Ja heißt ja – Wie es heute um die Konsens-Debatte beim Sex und im Miteinander steht


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Im Jahre 1990 fand sich eine Gruppe Frauen am Antioch College in Ohio zusammen, um über ein immer größer werdendes Problem an ihrem Campus zu sprechen: Vergewaltigung. Damals entwarfen sie das erste Programm zur Verhinderung von Sexueller Gewalt (Sexual Offense Prevention Policy, kurz SOPP).

Damit legten sie, ohne es zu wissen und Jahre bevor das Konzept in der öffentlichen Debatte ankam, den Grundstein für den eindeutigen Konsens: Zwei Menschen geben, bevor sie miteinander schlafen, klar und deutlich an, dass der Sex einvernehmlich passiert.

Damals gab die Gruppe den Antioch-Studierenden nämlich den Rat, ihre*n Partner*in bei jedem Schritt innerhalb von sexuellen Begegnungen zu bitten, ihr oder sein Einvernehmen auszudrücken: Vom ersten Kuss übers Ausziehen bis hin zu Oralsex und Penetration. Das ist quasi die Umkehrung des in den letzten Jahren aufgekommenen „Nein heißt Nein“: Hier heißt ja, ja.

Offensichtlich war die Gruppe ihrer Zeit weit voraus. Über ihr Programm und den Rat wurde nämlich gnadenlos gelacht und hergezogen, und zwar nicht nur von ihren Mitstudent*innen, sondern sogar bei Saturday Night Live.

Fast dreißig Jahre später haben die Leute endlich eingesehen, wie sinnvoll das Konzept des eindeutigen Konsens ist.

Fast dreißig Jahre später haben die Leute endlich eingesehen, wie sinnvoll das Konzept des eindeutigen Konsens ist. Aktuell geht die Entwicklung sogar noch einen Schritt weiter: Die Forderung nach Konsens, der nicht nur verbal, sondern auch körperlich ausgedrückt wird, macht derzeit die Runde.

Zwar sollen die Partner sich nach wie vor bei jedem Schritt ihrer sexuellen Begegnung gegenseitig nach ihrer verbalen Zustimmung fragen, jedoch ist mittlerweile auch bekannt, dass manche Menschen sich vielleicht dadurch unter Druck gesetzt fühlen, ja zu sagen, obwohl sie eigentlich nein meinen. Deswegen sollen Menschen zusätzlich auf nonverbale Hinweise achten: Küsst der oder die Partner*in zurück, stöhnt er oder sie, drückt seinen oder ihren Rücken durch oder sendet sonstige klare Signale dafür aus, angeturnt zu sein?

Als die #MeToo-Debatte in Fahrt kam, wurde auch das Thema Konsens neu aufgerollt. Jetzt wurde das erste Mal auch über den männlichen Faktor gesprochen. Wir als Gesellschaft sollten uns daher fragen, woran es liegt, dass manche Männer tatsächlich nicht der Meinung sind, dass Frauen ebenbürtige Partnerinnen sind, deren Einwilligung zum Sex oder dessen Ablehnung genauso viel zählt wie ihre eigene.

Wir fangen gerade erst an, das gängige Männlichkeits-Konzept in unserer Kultur zu dekonstruieren.

Wir fangen gerade erst an, das gängige Männlichkeits-Konzept in unserer Kultur zu dekonstruieren. Und wir haben noch nicht darüber gesprochen, wie sexuelle Belästigung, sexuelle Übergriffe und Konsens je nachdem, welche Ethnie, Religion, Geschlechteridentität, sexuelle Orientierung, finanziellen Hintergrund und Intellekt eine Person hat, wahrgenommen werden.

Wir müssen die Konsensdebatte deshalb zukünftig in allen Bevölkerungsgruppen führen. Für diesen Artikel haben wir mit drei Experten für sexuelle Aufklärung gesprochen: Bethany Saltman schrieb im Jahre 1990 mit am SOPPTed Bunch ist Mitgründer der Gewaltvorbeugungsorganisation A Call To Men und Bianca Laureano hat ein Netzwerk für sexuelle Gesundheit bei schwarzen Frauen gegründet. Unsere Freunde von Refinery29 sprachen mit ihnen darüber, wie sich der Konsensbegriff entwickelt hat, welche Aspekte aktuell noch in der Diskussion zu kurz kommen und was die nächsten Schritte sein müssen, damit sexuelle Übereinkunft für alle zu einem klareren Konzept wird.

Bethany Saltman schrieb 1990 am Programm zur Verhinderung von Sexueller Gewalt am Antioch College mit, das als erstes seiner Art gilt.

Foto: Hillary Harvey.

