„Ich hab Tinder gelöscht… meinst Du, jetzt kann ich wieder ein normales Leben führen?“ Ich bin fast ein bisschen stolz, als ich meiner Mitbewohnerin davon erzähle, dass ich diese, mir schon lange leidige App aus meinem Smartphone verbannt habe.
In der heutigen Zeit ist es nicht mehr peinlich, wenn Pärchen bekunden, dass sie sich über Tinder kennen gelernt haben. Ich muss gestehen, mich beeindruckt das sogar. Für mich ist das fast mit dem 1 Millionen Euro Jackpot-Gewinn beim Lottospielen gleichgesetzt… eine Chance von 1: 140 Millionen. Also, quasi unmöglich.
Pärchen, die sich auf Tinder kennengelernt haben, haben somit einen echten Glückstreffer gelandet, würde ich sagen.
Ich hasse Tinder und noch mehr hasse ich, was es aus unserer Gesellschaft gemacht hat.
Warum das für mich nicht funktioniert? Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht genau. Vielleicht ist es meine Einstellung. Ich hasse Tinder und noch mehr hasse ich, was es aus unserer Gesellschaft gemacht hat. Aber im Grunde spiegelt diese App den Diskurs einer ganzen Generation wieder, die sich irgendwo im nirgendwo verloren hat.
Eine Generation, die nach Superlativen strebt. Eine Generation, die immer besser, schöner und erfüllter sein will. Wir versuchen Dinge zu finden, die uns erfüllen. Den Satz „irgendwie erfüllt mich das nicht.“ habe ich selbst bestimmt schon zehntausendmal gesagt. Damit beruhige ich mich, denn es zeigt mir „da draußen gibt es bestimmt noch etwas Besseres. Etwas was mich noch mehr erfüllt.“
Wir sind die Generation, die so viele Möglichkeiten hat, wie noch keine Generation zuvor. Wir können ohne Einschränkungen die Welt bereisen (Vorausgesetzt, wir verfügen über die nötigen Mittel), wir können studieren und lernen was wir wollen, wir connecten uns mit der ganzen Welt auf Facebook, Instagram und Co. aber dennoch sind wir nicht erfüllt… oder gerade deswegen?
Ist das, was alle als Freiheit bezeichnen, in Wirklichkeit das, was uns Angst macht?
Ist das, was alle als Freiheit bezeichnen, in Wirklichkeit das, was uns Angst macht? Kann man in einer Welt voller Möglichkeiten irgendwann zufrieden sein und ankommen? Ist Beständigkeit für eine ganze Generation zum Fremdwort geworden?
Ich swipe mich durch tausende Gesichter. Im Grunde weiß ich gar nicht so recht, nach welchen Kriterien ich vorgehe. Ich denke, das ist tagesformabhängig. Nach einem gescheiterten Date mit einem Mann mit Katzenbildern im Profil (!!), konzentriere ich mich eher auf Hunde-Männer.
Wie soll denn da einer noch den Überblick behalten, bei der unerschöpflichen Auswahl? Klar ist es schön, mehr Optionen als Schwarz oder Weiß zu haben – aber müssen es denn gleich alle Farben des Regenbogens sein? Da bekommt der Ausdruck „jetzt wird’s mir zu bunt“ eine ganz neue Bedeutung. Bunt ist gut, aber manchmal auch überfordernd.
Die Kunst liegt darin das vermeidlich „Unperfekte“ lieben zu lernen.
Eine Stimme in mir wird immer lauter, irgendein Teil in mir sehnt sich nach etwas Konstantem, nach etwas, das sich nicht morgen wieder austauschen lässt. Etwas das ECHT ist. Und ECHT bedeutet in diesem Fall nicht, dass es perfekt sein muss. Im Gegenteil, die Kunst liegt darin, das vermeindlich „Unperfekte“ lieben zu lernen.
Ich glaube, wenn jeder für sich erkennt, wie unendlich schön etwas mit Ecken und Kanten sein kann, dann schaffen wir uns eine kleine Insel der Zuflucht in der See der unendlich vielen Möglichkeiten.
Deswegen meine Idee: Lass mal Tinder löschen und uns ganz Oldschool auf der nächsten WG-Party oder an der Supermarktkasse kennenlernen… bist Du dabei?
Headerfoto: Dimas Angga via Unsplash.com. (”Gedankenspiel“-Button hinzugefügt, horizontal gespiegelt.) Danke dafür.
Du liest meine Gedanken!
Das Problem ist einfach:
Wir können alles werden, doch können wir auch alles werden.
Berührender Beitrag!