Zwei Herzen schlagen in der Brust dieser unserer Generation, die gerne als beziehungsunfähig betitelt wird: Das eine strebt ganz klassisch nach festen Beziehungen, intimer Nähe, sprich nach der Verschmelzung mit dieser einen Zwillingsseele, mit der wir unser Leben teilen wollen. In guten wie in schlechten Zeiten! Wenn wir in der Frequenz dieses Herzens schwingen, ist selbst die süßeste Tinder-Versuchung dieser Welt keine Gefahr für das Walt-Disney-Märchen der ewigen Liebe.
Das andere hingegen hat sich der Freiheit, der Unabhängigkeit, der radikalen Autonomie verschrieben. In ihm wohnt ein wahrer Freigeist, der alle Grenzen hinter sich lassen will und jegliche Form der Verbindlichkeit scheut. Frei wie ein Vogel will er flattern durch die Kiez-Betten, die Welt bereisen, von Job zu Job tingeln und alle potenziellen Partner mit der distanzierten Aussage abspeisen, er sei prinzipiell kein Beziehungstyp. Dieses Herz pulsiert im Takt der Selbstverwirklichung, der keine festen Bindungen zulässt.
In ihrem sich oft widerstrebenden Rhythmus sind die zwei Herzen Verursacher für so manch inneren Konflikt, den wir mit uns austragen, wenn wir uns mal wieder nicht festlegen können. Wenn wir einerseits das Bedürfnis nach Bindung und Nähe verspüren, andererseits aber um unsere Freiheit fürchten als würde uns eine feste Beziehung in einen lebenslangen Kerker ungelebter Möglichkeiten verbannen. Einerseits träumen von einer gefestigten Partnerschaft, die uns Halt gibt in diesen wirren Zeiten, in denen nichts mehr sicher scheint. Und ihn anderseits nicht aufgeben wollen, diesen luftigen Schwebezustand des Single-Daseins, in dem alles möglich scheint, wir uns immer und immer wieder neu finden und definieren können auf unserer Reise der Selbstverwirklichung.
Wir sollten diese zwei Herzen in unserer Brust keineswegs verfluchen. Nicht in Melancholie versinken, welche die guten alten Zeiten vor der vermeintlichen „Generation Beziehungsunfähig“ idealisiert, in denen das Standardmuster „Ehe, Reihenhaus, Familienglück“ jederzeit Orientierung bot. Ja, jegliche „Früher war das mit der Liebe einfacher“-Melancholie ist sinnlos. Wir müssen stattdessen akzeptieren, dass dieses Standardmuster für viele von uns keine ausreichende Grundlage mehr bietet, um uns und unsere Liebe zu entfalten. Und sollten die Freiheit und die damit verbundenen Möglichkeiten der Selbstverwirklichung als großes Geschenk betrachten. Als Privileg unserer Generation, das wertvolles Wachstumspotenzial in sich birgt.
So ist es wichtig, beide Herzen in unserer Brust anzunehmen und beiden in ihren unterschiedlichen Bedürfnissen Aufmerksamkeit zu schenken. Dadurch können wir den Spagat zwischen diesen nur oberflächlich widersprüchlichen Konzepten von Nähe und Freiheit bewältigen. Und eine innere Balance finden, die verhindert, dass wir unser bindungswilliges Herz komplett verschließen und in all unserem Streben nach Unabhängigkeit zu Sklaven unserer Freiheit werden. Eine innere Balance, in der wir uns problemlos festlegen können, wenn wir es fühlen – ohne diesen rebellierenden Aufschrei des Freigeistes in uns. Eine innere Balance, in der auch in festen Beziehungen ausreichend Raum für Selbstverwirklichung übrig bleibt.
Nie zuvor hatten wir die Chance, diese zwei Herzen in unserer Brust zuzulassen und auszubalancieren, ja beide in ihrer ganzen Strahlkraft in diese Welt hinaus zu tragen. Wenn auch die Sicherheit der alten sinnstiftenden Beziehungskonzepte immer mehr wegzubrechen scheint, so können wir erstmals ein neues Beziehungsparadigma erschaffen, in dem Freiheit und Nähe, Selbstbestimmung und Kompromissfähigkeit miteinander verschmelzen. Ein Beziehungsparadigma, in dem sich uns neue Dimensionen der Liebesfähigkeit eröffnen. Denn die wahre Freiheit liegt nicht in diesem Ozean endloser Möglichkeiten aus Tinder-Dates, Fernreisen und ekstatischen Orgasmen. Sie liegt in einem Herzen, das weit offen steht für all die Liebe, die zu uns fließen will, wenn wir es nur zulassen. In welcher Beziehungsform, in welchem Beziehungsstatus auch immer.