Können wir Freunde sein nach allem, was wir füreinander empfunden haben?

Das nächste Kapitel. Es kam so viel schneller, als ich dachte. Meine Kopfhörer spielen einen Song, den ich lange nicht gehört habe, während auf meine ausgestreckten Hände der Nieselregen prasselt. Es ist vermutlich ungefähr zwei Uhr in der Nacht. Ich weiß es nicht mehr, die letzten Stunden rasten genauso schnell wie die Gedanken nun durch meinen Kopf. Dabei fühle ich mich ganz ruhig. Ich halte für einen Moment inne im Regen. Spüre jeden einzelnen Tropfen auf meiner Haut, jede Zeile des Lieds, die ihren Platz einnimmt.

„And you could hurt me
but you wouldn’t know what to say
[…] like a life without love
God that’s just insane
But a
love without life
that shit happens every day.“

Eine abgeschlossene Geschichte?

Von meiner letzten Reise habe ich drei neue Sommersprossen auf der Nasenspitze mitgenommen, viele neue Erinnerungen und die Erkenntnis, dass ich nicht mehr an dich gedacht habe. Geschichten abschließen, das kann ich wahrlich gut. Ohne eine Hintertür offen zu lassen, durch die man sich heimlich doch wieder hineinstehlen könnte. Ich hatte dir doch erst vor Kurzem gesagt, dass es unsere nächtlichen Begegnungen nicht mehr geben wird. Keinen Schabernack mehr bis morgens um fünf, bis du deinen Heimweg antrittst. Ich wollte das alles nicht mehr. Nicht um deinetwillen, nicht, weil du mir nicht wichtig bist, sondern weil ich wusste, dass es mich daran hindern würde, neue Geschichten zu schreiben. Und dabei liebe ich genau diese doch so sehr.

Du bist wie eines dieser Lieder, die immer wieder in der Playlist auftauchen.

Dass wir zwei uns aber dennoch wieder begegnen würden, irgendwann einmal, dieses Bauchgefühl war immer da. Denn so spielt mein Leben nun einmal. Du bist wie eines dieser Lieder, die immer wieder in der Playlist auftauchen. Es war noch nie anders.

Eine Sache, die ich dir noch mitteilen möchte

Als ich dir Tschüss sagte und deine wundervoll ehrliche Antwort bekam, wusste ich, dass es noch eine Sache gab, die ich dir mitteilen möchte. Dass ich es bereuen würde, wenn ich dir diesen einen Gedanken niemals ans Herz legen würde. Du sagtest, du liebst meine Gesellschaft. Du sagtest, du brauchtest meine, ich deine aber nie. Du sagtest, auch wenn es wie ein Klischee klinge, ich verdiene die ganze Welt. Du sagtest auch, ich solle mich von niemanden für selbstverständlich nehmen lassen, erst recht nicht von dir.

Du sagtest, ich wolle mich von niemandem für selbstverständlich nehmen lassen, erst recht nicht von dir.

Heute Nacht bekam ich diese Chance. Auf deine witzelnde Nachricht, ich brauche mir heute keine Sorgen machen, du seist nicht darauf aus, mit mir nach Hause zu gehen, entgegne ich scherzend, dass das großartig sei, dass ich heute also keinen langanhaltenden Lippenstift auftragen müsse.

Das Wiedersehen

Schon als du mich wie immer auf dem Weg anriefst, bevor wir uns ohnehin einige Minuten später sehen würden, fühlte es sich anders an als die Male zuvor. Ja, sogar deine Stimme. Du und ich. Wir haben uns beide verändert. Und dennoch kein Stück.

Du und ich. Wir haben uns beide verändert. Und dennoch kein Stück.

Wieder also stehen wir mit der Zigarette in der Hand vor einer Bar, in der das gedimmte Licht auf die klebrige Theke scheint. In genau dieser Bar trafen wir uns das erste Mal. Du erzählst, dass du am Wochenende beruflich nach Kopenhagen reisen wirst. Ich finde das urig, denn ich habe erst letzte Woche meine Schwester gebeten, mit mir nach so langer Zeit einen Schwesterntrip zu machen. Nach Kopenhagen. Du scherzt und fragst, ob ich nicht schon dieses Wochenende hinreisen möchte.

