Ohne Ruhe keine Erholung: Wie ich mich mal wieder übernommen habe

Ich habe es schon wieder getan. In meiner für mich typischen Stehaufweise, habe ich mich mit Aufgaben überworfen und mir mein eigenes Grab geschaufelt. Ohne Übertreibung. Vorhin tat mir meine Brust so weh, dass mir der Gedanke naheliegend erschien, jetzt mit Mitte dreißig einen Herzinfarkt als Quittung für all meine Strapazen, die ganze Arbeit und den Stress zu erhalten.

Es ist doch so: Ich arbeite, sogar in zwei sehr herausfordernden Jobs, bin alleinerziehende Mutter zweier sehr unterschiedlicher Kinder, mit gänzlich individuellen Persönlichkeiten, Interessen und Entwicklungsaufgaben und habe neben der Partnerschaft, die keinen Haushalt mit mir teilt, aber dafür eine Leidenschaft für aufwendige Datingaktionen und noch aufwendigere Beziehungsarbeiten, auch noch Freunde, Familie und diverse Interessen.

Ich bin ein sehr interessierter Mensch und mir reichten die zwei Fortbildungen, die drei neuen Ämter in meiner Halbtagsstelle noch nicht. Ich wollte wie immer mehr.

Als wäre dies nicht genug, schrieb ich mich für das diesjährige Sommersemester ein – Kulturwissenschaften – na klar. Denn ich bin ein sehr interessierter Mensch und mir reichten die zwei Fortbildungen, die drei neuen Ämter in meiner Halbtagsstelle und Verpflichtungen gegenüber der eigenen Gesundheit noch nicht. Ich wollte wie immer mehr.

Ich wollte mich weiterbilden, rechne mir Aufstiegschancen aus und merke schnell, wie mich Stillstand langweilt. Dabei unterschätze ich jedoch oft, dass so ein Tag, auch meiner, nur 24 Stunden hat. Außerdem habe ich nur zwei Augen, zwei Ohren und ein funktionierendes Paar Arme. Mein Gehirn scheint gelitten zu haben, denn besonders schlau komme ich mir nicht mehr vor.

Also frage ich mich, wieso tue ich das alles? Liegt es daran, dass mir als Frau eingeschärft wurde, Care-Arbeit sei gar keine Arbeit?

Also frage ich mich, wieso tue ich das alles? Liegt es daran, dass meine Medikamente gegen ADHS eben nur wirken, wenn ich sie wirklich täglich und nicht nur nach Bedarf einnehme? Liegt es daran, dass mir als Frau eingeschärft wurde, Care-Arbeit sei gar keine Arbeit und ich müsse mich nach einem Sechs-Stunden-Arbeitstag doch wegen der Kinder und dem bisschen Haushalt nicht beschweren?

Liegt es aber vielleicht auch daran, dass ich mir jede an uns gestellte Aufgabe und Idee gut vorstellen kann und deshalb laut „hier!“ rufe, sobald sich mir die Möglichkeit bietet? Denn sind wir ehrlich, wenn ich einer Aufgabe nachgehe, dann in der Regel schnell, gut und gewissenhaft.

Dann sitze ich eben nach Feierabend noch in der Bahn, tippe Mails an Ämter, schreibe die Presse an, befasse mich mit Aufgaben, Tagesgeschehen, Mutterpflichten.

Dann sitze ich eben nach Feierabend noch in der Bahn, tippe Mails an Ämter, schreibe die Presse an, befasse mich mit Aufgaben, Tagesgeschehen, Mutterpflichten. Dann plane ich den Arztbesuch der Kinder genauso zackig wie den Jahrestag meiner Beziehung und das Faschingsfest in der Kita.

Zu viel ist zu viel

Nur diese Woche, da war mir alles kurz wieder zu viel. Da tippe ich eine wichtige Email an das Jugendamt, für eine Familie meiner Einrichtung, während ich mit der linken Hand umständlich meinen Tampon wechsle. Da schaue ich auf meinen Whatsapp-Verlauf, in dem mich drei Kolleginnen bitten ihnen  zu helfen, weil ich als Vertrauensperson in den Betriebsrat gewählt wurde.

