Ich habe ein Helfersyndrom. Aber ich bin gut darin, anderen zu helfen, auch weil ich gelernt habe, mir selbst zu helfen. Ich helfe also gern. Und meine Hilfe kennt keine Grenzen. Ich helfe bedingungslos. Ich helfe auch selbstlos. Ich muss mich aber auch manchmal abgrenzen, um mich selbst nicht hilflos zu fühlen, abgrenzen, um nicht am Ende selbst Hilfe zu brauchen – und ich denke, das gelingt mir ganz gut.
Ich lernte diese Frau kennen. Henriette* (*Name geändert). Unser Kennenlernen an sich war schon kurios. Denn als wir uns kennenlernten, fühlte ich mich wirklich hilflos.
Dennoch schrieben wir einige Male hin und her. Es war sehr leicht und überhaupt nicht schwer. Die Schmetterlinge schienen beidseitig im Anflug, denn diese emotionale Nähe, die sich da aufbaute, mit so vielen Übereinstimmungen, war schon sehr beeindruckend. Spontan beschlossen wir, uns am nächsten Tag zu treffen.
Wenn sich etwas gut anfühlt, dann muss es richtig sein – davon ging ich jahrelang aus.
Es fühlte sich einfach gut an und vor allem mein inneres Kind dachte, es wäre richtig. Wenn sich etwas gut anfühlt, dann muss es richtig sein – davon ging ich jahrelang aus. Dieser Spruch: „Bereue nichts, wenn Du in dem Moment glücklich warst“– er begleitet mich schon ein Leben lang.
Jedoch zeigte sich schon nach recht kurzer Zeit, dass bei ihr viele ungeklärte Themen im Raum standen. Ich kenne es aus Filmen oder Bilderbüchern für Kinder, in denen es heißt, dass man gemeinsam stark ist und wenn das Vertrauen und vor allem die Zuversicht da ist, dass man sich gegenseitig unterstützen kann – da, wo es nötig ist. Und ich glaube auch daran, dass es möglich ist, gemeinsam stark zu sein, wenn es denn auf Gegenseitigkeit beruht.
Sie war aber ein sehr freiheitsliebender Mensch, bedingt durch ihre bisherigen Erfahrungen. Ihre größte Angst war und ist es, andere zu enttäuschen, bzw. zu verletzen, weil sie befürchtete, nicht zu genügen, also dem anderen nicht im gleichen Maße das zurückgeben zu können, was sie erhält.
Das ist es, was sie mit ihrer liebenswürdigen Art zu verstecken versuchte. Sie erzählte ganz stolz, dass die Leute um sie herum gerne ihren Rat suchten. Aber sie erzählte ebenso, dass es ihr schwer falle, sich im Gegenzug anderen zu öffnen.
Mir gegenüber öffnete sie sich. Sie erzählte mir alles aus ihrer Kindheit und ich war glücklich und dankbar zugleich. Ich glaubte also, sie vertraute mir. Aber vermutlich vertraute sie mir nur auf der Ebene, die ihr bewusst war, und nicht auf der Ebene, die sie für sich selbst noch nicht einordnen konnte.
Ich weiß, wie schwierig es ist, sich zu öffnen, wenn man vorher sonst nur für andere da war.
Ich kenne das auch von mir. Ich war mal genauso. Und ich weiß, wie schwierig es ist, sich zu öffnen, wenn man vorher sonst nur für andere da war. Mein Weg zum HIER und JETZT war auch nicht leicht, aber ich bin den Weg gegangen und das freut mein inneres Kind sehr.
Nach dem ersten Treffen jedoch schwebten wir beide auf einer Wolke. Es fühlte sich gut an, zumal wir uns zum Abschied sehr innig küssten.