Es dauert nicht lang und wir finden uns auf den viel zu einladenden Barhockern wieder. Du lässt eine kleine Bombe platzen, als du mir sagst, dass du den festen Plan hast, nach Dublin zu ziehen. Ich muss lachen, denn du weißt, das war immer mein großer Plan. Einer, den ich vermutlich nie umsetzen würde. Viel zu viel Muffe. Du sagst, du hättest jemanden kennengelernt.

Es braucht genau einen Schnaps, bis du mich fragst, was wir zwei eigentlich sind.

Dann braucht es genau einen Schnaps, bis du mich fragst, was wir zwei eigentlich sind. Du fragst mich, ob wir Freunde seien. Ob wir Freunde sein können, nach allem, was war. Ob wir es nicht eigentlich längst schon sind. Es ist eine dieser Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Du bist Meister in diesem Fach. Mich dazu zu bewegen, Antworten zu finden. Und deine Fragen von gestern sind stets meine Antworten von morgen.

Freundschaft?

Ich stocke kurz und starre an die Lampen über uns. Jetzt kommt mein Einsatz. Ich sage dir, dass ich deine Gesellschaft sehr wohl brauche, ebenso wie du meine. Dass es mir wichtig ist, dass du das weißt. Dass ich aber nicht sagen kann, ob wir Freunde sind, ob wir es jemals sein können. Ich erkläre dir, wenn wir es sein wollen, in der Zukunft, dass ich jeden Freund sehr vermissen würde, der wegzieht. Du gerätst ins Wanken und fragst mich immer wieder, ob du es wirklich tun solltest. Diesen Umzug auf diese wunderschöne Insel. Und alles in mir schreit ja. Weil ich möchte, dass du glücklich bist. Ich schaue dich an und sage: „Tu es für uns. Wenn ich es schon nie tun werde, dann doch bitte wenigstens du.“

Diese Freundschaft aber, so wie du sie dir wünschst, wird es nie geben.

Diese Freundschaft aber, so wie du sie dir wünscht, wird es nie geben. Du sagst, du wollest künftig gerne mehr Zeit mit mir verbringen. Die Zeit anders verbringen, nicht so wie in der Vergangenheit. Keinen nächtlichen Quatsch mehr bis der Morgen die ersten Sonnenstrahlen in den Tag schickt. Ich frage dich grinsend, ob du dann künftig mein Wingman sein wirst. Wieder einmal sehe ich einen innerlich hadernden, aber entzückenden Mann vor mir. Du sagst, du könnest das nicht. Vielleicht irgendwann einmal.

Und nochmal. Und nochmal. Du fragst mich mehrmals, ob wir diesen Versuch wagen würden, wenn du eben nicht in ein anderes Land ziehen würdest. Gedankenchaos. Ich nehme einen kräftigen Schluck von meinem Bier. Du und ich. Wir haben uns beide verändert. Und dennoch kein Stück.

Der Abschied

Unten in der U-Bahnhaltestelle umarmst du mich fest, bevor sich heute zum ersten Mal unsere Wege wirklich trennen. Wir nicht gemeinsam nach Hause fahren. Dein Shirt ist ganz nass vom Regen. Und mir fällt erst jetzt auf, dass du heute gar nicht so riechst wie sonst. Bevor jede:r eine andere Rolltreppe nimmt, schauen wir uns beide noch einmal hinterher. Ich weiß nicht, ob ich jemals eine Freundin für dich sein kann. Ich weiß es nicht. Verdammt, ich weiß es nicht.

Ich weiß nicht, ob ich jemals eine Freundin für dich sein kann.

Ich spüre jeden einzelnen Regentropfen auf meiner Haut. Jedes Wort von dir rattert durch meinen Kopf. Kopenhagen. Reisen. Intimität. Freundschaft. Die neue Frau. Sich öffnen. Reden, wenn man sonst nie redet. Zerrissenheit. Lachen. Etwas wagen. Erinnerungen. Lieder. Pläne. Vergangenheit. Das Jetzt. Die Zukunft.

Es ist ungefähr zwei Uhr in der Nacht. Der Regen prasselt auf meine Hände, auf mein Gesicht. Und ich habe keine Antwort parat. Ich habe noch keine Antwort parat. Ich singe leise mit geschlossenen Augen für mich: „…that shit happens every day.“

Headerfoto: Ron Lach (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

Valerie verliert zwischendurch mal die Orientierung, findet aber immer wieder auf die Spur zurück. Leere Worte gibt es für sie nicht. Ganz im Gegenteil. Valerie hofft, schreibt, lacht, flaniert. Mehr zu Valerie findet ihr auf Instagram.

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