin, mir auch selbst mehr Akzeptanz entgegen zu bringen.
Kacken sollte weder Kult noch Tabu sein
Ich will hier im Übrigen nicht dazu aufrufen, dass Kacken, Furzgeräusche oder explizite Bierschissgeschichten besonders gefeiert oder en detail besprochen werden sollten. Auch nicht, wenn sie dezidiert von Frauen oder weiblich gelesenen Personen stammen. Ich habe selbst noch nie einen besonders ausgeprägten Fäkalhumor oder ein starkes Interesse an Ausscheidungen besessen, das über gesundheitliche Aspekte hinaus ging.
Nein, ich hätte nur gerne weniger Scham vor den Dingen des Lebens, die man schlichtweg nicht verhindern kann. Also wieso sollte man etwas mit dem „unsexy Urteil“ sanktionieren, das schon in seiner Entstehung nicht vermieden werden konnte und das zudem überhaupt nichts mit Sexyness zu tun hat? Auch wenn es zufällig Körperregionen betrifft, die meistens maßgeblich an Sexy Time beteiligt sind.
Ich bin für weniger Körperscham, für mehr Ambiguitätstoleranz in Bezug auf Sexyness und für weniger Bauchschmerzen, weil wir uns das Geschäft verkneifen.
Stattdessen bin ich für verständnisvollen Umgang mit uns selbst und miteinander, für weniger Körperscham, für mehr Ambiguitätstoleranz in Bezug auf Sexyness und für weniger Bauchschmerzen, weil wir uns das Geschäft verkneifen. Merci!
Cleos Text ist unter dem Titel „Digestives Dilemma – Von Toilettengeräuschen bei Dates“ bereits auf ihrem Blog erschienen. Für im gegenteil hat sie ihn leicht abgeändert.
Headerfoto: Miriam Alonso (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!