Auf einmal sind da zwei Arme, die Dich ohne mit der Wimper zu zucken nehmen, halten, festhalten. Noch bevor Du Gefahr läufst, auf dem Boden zu zerbersten – weil es diesmal gar keinen Grund gibt aufzuschlagen. Kein Loch, keinen Abgrund, kein Ich-weiß-nicht, keinen Boden der Tatsachen, der für Dich ohnehin immer nur Enttäuschungen parat hatte.
Diesmal: Ein lautes bekennendes Ja, statt einem leisen Ja-Nein-Vielleicht, ein andermal.
Dein Zimmerchen, das Du Dir über die Jahre mit Ängsten, Verletzungen und Nicht-genug-sein eingerichtet hast, das ist plötzlich bewohnt.
Dein Zimmerchen, das Du Dir über die Jahre mit Ängsten, Verletzungen und Nicht-genug-sein eingerichtet hast, das Du immer wieder zugeschlossen hast: wieder nichts, naja Strich drunter, Schloss dran, weiter geht’s – das ist plötzlich bewohnt.
Da ist jemand, der sich gerne auf die zerschlissenen Sessel setzt, die Spinnweben von der Wand zupft, das Deckchen auf dem Tisch zurechtrückt, den Blumen frisches Wasser gibt und den Raum mit Selbstverständlichkeit füllt. Jemand, der Dir vertraut und leise seine eigenen Geschichten von kaputten Kissenbezügen und Vasen erzählt – ohne Angst vor neuen Scherben und fliegenden Daunenfedern.
Jemand, der die Löcher mit neuen Erfahrungen stopfen will, anstatt resignierend vor dem Flickenteppich davonzulaufen.
Vor gar nicht so langer Zeit ist Dir in diesem Kämmerchen alles um die Ohren geflogen.
Vor gar nicht so langer Zeit ist Dir in diesem Kämmerchen alles um die Ohren geflogen. Alle Schränke und Schubladen, in die Du immer wieder alles reingestopft hast – bloß schnell zu, ändert ja nix, macht ja nichts – sind nach der letzten Erfahrung einfach alle explodiert. Alles Angestaute, Verdrängte ist mit dem letzten Nein-ich-kann-nicht einfach detoniert.
Alles immer einfach wegzustecken rächt sich halt irgendwann, dann brechen nicht nur alle Türscharniere, sondern auch alle Dämme und es wird Zeit, sich dem zu stellen. Dem, was weh tut.
Dann nämlich, wenn Du in diesem Scherbenhaufen sitzt, entdeckst Du, dass da nicht nur verpasste Chancen – Männer, Liebeleien – liegen, sondern viele Pflaster, die Du verpasst hast, auf deine Wunden zu kleben. Du hast lieber schnell das T-Shirt darüber gezogen: Die Luft wird das schon trocknen.
Da liegen sie, die Pflaster, unbenutzt und dennoch nicht unbeschrieben. Sie erzählen, nein, sie schreien Geschichten, die Du Dir schon lange nicht mehr anhören wolltest. Alle hätten sie Dein Herz schützen können, aber Du hast sie nicht benutzt. Liebe, ja, die kann ich mir selber geben! Klar, dafür brauchst Du niemand anderen! Und das hast Du auch gut gelernt mit der Zeit. Bravo!
Liebe, ja, die kann ich mir selber geben! Klar, dafür brauchst Du niemand anderen! Was aber, wenn Dir das doch jemand anderes geben kann? Noch zusätzlich!
Was aber, wenn Dir das doch jemand anderes geben kann? Noch zusätzlich!
Ja, da ist es, das Schreckgespenst! Jetzt kommt es langsam aus seiner dunklen Ecke hervor. Bist Du es denn wert? Das ist nämlich die große Frage, die sich in all den Jahren in dem Kämmerchen eingenistet hat. Die Frage, die Du nie geschafft hast, rauszukehren. Warum eigentlich? Aus Angst, dass es wirklich so ist? Wie soll es anders sein: Die Erfahrungen zeigen es ja.
Und trotzdem sitzt da plötzlich jemand auf der alten Couch und macht es sich gemütlich. Einfach so. Und da kannst Du Angst haben, wie Du willst. Er scheint nicht auf der Durchreise zu sein.
Und wenn Du dich dann endlich auch mal setzt, dann merkst Du, dass auch er einen vollen Rucksack dabei hat. Aber der passt hier ja auch ganz gut rein. Auf damit, alles raus, sollen Eure Ängste doch einfach miteinander tanzen, dann sind sie weniger mit Euch beschäftigt.
Dann kannst Du Dich mit diesem Menschen beschäftigen, der Dich will. Der die Arme ausbreitet. Einfach so. Und Du kannst die alten Erfahrungen in Kartons packen; sie sollen ihren Platz in Deinem Zimmer behalten, aber es ist Zeit, sie zu ordnen. Schmerzhaft oder nicht, sie haben ihre Berechtigung und dennoch nicht das Recht, deine kleine Kammer zu okkupieren.
Zupf die Vorhänge zurecht, lass frische Luft hinein und häng schöne Bilder an die Wände, neben all die abgeblätterte Tapete.
Zupf die Vorhänge zurecht, lass frische Luft hinein und häng schöne Bilder an die Wände, neben all die abgeblätterte Tapete. Aber pass auf, verdeck die Risse in der Wand nicht! Er soll sehen, dass Du verletzlich bist und Du musst annehmen, dass es so ist! Sieh hin, nur dann kann Dich jemand auffangen, wenn Du fällst. Und dann, dann fällst Du endlich. Einfach so.
Ist auch eigentlich nicht schwer! Denn da ist ja jemand, um Dich aufzufangen.
Headerfoto: Allan Filipe Santos Dias via Unsplash.com. (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Dooooooch, genau DAS ist ja schwer. Weil es doch gar nicht in bekannte und alte Bild von „der geht doch eh wieder“ passt….