Wenn ich an das Liebesmodell unserer Eltern und Großeltern denke, erscheint mir dieses Konzept aus Ehe, Familienglück und Reihenhaus doch als relativ starr und unfrei. Ich meine, schön für den, der’s mag. Dagegen ist auch überhaupt nichts einzuwenden. Doch dass speziell wir Berliner Großstadt-Hippies die freie Wahl haben, welchen Weg wir in Liebesdingen beschreiten wollen, ist trotz aller damit einhergehenden Probleme doch ein Luxus, auf den ich nicht verzichten will. Denn egal ob Monogamie, Mingle oder Polyamorie. Alles scheint heute möglich auf diesem Spielplatz der Liebe, auf den wir unserem Drang nach Bedürfnisbefriedigung so hedonistisch nachgehen können.
Die Liebe und das damit verbundene Glück scheint in allen Variationen auf den Kiez-Straßen zu liegen. Das klingt in erster Linie geil. Wie alles, von dem wir uns ein Stück Glück erhoffen. Die Kehrseite der Medaille übersehen wir aber gerne mal: Erneut haben wir die Liebe konzeptualisiert, ja in den Kerker unserer auf radikaler Selbstverwirklichung basierenden Bedürfnisse gesperrt. Dieser Kerker ist also unser Konzept von Liebe. Ein Kerker, in dem die Liebe zur imaginären Droge für den kleinen Endorphin-Kick zwischendurch mutiert. Zum Accessoire, mit dem wir unser Leben schmücken. Ja, zum i-Tüpfelchen auf unserem heiligen Pfad der Selbstverwirklichung. Prost Mahlzeit.
Auf unserem kompromisslosen Weg zum eigenen Glück haben wir irgendwo zwischen Dating-App und Club die Liebe als Instrument für die eigene Selbstverwirklichung versklavt. Mit der persönlichen Unabhängigkeit, die wir freiheitsliebenden Generation-y-Abkömmlinge so sehr idealisieren, hat das nur noch wenig zu tun. Denn wie sollten wir jemals in der Lage sein, frei zu lieben und zu leben, wenn wir von der Liebe in solch übersteigerter Form erwarten, dass sie uns das Glück auf einem instagramgefilterten Vintage-Tablett serviert? Ihr wisst schon. Optimal vorzeigbar auf allen Social-Media-Kanälen.
Die freie, einzig wahrhaftige Liebe liegt hinter diesem Schleier der Projektionen, Erwartungen und Bedingungen, an denen sich unser Ego so sehr aufgeilt. Sie ist weit weg von dieser Traumwelt der Liebe, die wir in unseren Fantasien erschaffen haben – aus der vergeblichen Hoffnung heraus, dass sie jene dauerhafte Erfüllung in sich birgt, die wir ohnehin nur in uns selbst finden können.
Wie viel freier wäre unsere Liebe, wären wir, wenn wir diese Traumwelt mit all ihrer egoistischen Illusionen entrümpeln würden? Und hierfür müssen wir konsequent immer wieder kapieren, dass nichts und niemand, nein keine Beziehungsform dieser Welt langfristig in der Lage sein wird, uns zufriedenzustellen, wenn wir diese Zufriedenheit nicht in uns selbst gefunden haben.
So schwer es sein mag – es ist an der Zeit, uns unserer gierigen, eifersüchtigen, besitzergreifenden, ja in Liebesdingen durch und durch egoistischen menschlichen Natur Schritt für Schritt zu stellen und im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen aus besagtem Liebestraum zu erwachen. Erst dann werden wir in der Lage sein, frei und reinen Herzens zu lieben. Und ein Leben in jener unabhängigen Selbstverwirklichung führen, nach der wir uns so sehr sehnen.
Ich finde die Kritik an der Konzeptualisierung der Liebe durchaus berechtigt. Wie kann es das eine Konzept für einen Menschen geben, wenn doch zu den meisten Konzepten mindestens zwei Menschen gehören?
Die Grundaussage des Textes ist meiner Meinung nach aber schlicht: Liebe dich selbst (und erst dann kann dich zwischenmenschliche Liebe glücklich machen). Klingt auch irgendwie recht plump und naiv.
Die Hauptkritik an der Konzeptualisierung sehe ich aber eher darin, dass Menschen viel eher körperlich auf Menschen eingehen können und dass das vielen auch genügt. Aber wo bleibt da die Liebe für den Menschen an sich? (aber das ist halt auch nur meine persönliche durch aktuelle Umstände bedingte Meinung)
Soll wirklich jeder sich selbst lieben, damit auch liebesarme Konzepte funktionieren?
Toller Text, du hast mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen, kompakte Äußerung zum Themen, die man lebenslang diskutieren und seitenlang beschreiben könnte.
Schön, jetzt aber noch ne Frage: wie definiert er nun diese „freie, einzig wahrhaftige Liebe“? Liebe die besteht, ohne oder weil sie nicht unsere „egoistischen“ Bedürfnisse befriedigt?
Finde es schwer in dem Artikel die Begriffe Liebe und Beziehungsform/Lebensmodell etc auseinanderzuhalten.
Dazu: Alain Badiou: „Lob der Liebe“ lesen.