Kannst du dich noch an unser erstes Treffen erinnern? An den Moment, in dem wir uns das erste Mal ganz bewusst in die Augen geschaut haben? Ich fühle es noch wie heute, die aufsteigende Angst in mir. Das ist nun mehr als ein Jahr her, aber die Angst ist geblieben. Dennoch sehne ich mich nach deinem Blick, nach den Augen, die so viel Gefahr ausstrahlen. Wie das tiefe Meer, von dem eine solche Gewalt ausgeht, in welches wir doch immer wieder versinken, in dem Wissen, dass es uns verschlucken könnte.
Hast du schon einmal jemanden in dein Leben gelassen, in dem Bewusstsein, dass er dir Probleme bereiten wird? Hast du diese Person ganz nah an dich herangelassen? Ihr die Kontrolle über dein Handeln gegeben? Dann weißt du, wovon ich rede. Und dann weißt du auch, dass dich dieses Gefühl nicht loslassen wird. Dass du diese Person ziehen lassen kannst, aber nicht das Gefühl, welches sie in dir hinterlassen hat.
Ich verzehre mich nach den Gefühlen, die du in mir ausgelöst hast.
Wenn du eine solche Beziehung zu einem Menschen geführt hast, dann fühlt sich alles so unendlich intensiv an. Jedes Gefühl, jede Emotion, jeder Streit ist das heftigste, was du je erlebt hast, und vermutlich auch das heftigste, was du je erleben wirst.
Ich weigere mich zu sagen, dass Du mich in diese Situation gebracht hast, denn das ist nicht richtig, ich war es selbst, die sich für das Risiko entschieden hat.
Ich verzehre mich nach den Gefühlen, die du in mir ausgelöst hast. Ich sehne mich so sehr danach, dass ich wieder und wieder an einzelne Situationen denken will, in denen es besonders intensiv war. Manchmal sind es die, die besonders schön waren, manchmal die, die besonders schmerzen. Ein bisschen spiele ich mit dem Feuer, um mich selbst am Leben zu halten.
Leben auf Sparflamme seit du weg bist.
Zeit ist relativ, wenn du dich der intensiven Liebe hingibst. Ein halbes Jahr mit dir fühlte sich wie ein ganzes Leben an. Ich glaube, das ist es, was mich immer wieder an dich erinnern lässt.
Es ist fast so als würde ich alles nur ganz dumpf fühlen, seitdem du fort bist, als wären meine Gefühle auf Sparflamme eingestellt. Es ist fast so, als würde ich den Schmerz vermissen, welcher mein Herz ertragen musste, als ich mir alles nehmen lassen hatte.
Ich frage mich, was ich für dich war, ob es sich für dich ebenfalls so intensiv angefühlt hat.
Als wir auseinander gegangen sind, blieb da dieses eine Gefühl. Der Schmerz. Dann kam die Wut, die Wut auf mich selbst, dass ich das alles mit mir machen lassen habe, obwohl es doch von Anfang an offensichtlich war. Ich werde niemals unseren ersten Blick vergessen, diese Angst. Von der Wut geprägt habe ich mich selbst dafür verurteilt, mich auf dich eingelassen zu haben.
Und doch gibt es immer zwei Seiten der Geschichte und deshalb frage ich mich, was ich für dich war, ob es sich für dich ebenfalls so intensiv angefühlt hat. Ob du mir hilflos ausgeliefert warst, wahrscheinlich nicht. Vielleicht war ich für dich nur ein Spiel. Eventuell hast du es sogar genossen, dass ich mich in dir verloren habe. Die, die sich für dich aufgegeben hatte. Bleibe ich dir wenigstens so in Erinnerung? Kannst du mir wenigstens diesen Gefallen tun?
Vielleicht gebe ich irgendwann dich frei und mich frei. Bis dahin gebe ich mich dir hin.
Heute sitze ich da und versuche nach all der Zeit immer noch vergebens meine Gedanken zu sortieren. Versuche zu verstehen, was du für mich warst und was du wohl immer für mich sein wirst.
Vielleicht habe ich Unrecht und irgendwann werde ich an dich denken und mich daran erinnern, dass das ein anderes Leben war und nichts mehr mit meinem jetzigen Ich zutun hat. Vielleicht gebe ich dich frei und mich frei. Vielleicht vergebe ich mir und meinen Gefühlen zu dir.
Bis dahin gebe ich mich dir hin, mit meiner Angst. Werde dir noch unzählige Texte und Gedanken widmen, werde die Dinge verarbeiten und daran arbeiten, mein tiefstes Inneres zu ergründen, welches du in mir hervorgerufen hast.
Headerfoto: Marcus Santos via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!