Mobbing: Wie es sich anfühlt, selbst betroffen zu sein und warum Wegsehen uns zu Mittäter:innen macht

Mobbing ist nicht nur ein großes Problem in Schulen, es kann einem auch im Arbeitsleben begegnen. Die Betroffenen leiden; wer selbst zu ihnen gehört (hat), wird das nachvollziehen können. Doch aus einem Opfer kann auch unter anderen Umständen durchaus ein:e Täter:in werden. Obwohl mensch es dann eigentlich besser wissen sollte, oder?

Ich erinnere mich daran, dass ich als Kind und Jugendliche in der Schule keine besonders gute Zeit hatte. Schon in der Grundschule fanden es einige (vorrangig Mädchen) Mitschüler:innen es ungemein lustig, mich aufzuziehen. Kunststück, denn wenn wir ehrlich sind, wissen wir alle, wie gemein Kinder sein können. Und mein Nachname ist Kukuk – wer da nicht lacht, ist wohl selber schuld. 

Besonders eine Mitschülerin hatte es sehr auf mich abgesehen. Warum das so war, kann ich bis heute nicht erklären.

Besonders eine Mitschülerin hatte es sehr auf mich abgesehen. Warum das so war, kann ich bis heute nicht erklären. Sie und ich waren Teil derselben Mädchengruppe, die jeden Tag gemeinsam zur Schule ging. Schnell kristallisierte sich heraus, dass sie so eine Art Anführerin war für uns. Das komplette Gegenteil von mir also – und das bis heute, denn ich bin vieles, aber keine Anführerin. 

Was dabei aber viel wichtiger war: Sie hielt mich und die anderen Mädchen dabei in einer seltsamen Dynamik zwischen Freundschaft und Gefolgschaft fest. Hatte mal die eine als “beste Freundin”, am nächsten Tag dann eine andere. Manchmal schien sie mich zu mögen, lud mich nachmittags zum Spielen ein, am nächsten Tag aber verwies sie mich der Gruppe und verbot den anderen, sich mit mir abzugeben.

Täter:innen finden immer einen Grund

Ich kann im Nachhinein nicht mehr genau sagen, ob mich das Mobbing in der Grundschule in meiner sozialen Entwicklung in irgendeiner Art und Weise negativ beeinflusst hat oder nicht. Vielleicht will ich diesem Mädchen – nennen wir sie einfach mal Lena – aber auch einfach nicht zugestehen, wie sehr mich dieses frühkindliche Mobbing als kleines Mädchen eingeschüchtert hat. Ich litt aber auch nicht wenig – ich war halt 7.

Ich kann im Nachhinein nicht mehr genau sagen, ob mich das Mobbing in der Grundschule in meiner sozialen Entwicklung in irgendeiner Art und Weise negativ beeinflusst hat oder nicht.

Es schien auch immer einen Grund zu geben, weswegen sie mich mobbte: mein Haarschnitt, meine Klamotten – übrigens unabhängig davon, ob es Markenklamotten waren oder nicht –, mein Name, meine Leistungen in der Schule and so on. 

Zuhause erzählte ich natürlich meiner Mutter davon, die alles andere als begeistert war, und nicht nur Lena zur Rede stellte, sondern auch ihre Eltern. Dass das allerdings zu meiner Beliebtheit auch nicht so wahnsinnig viel beigetragen hat, dürfte wohl auch niemanden wundern. 

Breaking News: Ignorier sie, hilft bei Mobbing halt so gar nicht

Meine Mutter hat es gut gemeint und ich bin ihr sehr dankbar. Am meisten aber dafür, dass sie mir nicht mit der “Ignorier sie, dann hören sie von allein auf”-Masche gekommen ist. Denn, für alle jungen Eltern da draußen: “Ignorier sie” funktioniert bei Mobbing nicht. Hat es nie, wird es nie, liebe Grüße. Ich durfte es am eigenen Leib erfahren und andere Kinder auch. 

Seit der Digitalisierung unseres Alltags- und Soziallebens kommt damit natürlich auch noch Cybermobbing dazu. Das hat wiederum die fatale Folge, dass  Kinder, Jugendliche und sogar Erwachsene den Attacken nicht einmal im privaten Bereich entkommen können.

Um hier mal ein paar Zahlen und Fakten einzustreuen: “Mobbing ist unter Kindern und Jugendlichen ein verbreitetes Phänomen – das zeigt nicht nur die PISA-Studie, sondern auch eine Umfrage von UNICEF Deutschland aus dem Jahr 2019. Nach dieser sind 14 Prozent der Befragten schon einmal im Internet, 16 Prozent in der Freizeit und 30 Prozent in der Schule oder auf dem Schulweg gemobbt worden.”, heißt es bei Statista.

Seit der Digitalisierung unseres Alltags- und Soziallebens wird die Problematik um Cybermobbing immer größer. Das hat wiederum die fatale Folge, dass Kinder, Jugendliche und sogar Erwachsene den Attacken nicht einmal im privaten Bereich entkommen können. Denn auf Instagram, Facebook und bisweilen sogar via E-Mail verfolgen diese sie bis ins heimische Wohnzimmer.  So viel zum Thema: “Ignorier sie einfach, dann hören sie von alleine auf.“

Wer mitmacht, ist ein Täter – und wer nichts dagegen sagt, leider auch

Zurück zu meiner Geschichte: Jahre später, als ich auf die weiterführende Schule kam, wendete sich das Blatt zu meinen Gunsten. Denn ich ging als einziges Mädchen dieser Gruppe auf eine andere Schule, konnte also ohne Vorbelastung starten und freute mich darauf, neue Leute kennenzulernen.