Wie war es Anfang der 1990er am Antioch College? Wie ist Ihre Gruppe dazu gekommen, über Konsens zu sprechen? 

Wir hatten von Frauen gehört, die vergewaltigt wurden und für die nichts getan wurde. Deswegen entschieden wir uns, das zu übernehmen. Als wir darüber sprachen, was wir ändern wollten, dachten wir darüber nach, ob die Vergewaltigungen passiert waren, weil die Frauen nicht deutlich gezeigt hatten, dass sie keinen Sex wollten. So wurde es damals nämlich immer hingestellt.

Unschuldig wie wir waren, sagten wir damals: „Wenn das das Problem ist, warum drehen wir das Ganze dann nicht einfach um? Warum sagt nicht jeder ab jetzt explizit ja?“ Und zwar nicht nur zu Sex, sondern zu jeder Situation, die dorthin führen kann.

Erst vor kurzem haben die Leute erkannt, wie gut Ihr Programm war. Wie lange glauben Sie wird es noch dauern, bis sich radikal etwas verändert? 

Generationen. Es gibt immer noch jede Menge Leute, die finden, dass eindeutiger Konsens verrückt und lächerlich ist. Auch die rechtlichen Definitionen von Vergewaltigung und sexueller Gewalt ändern sich [in den USA] nur langsam.

Fehlt Ihrer Meinung nach gerade noch ein Aspekt in der Konsensdebatte?

Die Leute reden langsam über die Freude am eindeutigen Konsens. Das würde ich gerne noch öfter sehen: Konsens bedeutet zärtlich und lustvoll mit uns selbst und unseren Körpern umzugehen. Sexueller Genuss sollte nicht in den dunklen Kammern des Verlangens versteckt werden.

Um ja sagen zu können, müssen wir den Sex wirklich wollen.

Je aufgeklärter unsere Gesellschaft wird, desto mehr werden wir feststellen, dass wir mit uns selbst ehrlich sein und alle Varianten der menschlichen Sexualität akzeptieren können. Zu spüren, was es bedeutet, wirklich [sexuelle] Freude zu empfinden und zu uns selbst ja zu sagen, ist besonders für Frauen wichtig. Denn um ja sagen zu können, müssen wir den Sex wirklich wollen.

Denken Sie, dass auch männliche Stimmen Platz in der Diskussion finden?

Sicher. Ich bringe meiner Tochter von klein auf bei, eindeutig einzuwilligen. Sie bestimmt, wer sie anfassen und küssen darf. Und das müssen wir allen Kindern vermitteln, Mädchen und Jungen. Jeder von uns wird mit bestimmten Fähigkeiten geboren, und wie man die anderen gegenüber respektvoll einsetzt, ist entscheidend. Deswegen muss wirklich jeder einzelne von uns in diese Unterhaltung einsteigen.

Führen verschiedene Gesellschaftsgruppen unterschiedliche Gespräche über das Thema Konsens?

Auf jeden Fall. Schwarze Frauen werden anders sexualisiert als weiße Frauen und andersrum. Ich würde mich freuen, wenn alle Gespräche mit der Haltung geführt werden, erstmal so viel wie möglich zuzuhören.

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Ted Bunch, Mitgründer der Gewaltvorbeugungsorganisation A Call To Men

Foto: Lynn Savarese.

Als #MeToo in vollem Gange war, fingen viele Leute an, über die Erziehung von Jungen zu sprechen. Denken Sie, das ist ein wichtiger Aspekt der Konsensdebatte?

Ja, ein riesiger! Wenn wir in unseren Workshops mit Jungen im Teenageralter sprechen, fragen wir am Anfang immer: „Kannst du erklären, was Konsens ist?“ Das können tatsächlich nur 19 Prozent, und da wird das Problem schon deutlich. Acht von zehn Jungen wissen nicht mal, was Konsens ist.

Das erklärt, wieso Mädchen und junge Frauen zwischen 16 und 24 das größte Risiko haben, sexuelle Gewalt zu erfahren. Die Jungen denken, ein Nein bedeutet, dass sie sich mehr anstrengen müssen. Sie denken, ein Nein bedeutet, dass sie Mädchen betrunken machen müssen oder dass sie die Sache nicht richtig angehen.

Jungen wird beigebracht, dass man Mädchen und Frauen erobern muss.

Jungen wird beigebracht, dass man Mädchen und Frauen erobern muss. Sie sollen nicht mal ein Interesse an Mädchen und Frauen haben, das über das Sexuelle hinausgeht. Wenn ein Junge auch Mädchen als Freunde hat, wird er immer noch Männer in seinem Leben haben, die ihn fragen werden, wieso er Zeit mit einem Mädchen verbringt, mit dem er gar nicht schlafen möchte. Das geht gegen das Bild, das viele noch von Männlichkeit haben.

