Schwangerschafts-Abbruch – zwischen Emotion und Vernunft


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Als mir plötzlich und ohne erkennbaren Grund kotzübel auf der Rolltreppe wurde, wusste ich insgeheim schon, was los war. Ich habe damals meinen Zyklus noch nicht dokumentiert, aber ich hatte seit einer Woche das ungute Gefühl, dass meine Periode hätte einsetzen sollen. Außerdem hatte ich vor zwei Wochen aus dem Nichts angefangen, wieder Fleisch zu essen, obwohl ich zuvor ein Jahr lang überzeugte Vegetarierin war.

Ich hatte meiner Mitbewohnerin die Süßigkeiten weggefuttert. Mein Körper hatte sich innerhalb weniger Wochen stark verändert. Ich war von extrem untergewichtig zum Normalgewicht hochgeschnellt und hatte bereits in dieser frühen Phase riesige Brüste. Einer Person, die nicht so gut wie ich im Verdrängen ist, wäre wahrscheinlich schon früher aufgefallen, dass etwas nicht stimmt.

Ich wäre mein Leben lang von diesem Mann abhängig gewesen, der mich ehrlich gesagt nicht besonders gut behandelte.

Als dann die zwei blauen Balken auf dem Schwangerschaftstest, den ich sofort nach meiner kleinen Übelkeitsattacke kaufte, die Gewissheit brachten, war ich nicht mal sonderlich schockiert. Ganz mechanisch rief ich meine Frauenärztin an und sagte bereits am Telefon, dass ich „ungewollt schwanger“ sei. Mir war klar, dass ich das Kind nicht bekommen werde. Es war keine schwere Entscheidung, ich bereue sie bis heute nicht und trotzdem habe ich über ein Jahr lang nach dem Eingriff um den Zellhaufen in meinem Unterleib getrauert. Richtig getrauert.

Die Tatsache, dass mein damaliger Freund bereits voll im Job stand und ich gerade dabei war, mein Studium abzubrechen, war ein weiterer Grund, wieso ich das Kind auf keinen Fall bekommen wollte und konnte. Ich wäre mein Leben lang von diesem Mann abhängig gewesen, der mich ehrlich gesagt nicht besonders gut behandelte. Er trank viel und ging oft feiern und im Nachhinein schien mich meine Intuition wohl vor Schlimmerem bewahren zu wollen, denn er starb nur drei Jahre später. Wenn man den Gedanken zu Ende denkt, dann wäre ich heute alleinerziehend ohne Job und ohne Perspektive. Ich hätte mich um einen anderen Menschen kümmern müssen, bevor ich überhaupt selbst wusste, was ich vom Leben will.

Es hat mich tatsächlich noch viele weitere Jahre und beinahe ebenso viele Jobs gekostet, bis ich meinen Weg kannte. Es ist ein guter Weg. Dazu kommt noch, dass Frauen nach wie vor den Großteil der Erziehungsarbeit übernehmen und ein Einstieg ins Berufsleben für mich daher beinahe unmöglich gewesen wäre. Für mich damals eine Horrorvorstellung. Ich liebe meinen Job und bin dankbar für alles, was ich erreicht habe. Trotzdem zieht sich in mir alles zusammen, wenn ich an meinen Schwangerschaftsabbruch vor fünf Jahren denke. Es war einfach nicht die richtige Zeit für uns – aus ganz vielen Gründen.

Selbst richtige Entscheidungen können schmerzhaft sein.

Wären die Umstände damals anders gewesen, ich wüsste nicht, wie ich mich entschieden hätte. Es war eine reine Vernunftsentscheidung; ich wusste einfach, dass das für mich der richtige Weg war. Trotzdem werde ich niemals das Gefühl vergessen, das mich überkam, als ich nach dem Eingriff aus der Narkose aufwachte. Ein wichtiger Teil von mir war gegangen und schiere Verzweiflung packte mich. Meine Ärztin erklärte mir damals, dass das mit dem plötzlichen Hormonabfall im Körper zu tun hatte und dass dieser Zustand mehrere Tage anhalten könne. Heute weiß ich, dass es wohl auch Trauer war.

Nach dem mechanischen Anruf bei der Ärztin ging es ebenso mechanisch weiter. Brav ging ich zu allen Untersuchungen und zum Beratungsgespräch. Insgesamt nahmen die Vorbereitungen für den Abbruch gute zwei Wochen in Anspruch, da ich auch noch bei der Krankenkasse eine Kostenerstattung beantragen musste und außerdem zur falschen Beratungsstelle geschickt wurde. All das ist eigentlich wahnsinnig belastend und dient meiner Meinung nach nur dazu, den Schwangeren das Leben so schwer wie möglich zu machen.

Trotzdem hatte ich während dieser wirklich brutal anstrengenden Zeit nicht ein einziges Mal das Gefühl, einen Fehler zu machen. Es waren eher die Reaktionen meiner Mitmenschen, die mich etwas aus der Bahn warfen, denn offensichtlich hatte jede*r eine Meinung zu dem Thema. Es gab sogar Leute, die mir die Abtreibung ausreden wollten. Diese Leute sind nicht mehr in meinem Leben.

Es waren die Reaktionen meiner Mitmenschen, die mich aus der Bahn warfen, denn offensichtlich hatte jede*r eine Meinung zu dem Thema.

Selbst richtige Entscheidungen können schmerzhaft sein. Die meisten werden es von Beziehungen kennen, in denen man gehen muss, obwohl man die andere Person noch liebt oder vom Job, der einem nicht gut tut und den man beenden muss. Komischerweise drehen beim Thema Schwangerschaftsabbruch alle komplett durch. Man muss entweder megacool mit seiner Entscheidung sein und keinerlei Zweifel hegen oder man wird zur militanten „aber wir können doch alles schaffen“-Aktivistin. Beide Extreme sind schwierig. Surprise, nur weil man hinter einer Entscheidung steht, fällt sie einem nicht automatisch leichter. Ebenso kann man nicht alles im Leben erreichen, wenn man es nur ganz doll will. Ich weiß, verrückt!

Man kann also auch trauern, ohne die eigene Entscheidung zu bereuen. Ein Schwangerschaftsabbruch ist eine individuelle Entscheidung, die niemand einfach so fällt. Nur die Person, die schwanger ist, kann entscheiden, ob sie es schafft, ein Kind großzuziehen oder eben nicht.

Die Zeit nach der Abtreibung war hart für mich und ich habe mich sehr nach etwas mehr Halt gesehnt. Leider haben viele Menschen in meinem Umfeld nicht verstehen können, wieso ich mich so mies fühle und dass das nichts damit zu tun hat, ob ich meine Entscheidung bereue. Ja-Nein-Denken funktioniert hier nämlich nicht. Klar, vor dem Eingriff gab es eine gesetzlich verordnete Beratung, aber danach war ich leider vollkommen auf mich gestellt.

Ich wusste damals nicht, dass die Beratungsstellen wie AWO oder profamilia, die das verpflichtende Beratungsgespräch vor dem Schwangerschaftsabbruch anbieten, auch nach der Abtreibung mit Rat und Tat zur Seite stehen. Ich wusste nicht, dass es eine Telefonseelsorge gibt, die in der Krise hilft. Ich wusste auch nicht, dass ich „psychologische Vermittlungsstelle“ und meine Stadt googeln kann und dann relativ schnell Hilfe bekomme. All das weiß ich jetzt zum Glück.

Headerfoto: Frank Flores via Unsplash.com. (Körperliches-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!

Text: Kim Hase.

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