Gestern traf ich mich mit meinem Freund Finn zum Essen an der Elbe. Wir saßen draußen in der Sonne und bestellten viel zu teure Drinks und viel zu teures Essen. Dafür guckten wir weit und in die Sonne. Das schlagen die wohl auf die Preise oben drauf.
Genau genommen, ist Finn irgendwas zwischen Freund und Ex-Liebhaber. Vor drei Jahren hatten wir uns hart ineinander verknallt, bis vor zwei Jahren haben wir dann hart miteinander gevögelt und dann versuchten wir uns in Sachen Freundschaft. Weil wir zwar nicht mehr verknallt sind und nicht mehr vögeln, uns aber noch immer mögen.
Finn hat seit ein paar Wochen eine neue Freundin. Ich freute mich für ihn, suchte er doch eigentlich nach der großen Liebe: nach der einen Frau, mit der er Familie gründen wollte.
Max ist mein großartiger Ehemann, mit dem ich seit vielen Jahren eine offene Beziehung führe, weshalb auch das Verknallt-Sein mit Finn und das Vögeln und die Freundschaft okay waren.
Nachdem er mich also gefragt hatte, wie es bei mir und Max so läuft – Max ist mein großartiger Ehemann, mit dem ich seit vielen Jahren eine offene Beziehung führe, weshalb auch das Verknallt-sein mit Finn und das Vögeln und die Freundschaft okay waren – fragte ich Finn natürlich auch, wie sich seine noch so junge Beziehung so anfühlt.
Er erzählte, dass sie wunderschön sei. Und witzig. Dass die beiden großartig miteinander lachen könnten, der Sex schön und heiß sei, sie beide viel für Rotwein übrig hätten, gerne Sport trieben und Sonntags über Flohmärkte schlenderten.
Beide gingen gerne in die Natur, Eis essen und begeisterten sich für Kunst. Ich nickte begeistert und dachte schon: „Super, dann ist ja endlich alles gut. Wann die beiden wohl heiraten und schwanger werden?“, denn Finns Beziehungen davor waren zwar auch gut gewesen, aber irgendwas störte ihn immer irgendwann an den Frauen oder passte einfach generell nicht. Er suchte ja die Frau fürs Leben und da sollte sich ja schließlich alles richtig anfühlen – so sagte er immer. Und nach richtig anfühlen klangen seine Erzählungen über seine neue Freundin doch irgendwie sehr oder etwa nicht?
Eigentlich hatte Finn die Frau fürs Leben gefunden, wäre da nicht das verflixte Wörtchen Aber
Doch dann sagte er es. Dieses kleine, feine – und gemeine – Wort. Dieses Wort, das alles zuvor Gesagte gefühlt revidiert und wieder zunichtemacht, zumindest relativiert: ABER.
„ABER manchmal finde ich keinen richtigen Zugang zu ihr. ABER der Sex ist auch stellenweise nicht so geil, sondern einfach nur ok. ABER oft versteht sie meine Witze nicht sofort. ABER ich bin Vegetarier und sie isst so gerne Fleisch.“
Seinen Aber-Sätzen folgten Fragen über Fragen: „Sollte ich nicht einfach Hals über Kopf in sie verliebt sein? Wir sind doch gerade erst so frisch zusammen, ist es da nicht ein bisschen früh, mich so zu sorgen? Bin ich zu oberflächlich? Oder ungerecht? Kann ich mir überhaupt irgendwann sicher sein? Sollte Liebe nicht einfach da sein und alle Zweifel in Luft auflösen? Liegt es an mir oder an ihr? Anna –“, schaute er mich verzweifelt an, „was soll ich denn jetzt machen?“
Ich dachte an Max und an mich – an uns. Wir verliebten uns mit einem riesigen Knall.
Ich nippte an meinem Weinglas und dachte nach. Ich dachte an Max und an mich – an uns. Und wie das mit dem uns anfing. Als wir uns ineinander verliebten, waren wir beide 18 Jahre alt. Und wir verliebten uns mit einem riesigen Knall.
Es gab kein „Vielleicht“, kein „Wenn“ und erst recht kein „Aber“. Es gab in unseren Köpfen und in unseren Herzen ein eindeutiges und klares „Ja“. Da waren wir beide aber auch sehr jung und das Leben lag noch vor uns.
Wir waren flexibel, noch nicht so sehr die neurotischen Menschen, zu denen wir alle mit den Jahren werden. Zu den Menschen mit geliebten Gewohnheiten und den Mustern, nach denen wir handeln und an denen wir nur zu gerne festhalten.