Ich versende ein eben schnell zusammengestelltes Carepaket online an meinen Ex-Schwiegervater, der einen Herzinfarkt hatte, und tröste seine Frau. Da verspreche ich meinen Kindern, demnächst ihre Geburtstage nachzufeiern, weil sie unter Corona einfach nicht in die Trampolinhalle durften, und überlege fiebrig, ob dieses Thema einen Text wert wäre. Und ich finde schon.

Denn es ist alles viel zu viel. Die Erwartungen, die Ansprüche, die Aufgaben. Und es wird ungerecht verteilt. Auf die wenigen Schultern, die noch bereit sind, sich zu engagieren, die ihre Arbeit noch genauso gerne und mit notwendigem Ernst machen wie ich. Also schaue ich in diesen kleinen Spiegel neben mir, auf dem Klo meiner Arbeitsstelle und ich beginne zu weinen.

Ich weine, weil ich müde bin. Kriegsmüde, pandemiemüde, kindermüde, arbeitsmüde.

Ich weine, weil ich müde bin. Kriegsmüde, pandemiemüde, kindermüde, arbeitsmüde. Ich weine, wechsle diesen doofen nicht biologisch abbaubaren Tampon und spüle ihn nebst schlechtem Gewissen im Klo runter. Ich schniefe, ziehe die Hose hoch, wasche die Hände extra lang, damit ich nicht sofort zurück muss zu meiner Kindergruppe, die aufgrund von Personalmangel und Dauerpandemie im Nebenraum Anarchie spielt. Dann krieche ich leise zurück.

Ich hoffe, ich werde morgen früh erholter sein. Vielleicht ein paar Aufgaben abgeben können, vielleicht ein paar Mails oder Nachrichten ignorieren, vielleicht ein paar Prioritäten verschieben und mich wieder wichtiger nehmen. Ich hoffe, mein Herz schenkt mir noch mehr als doppelt so viel Zeit, um all diese Vielleichts in die Tat umzusetzen, denn ich fürchte, der Weg dahin wird ein langer sein.

Headerfoto: Polina Tankilevitch (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

Laurine Lauretta, ein Perpetuum Mobile. Zwischen alleinerziehender Mutterschaft, pädagogischer Arbeit und Frausein, bleibt noch genug Zeit sich viele Gedanken um die Liebe, das Leben und allerlei Unsinn zu machen. Hier in Wort und Text.

1 Comment

  • …Ich konnte mich so gut in die Verfasserin einfühlen. Habe sogar den körperlichen Zustand nachempfinden können.
    Nein, bin nicht Alleinerziehend, habe keine Kinder (habe allerdings deswegen fast ein schlechtes Gewissen), aber übernehme mich ständigl und wiederhole immer wieder den selben Fehler, nehme immer wieder neue Aufgaben und neue Verantwortlichkeiten an.
    Warum mache ich das? Fühle ich mich nicht erfüllt oder versuche was zu kompensieren? Wenn ich nur die Antwort wüsste. Nein, ich vermute ich kenne sogar die Antwort, aber ändere nichts bzw. wenig.
    Ich arbeite in Vollzeit, habe Führungsposition, 2 Nebenämter und 2 Zusatzaufgaben, seit Jahren schon keine Vertretung, kümmere mich um meine erkrankte Mutter, höre den überforderten Kollegen*innen zu, bin für meinen Partner und seine Kinder da, gucke nach Gefühlszustand und Bewerbungsunterlagen meines Patenkindes…. und… ja ich glaube es selbst nicht, betreue aktuell noch eine Flüchtlingsfamilie mit allem drum herum.
    Ich fühle und weiß, es ist schon lange mehr als genug, ich hätte schon vor 15 vorherigen Aufgaben Stopp sagen müssen und schaffe es sogar ab und zu „Nein!“ zu sagen, aber nehme dann noch was anderes an…
    Komme aus diesem Kreis von schlechten Gewissen, sozialer Verantwortung, familiäre Verpflichtungen, Selbstverständlichkeiten, eigenen Anspruch und „den Anderen geht es ja noch schlecher“ nicht mehr raus.
    Wie macht man das? Was helft Euch da auszubrechen? Wie schaffe ich es langfristig bei „Nein“ zu bleiben oder zumindest öfter Auszeit zu nehmen?….
    Und ja, eine tolle Psychotherapeutin habe ich auch, ist aber auch nur ein zusätzlicher Termin in all dem Wust.
    Gibt es für mich/uns gleichgestrickten Frauen noch eine Hoffnung?

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