Kurz darauf jedoch ereilten sie die ersten Zweifel. Sie fragte sich, ob ich der Mann sein kann und will, der mit ihr IHREN WEG gehen möchte. Ich war verliebt und traute mir das durchaus zu. Ich glaubte wirklich, dass die LIEBE alles möglich macht, weil sie ja bedingungslos ist. Es wird sooft nur eines dabei vergessen. Wenn kaum oder keine Selbstliebe vorhanden ist, dann ist die Liebe eher einseitig und eingeschränkt.
Nach allem, was ich bisher erlebt und erfahren und später dann auch reflektiert habe für mich, so komme ich zu diesem Ergebnis: „Der Mensch ist tatsächlich die Summe all seiner Erfahrungen“ – und wer bislang wenig bis gar keine Selbstliebe empfunden hat, der wird es nicht glauben können, wenn jemand anderes ihn liebt.
Wer wenig bis gar keine Selbstliebe empfunden hat, der wird es nicht glauben können, wenn jemand anders ihn liebt.
Und dieses Resultat machte sich auch zwischen uns bemerkbar. Sie vertraute mehr auf mich als auf sich selbst. Sie machte sich von meiner Bestätigung abhängig, die sie aber weder annehmen noch erwidern konnte. Sie hatte bis dahin diese bedingungslose Liebe niemals kennengelernt.
Dies zu erkennen machte mich sehr traurig, denn ich merkte für mich, dass meine Liebe sie im Grunde gar nicht erreichte. Sie löste nichts aus. Sie stieß nicht auf Gegenliebe. Was ich in den letzten Tagen und Wochen gespiegelt bekam, ließ mein inneres Kind auch etwas ohnmächtig werden. Jedoch habe ich keinerlei Selbstzweifel. Denn ich liebe mich ja selbst und ich finde mich auch gut genug.
Ich jedenfalls stelle mir unter einer Liebesbeziehung etwas anderes vor. Ich fühle mich aber nicht im Stande, ihren Mangel an Selbstliebe auszugleichen. Ich möchte mich auch nicht abhängig machen und darauf hoffen, dass ich sie dann doch irgendwann erreiche. Ich will einfach ihr Freund sein – nicht ihr Therapeut.
Ich habe in meinem Buch „Ein Narzisst packt aus“ auch schon über dieses Thema geschrieben und diese Ohnmacht zu ertragen kratzt letzten Endes auch am Selbstwert. Denn wenn man sich für den anderen immerzu aufopfert und aus „illusorischer“ Liebe glaubt, dass man diesen Mangel an Selbstliebe beim anderen ausgleichen kann, dann entsteht ein Defizit, das einen Ausgleich erfordert, den der andere gar nicht erbringen kann, weil da einfach NICHTS ist.
Ich kann ihr nicht beibringen, sich selbst zu lieben, denn ich bin emotional leider zu sehr mit ihr verbunden. Ich war verliebt in eine Illusion und diese Erkenntnis schmerzt doch sehr.
Ich muss jetzt also für mich sorgen. Und das tue ich. Ich wünsche dieser Frau alles Gute. Ich werde ihr eine Freundschaft anbieten, vielleicht auch ein Coaching, aber mit Sicherheit keine Beziehung, denn auch wenn man so schön sagt „Was noch nicht ist, kann ja noch werden“, bedeutet das nicht, dass man jemanden bedingungslos liebt – ohne bedingungslos zurück geliebt zu werden.
Einseitige Liebe ist alles andere als erfüllend. Sie raubt Energie. Sie nimmt Lebensqualität.
Denn dann ist diese Liebe nur einseitig. Und einseitige Liebe ist alles andere als erfüllend. Sie raubt Energie. Sie nimmt Lebensqualität und sie ist wie ein Hemmschuh, der nicht abgelegt werden kann. Auch wenn die Hoffnung zuletzt stirbt. Aber nichts ist schlimmer, als hoffnungslos verliebt zu sein in jemanden, der diese Gefühle einfach nicht erwidern kann. Denn ohne Selbstliebe ist Nächstenliebe einfach unmöglich.
Headerfoto: matheusferrero via Unsplash. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!