Wenn wir als Erwachsene mit Teenagern über Sex sprechen, dreht sich alles darum, ihnen einzutrichtern, ein Kondom zu benutzen. Das ist wichtig. Aber wir reden nicht über Grenzen, nicht über Respekt. Also ja, die Erziehung von Jungen ist ein großer Teil der Lösung.

Was können Männer gerade tun, um zur Diskussion beizutragen?

In meinen Augen ist das Schöne an der #MeToo-Bewegung, dass sie für uns alle ein Denkanstoß war, uns anzuschauen, welche Auswirkungen unser Handeln eigentlich auf andere Leute hat. Ich glaube, dass es da draußen keinen einzigen Mann gibt, der nicht schon einmal etwas gesagt oder getan hat oder Zeuge geworden ist, wie ein anderer Mann sexuelle Gewalt oder irgendeine Art von Diskriminierung gegen Frauen ausübt.

Was gerade passiert, ist, dass Männer einsehen müssen, dass es nicht ausreicht, sich den Frauen in ihrem Leben gegenüber korrekt zu verhalten. Sie müssen überlegen, wie sich ihr Verhalten auf andere Frauen und Mädchen auswirkt und was sie hier besser machen können.

Wie lange dauert es noch, bis sich der Blick der Leute auf das Thema Konsens verändert?

Ich bin sehr motiviert, weil wir gerade die nächste Generation heranziehen. Wenn man in die Geschichte blickt, fällt auf, dass wir das Problem [der sexuellen Gewalt] in der Vergangenheit mit disziplinarischen Maßnahmen angegangen sind. Es musste erst etwas passieren und dann wurde darauf reagiert.

Jetzt aber arbeiten wir in Richtung Vorbeugung, sodass diese Sachen erst gar nicht passieren. Deswegen ist es auch so wichtig, darüber zu sprechen. Und unsere Generation ist die erste, die für das verantwortlich gemacht wird, wofür Männer in der Vergangenheit nie belangt wurden.

Bianca Laureano, Gründerin des Women Of Color Sexual Health Network

Foto: Uche Wogeugu.

Was fehlt aktuell in der Konsensdebatte, die im Mainstream geführt wird?

Leute verorten Konsens immer in ein sexuelles Umfeld. Was toll ist, denn da gehört er hin. Aber er gehört auch in alle anderen Bereiche des Lebens: Wenn wir zum Arzt gehen oder nur auf die Straße, in der Schule sind und zu Hause. Jeder Mensch hat das Recht darauf, zu entscheiden, was mit seinem Körper passiert, egal ob beim Sex oder einer Untersuchung. Viele Leute setzen diese beiden Lebensrealitäten nicht miteinander in Verbindung.

Die Diskussion über Konsens, die wir aktuell noch führen, ist also eine sehr eindimensionale, die sich nur um Sexualität dreht. Und die Gespräche, die wir über Sexualität führen, sind auch sehr begrenzt und drehen sich großteils um die Frage: „Wie werden Leute nicht zu Vergewaltigern?“

Glauben Sie, dass sich erst etwas Grundlegendes in der Gesellschaft ändern muss, bevor wir verändern können, wie Menschen über Konsens denken?

Ich denke, ein klares Verständnis von Rechenschaft und Verantwortung zu besitzen, und zu verstehen, dass diese beiden Dinge vorhanden sein müssen, um Teil einer Gemeinschaft zu sein, Teil einer Familie, eines Teams, einer Gesellschaft, ist unerlässlich. Und wenn ich das sage, meine ich damit vor allem auch Leute, die nur daneben stehen, wenn etwas passiert. Darüber reden wir in letzter Zeit häufiger: Die Wechselwirkungen und die Verantwortung von Leuten, die vielleicht nicht aktiv sind, aber die sehen, was passiert.

Ich war neulich am Flughafen. Es war brechend voll. Ich stand allein dort und weinte hysterisch. Und was ist passiert? Alle standen nur da und haben geguckt. Irgendwann kam ein Mann auf mich zu und hat mich gefragt, ob ich Hilfe bräuchte. Ich sagte ja. „Und was brauchen Sie?“ „Meine Mutter ist gerade gestorben und mein Flug wurde gestrichen. Ich muss einen anderen Flug buchen.“ Alle anderen Leute starrten mich einfach weiter an.

Viele Menschen wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen, wenn sie mit Dingen wie Tränen, Gewalt oder sogar lautem Lachen konfrontiert werden.

Viele wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen, wenn sie mit Dingen wie Tränen, Gewalt oder sogar lautem Lachen konfrontiert werden. Deswegen glaube ich, dass wir weiterkämen, wenn wir alle Verständnis, Verantwortung und Rechenschaft lernen würden.