Max und ich sind noch nicht so oft verletzt oder enttäuscht worden, dass wir mit den Jahren immer vorsichtiger neuen Menschen gegenüber geworden wären und alles hinterfragen. Ist es mittlerweile tatsächlich schwieriger, sich völlig kopflos zu verlieben? Und wenn ja, warum?
Weil wir viel mehr überlegen, ob die Person wirklich in unser (zukünftiges) Leben passt? Weil wir uns fragen, ob er oder sie auch Kinder haben will, oder lieber einen Hund oder lieber ganz viel reisen möchte?
Haben wir verlernt, den Kopf auszuschalten und das Herz an?
Oder ob der oder die andere auch ein Häuschen am Stadtrand mit Garten und Gemüsebeet möchte und samstags Biohof-Eier und frische Demeter-Milch vom Bauernmarkt holen möchte. Mit dem Fahrrad, versteht sich. Was ist los mit uns? Was soll dieser ganze Check-UP? Haben wir das verlernt: Kopf aus, Herz an?
„Welche Funktion haben Finns Zweifel?“, fragte ich mich. Entweder hat er einfach wirklich gute Herzalarmglocken, die ihm sagen wollen, dass diese Frau zwar super auf dem Papier, aber trotzdem nicht die Richtige für ihn ist – oder er hat Angst.
Angst vor echter Nähe. Angst vor dem Großen, das aus den beiden werden könnte. Angst vor dem Fall, wenn es nicht klappt. Solange er sich nicht wirklich auf sie einlässt, kann er, sollte es zwischen den beiden kaputt gehen, immer noch sagen, es sei ohnehin nicht das Optimum gewesen.
Dieser Gedanke macht mich fast ein bisschen wütend. Optimum. Makellos. Perfekt. Alles Worte, die ich furchtbar finde. Kompromisse muss man sowieso immer eingehen. Ich finde Max auch nicht immer allumfassend großartig und tanze verliebt um ihn herum.
Natürlich geht er mir manchmal auf den Sack. Das ist auch nur gut und gesund so. Diese Schaufenster-Apps wie Instagram und Tinder versuchen uns doch nur immer wieder Makellosigkeit und eine riesige Verfügbarkeit anderer potentiell „perfekter“ PartnerInnen vorzugaukeln.
Es gibt den perfekten Menschen nicht. Und selbst wenn, wäre das doch ziemlich langweilig.
Aber das ist einfach Bullshit. Es gibt den perfekten Menschen nicht. Und selbst wenn, wäre das doch ziemlich langweilig.
Ich glaube, wir täten gut daran, uns bei einem potentiellen Liebesgegenüber zu fragen, ob es tatsächlich irgendwelche No Gos gibt, mit denen zu leben uns unter keinen Umständen glücklich machen würde. Denn zu viel grundsätzlicher Kompromiss ist, meiner Erfahrung nach, auf Dauer auch keine so gute Idee.
Wenn wir aber nichts finden, mit dem wir nicht glauben, umgehen zu können, und wir diesen tollen Menschen, der uns da gegenübersitzt, eigentlich richtig super finden, dann los! Wagen wir es!
Denn ohne das Risiko, verletzt zu werden, einzugehen, wird es, glaube ich, schwer, das große Glück zu finden. Denn ein ist klar: Sich wirklich zu öffnen macht verletzlich. Sehr verletzlich. Es macht aber auch wahnsinnig glücklich, wenn einen jemand wirklich sehen darf und er einen mit allem, das man war, ist und sein wird, annimmt.
Um das große Glück zu finden, muss man sich öffnen, auch wenn das verletzlich macht
„Du, Finn?“, fragte ich also. „Ja?“, antwortete er und sah mich erwartungsvoll an. „Sprich mit ihr über Deine Gedanken und Zweifel. Mach Dich auf, lass sie rein. Vielleicht geht es ihr genauso. Vielleicht auch nicht. Aber versuch es einmal ganz in echt. Ihr wirklich nahe zu sein.
Auch, wenn das Angst macht. Wenn es schief geht, hast Du genug liebe Menschen, die Dich auffangen. Und wenn es gut geht, dann hast Du die Liebe gefunden. Ich bin sicher, es lohnt sich“, sagte ich lächelnd und hob mein Glas. „Puh“, grinste er zurück, „das wäre wahrscheinlich sehr schön.“
Er hob ebenfalls sein Glas und ich sah, dass er noch was nachsetzen wollte. „Schhhhhht!“, fuhr ich ihm lachend über den Mund und stieß mein Glas an seins. „Du hast recht“, gab er dann schmunzelnd zu, „Schluss mit dem ABER.“
Headerfoto: Pärchen am Strand (Stockfoto) via David MG/Shutterstock. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!