Overthinking – Sind meine Sorgen real oder völlig unberechtigt?

Als ich heute meine Waren auf das Kassenband legte, schämte ich mich kurz für mich. Der junge Verkäufer zog den Verdauungstee, die Bauchwegstrumpfhose sowie die Intimpflegetücher über den Scanner und mit jedem registrierten Artikel fragte ich mich, was sich gedanklich wohl in ihm abspielen dürfte.

Overthinking an der Kasse 

Mir kamen Ideen wie „Ah, sie macht also gerade Diät und wenn die nicht hilft, muss eben die Strumpfhose herhalten!“ oder „Katzenfutter und eine kleine Flasche Rotwein: Single und einsam!“. Ich kicherte bei diesem für mich sehr typischen Overthinking in mich hinein und sprach einem meiner engsten männlichen Freunde meine Beobachtung später aufs Band.

Mir kamen Ideen wie ‚Katzenfutter und eine kleine Flasche Rotwein: Single und einsam!‘

Glücklicherweise gehört er gerade auch deshalb zu meinen besseren Freunden, weil er eine tiefe Sympathie und ein ausgesprochenes Verständnis für meine Art hegt, die Dinge zu überdenken. Während wir also darüber nachgrübelten, wie viele Rollen Klopapier bei einem Einkauf auf eine regelmäßige Verdauung schließen könnten, brodelte bereits etwas anderes in mir.

Zwischen den Zeilen interpretieren

Ich hatte mich nämlich kürzlich ein wenig verknallt in einen Mann. Wir haben uns ein paar Mal getroffen, gingen Kaffee trinken, spazieren und saßen an seinem Küchentisch.

Hatte ich ihm und mir vorher noch zu verstehen gegeben, dass ich aktuell wirklich nicht auf der Suche nach großer Liebe sei, legte sich doch mit jedem weiteren Treffen ein Schleier aus Unvernunft über meine neue Coolness.

Hatte ich ihm und mir vorher noch zu verstehen gegeben, dass ich aktuell wirklich nicht auf der Suche nach großer Liebe sei und überhaupt ja auch alles gegen einen Versuch des Beziehungsaufbaus spräche (Corona), legte sich mit jedem weiteren Treffen, den ersten zart ausgetauschten Küssen und unseren warmen, sehnsüchtigen Blicken ein Schleier aus Unvernunft über meine neue Coolness.

Statt nun also entspannt zu bleiben und zu daten, den aufkeimenden Frühling zu genießen und das Singleleben gleich mit, glitt ich in eine neue Schwärmerei und damit unweigerlich in alte Muster.

Also zerlegt mein Gehirn mithilfe meines Herzens wieder feinsäuberlich jede seiner Nachrichten in ihre Bestandteile. In Botschaft, Intention und das berühmte Zwischen-den-Zeilen.

Ich ertappte mich dabei, wie ich mittags müde ins Kissen sank, aber nicht ruhen konnte, weil meine Gedanken zu ihm huschten. Ich erwischte mich, wie ich statt nach links auf das Tempelhofer Feld eben nach rechts in ein Industriegebiet spazierte. Ich finde mich in so absurden Situationen wieder, dass es schwer fällt, es zu leugnen: Ich bin ein wenig stärker interessiert, als gewünscht.

Also zerlegt mein Gehirn mithilfe meines Herzens wieder feinsäuberlich jede seiner Nachrichten in ihre Bestandteile. Nicht sortiert in Subjekt, Prädikat, Objekt, sondern in Botschaft, Intention und das berühmten Zwischen-den-Zeilen.

Statt zu genießen, was wir haben, rutschen meine Gedanken zu alten Erfahrungen und machen mir Angst.

Ich warte stundenlang auf eine Nachricht, blicke unruhig auf das Telefon, immer und immer wieder. Statt zu genießen, was wir haben, rutschen meine Gedanken zu alten Erfahrungen und machen mir Angst. Wenn das Überdenken schon am Kassenband überhandnimmt, wie soll es sich dann in solch komplexen Gebieten wie der Liebe heraushalten?

Einstehen für die eigenen Bedürfnisse und Vertrauen haben

Die einzig wirklich schöne Erkenntnis, die ich daraus entnehme: Ich habe den Mut, mich wieder zu verlieben. Immer und immer wieder. Immer und immer wieder traue ich es mir zu, mich fallen zu lassen, wenn auch anfänglich nicht sehr grazil.

Eher wie ein nasser, schwerer Sack, der sich auf dünnem Eis bewegt, ja in seinem eigenen Schweiß ob der Tatsache der Unsicherheit in Sachen Beziehung und Nähe an Gleichgewicht verliert.

Wenn das Überdenken schon am Kassenband überhandnimmt, wie soll es sich dann in solch komplexen Gebieten wie der Liebe heraushalten?

Dennoch, ich flüchte nicht. Ich renne nicht vor Liebe davon, genau wie ich es nicht wagen würde, den Verdauungstee ungekauft zu lassen oder mich für meine Tampons und die drei Tüten Gummitierchen zu schämen.

Dennoch, ich flüchte nicht. Ich renne nicht vor Liebe davon, genau wie ich es nicht wagen würde, den Verdauungstee ungekauft zu lassen.

Warum denn auch? Ich bin ein Mensch und Menschen haben Bedürfnisse. Mal nach einer guten Verdauung, mal nach einer neuen Liebe.

Headerfoto: Marco Testi via Unsplash. (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür! 

Laurine Lauretta, ein Perpetuum Mobile. Zwischen alleinerziehender Mutterschaft, pädagogischer Arbeit und Frausein, bleibt noch genug Zeit sich viele Gedanken um die Liebe, das Leben und allerlei Unsinn zu machen. Hier in Wort und Text.

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