Haben Sie das Gefühl, das in unterschiedlichen Gruppen verschiedene Diskussionen geführt werden? Reden weiße Frauen anders über Konsens als beispielsweise schwarze Frauen?

Auf jeden Fall. Genauso gibt es aber auch Gemeinsamkeiten. All diese Gruppen, die aus Menschen bestehen, die sich als Frauen identifizieren, reden darüber, wie sie jeden Tag aufs Neue mit Frauenfeindlichkeit konfrontiert werden. Nur wie sie darüber reden und welche Beispiele sie anführen, ist unterschiedlich.

Schwarze Frauen erzählen beispielsweise, dass jemand sie eine „schwarze Schlampe“ genannt hat. Das ist nicht nur frauenfeindlich, sondern auch rassistisch. Weiße Frauen werden auch „Schlampe“ genannt, aber nicht „weiße Schlampe“. Konsens hat jedoch nichts mit der Hautfarbe zu tun.

In Gesellschaftskreisen, in denen nicht viel Geld vorhanden ist oder in denen Geld sehr unterschiedlich verteilt ist, hat die Konsensdebatte auch viel mit Macht zu tun. Beispielsweise sprechen Menschen, die innerhalb ihres Jobs bei einem erfolgreichen Konzern sexuelle Gewalt erfahren haben, oft sehr diskret über ihre Erlebnisse.

Es lässt sich also festhalten, dass überall darüber gesprochen wird, die Art wie wir sprechen aber sehr unterschiedlich ist.

Denken Sie, dass diese unterschiedlichen Gespräche verschmelzen müssen, wenn wir wirklich etwas bewegen wollen?

Manchmal müssen wir erstmal voneinander getrennte Gespräche führen, damit Menschen sich in Gruppen zu Wort melden können, in denen die Schwelle für sie nicht so groß ist. In einem geschützten Raum drüber zu reden, was dir passiert ist, ist manchmal notwendig, um zu verstehen und dich zu versichern, dass es wirklich passiert ist.

Denn wenn du beispielsweise eine schwarze Frau bist, die eine Auseinandersetzung mit einer weißen Frau hatte und um dich rum waren nur Weiße, die nichts gemacht haben, ist deine Wut grenzenlos. Wenn du darüber aber nicht mit anderen schwarzen Menschen sprechen kannst, passiert es schnell, dass du denkst: „Übertreib ich es vielleicht gerade ein bisschen? Was passiert hier eigentlich?“ Das ist extrem gefährlich, weil es dazu führt, dass du deine Wahrnehmung der Realität in Frage stellst.

Aber wir leben in einer Welt, in der wir mit anderen in Kontakt treten und Verbindungen aufbauen müssen. Deswegen müssen wir anfangen, Gespräche mit Menschen aus verschiedenen Kulturen und Ethnien zu führen, um zu verstehen, was aus der Perspektive von anderen Leuten passiert.

Wie muss sich die Konsensdebatte, die aktuell im Mainstream geführt wird, ihrer Meinung nach verändern?

Das Konzept des Konsens, der nicht nur verbal, sondern auch körperlich ausgedrückt wird, macht mich wahnsinnig. Erstens ist er behindertenfeindlich und zweitens können auch hier Leute wieder nur so tun, als seien sie angeturnt, um sich selbst zu schützen.

Jemand, der zustimmt, fühlt sich in der Situation wohl und versteht die Handlungsoptionen, die er oder sie hat.

Denn was heißt das für neuro-diverse Menschen, die Begeisterung anders ausdrücken, als die Gesellschaft es von ihnen erwartet? Wenn Leute ein anderes Bild davon im Kopf haben, wie Konsens aussieht, als ich fähig bin auszudrücken, bekomme ich nicht, was ich brauche.

Es ist nicht einfach, eine Konsensdefinition zu finden, die nicht behindertenfeindlich ist, aber ich versuche es mal: Direkte Worte, Verhaltensweisen und Handlungen, die freiwilliges Einvernehmen signalisieren.

Jemand, der zustimmt, fühlt sich in der Situation wohl und versteht die Handlungsoptionen, die er oder sie hat. So jemand wurde weder gezwungen noch manipuliert und auch nicht unter Drogen oder Alkohol gesetzt.

Ich würde mich freuen, wenn wir an den Punkt gelangen, an dem es normal ist, nach dem zu fragen, was wir wollen. Das sollte keine große Sache sein, derer wir uns schämen.

Headerfoto: Stockfoto von Kristina Korotkova/Shutterstock. („Gesellschaftsspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

Text: Kasandra Brabaw.

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