Inzwischen hatte ich mir eine Art Schutzschild angeeignet. Man kennt das ja: Gerade als  frühere:r Betroffene:r von Mobbing lernst du recht gut, wie du dich vor anderen zu geben hast, um nicht wieder im Visier zu landen. Lieber halb Fake als wieder jeden Tag allein zu verbringen und zu leiden. 

Wenn du es selbst nicht bist, irgendjemanden unter den Mitschüler:innen wird es halt auf jeden Fall treffen.

Aber eins dürfte auch klar sein: Wenn du es selbst nicht bist, irgendjemanden unter den Mitschüler:innen wird es halt auf jeden Fall treffen. Da wurde die eine wegen ihrer Gesichtsform aka Hamsterbäckchen aufgezogen, andere wegen ihrer Körperform oder ihres Mehrgewichts oder später dann der eine oder die andere wegen der früher einsetzenden Körperveränderungen dank Pubertät. 

Ich war so dankbar, selbst nun zu denen zu gehören, die – wenn schon nicht als herausragend cool – wenigstens zu den “unauffälligen” zählten. Daher sagte ich nichts dagegen. Machte teilweise sogar mit  und das einfach, weil ich so froh war, selbst nicht in der Schusslinie zu stehen und auch nie wieder dahin wollte. 

Besser machen und Hilfestellung geben

Heute weiß ich natürlich, dass das nicht cool war. Ich wusste das damals schon. Und ich hätte es besser machen können. Hätte was gegen das Mobbing sagen können. Habe ich aber nicht. Weil mir mitmachen damals besser erschien, als selbst wieder von Mobbing betroffen zu sein. Aber, was ich heute natürlich besser weiß als damals: Welche schlimmen Folgen Mobbing mit sich ziehen kann. Von Traumata über Selbstverletzung von Betroffenen bis hin zu Suizidversuchen oder sogar Schoolshootings – alles schon passiert. Und: Es wäre vermeidbar gewesen. In den meisten Fällen. Ich habe Glück gehabt, dass es mir heute so gut geht, es hätte natürlich viel schlimmer kommen können.

Heute weiß ich natürlich, dass das nicht cool war. Ich wusste das damals schon. Und ich hätte es besser machen können.

Jetzt schaue ich genauer hin. Denn nicht nur in der Schule sind Mobbing und Cybermobbing nach wie vor ein Problem. Auch im Erwachsenenalter und vor allem in Arbeitskontext taucht dieses Problem immer wieder auf. Aus beinahe genau den gleichen Gründen wie es in der Grundschule vorkommt: Äußerliche Erscheinung, Leistungen (ob sehr gut oder sehr schlecht ist dabei fast irrelevant), soziale oder auch ethnische Herkunft. Und das nur, weil manche Leute Spaß daran haben, sich selbst durch das Abwerten und Verletzen Anderer aufzuwerten und sich mächtig zu fühlen.  

Das schlimmste, was man – neben mitmachen – in einer solchen Angelegenheit tun kann, ist: wegsehen. Steht auf, seht hin, sprecht die Betroffenen an, fragt, ob sie Hilfe haben oder ob ihr selbst helfen könnt. Dokumentiert die Vorfälle, wenn ihr könnt, durch Screenshots von entsprechenden Posts oder “Tagebucheinträge”, wenn sie offline passieren.

Wenn du selbst von Mobbing betroffen bist: Scheu dich nicht, nach Hilfe zu fragen und professionelle Hilfe anzunehmen, du musst das nicht alleine schaffen! An alle anderen kann ich nur appellieren: Seid freundlich zueinander und tut anderen nichts an, was ihr euch nicht für euch selbst wünscht. Lots of amore <3

Mittlerweile gibt es auch viele Organisationen, die sich gegen Mobbing und Hass (im Netz) stark machen und hier Hilfe anbieten. Diese sind eine gute Anlaufstelle für Betroffene und Menschen, die ihre Kinder oder Freund:innen bei der Suche nach Hilfe unterstützen möchten. Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben bündelt Informationen und Hilfsangebote für Betroffene, unterstützende Personen und Fachkräfte.

Die Aktion „Aware“ von den Maltesern bietet wichtitige Informationen zu der Frage, wann man es mit Mobbing zu tun hat, wie schwerwiegend die Folgen sein können und wie man dagegen vorgehen kann – es gibt auch eine Liste mit Hilfestellen für Betroffene. Auch die Telefonseelsorge hilft bei Problemen mit Mobbing jederzeit weiter. Hate Aid ist eine Organisation, die sich speziell gegen Hass im Netz einsetzt, dort wird euch Hilfe geboten, wenn Ihr von Cyberhate betroffen seid oder wenn euch Hass im Netz begegnet.

Headerfoto: cottonbro (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

LINDA hat an Heiligabend Geburtstag, kommt aus dem Rheinland, ist aber im Herzen Hamburgerin. Sie hat Literatur in Bonn und Hamburg studiert und mit einer Arbeit über die Liebe abgeschlossen. Für die Liebe ist sie auch nach Berlin gezogen. Bei im gegenteil liest sie deswegen auch Liebesbriefe und sorgt dafür, dass diese hübsch gemacht sind für dieses Internetz.

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