Ganz langsam, so langsam als würde ein Blatt von einem Baum fallen, vom Wind aufgefangen, nochmals in die Lüfte gehoben, um dann doch gen Boden zu segeln, streifen deine Lippen über meine Haut, ohne sie zu berühren. Ein Millimeter Luft liegt zwischen deinen Lippen und meiner zur Zerreißung gespannten, vor Wollust glühenden Haut.
„Du darfst das nicht tun“, denke ich und sehne mich mehr als alles andere auf der Welt nach deiner Berührung. Ein Mal, einen einzigen Moment, in der Vergangenheit, hat es gegeben, als deine Haut tatsächlich auch meine berührte. Wir standen vor einem Café, hatten zusammen gegessen und verabschiedeten uns.
Wie du dich anfühlst
An jenem Nachmittag sprachen wir darüber, was wir für einander empfanden, ohne es direkt auszusprechen. Ich erinnere mich, dass ich dich nicht ansehen konnte, weil ich zu verbrennen glaubte, wenn ich dir in die Augen sah. So starrte ich immer wieder auf mein Essen, welches ich nicht herunter bekam. Viel zu sehr lag der schwere, schwarze Brocken, den meine Schuldgefühle erzeugten, mir im Magen, als dass ich auch nur einen Bissen hätte herunterbringen können.
Ja, an jenem Nachmittag wurde uns klar, was wir wollten und ebenso, was wir nicht haben durften. Ich, verheiratet. Du, vergeben. Wir, unsere Partner liebend. Aber eben auch einander. Als wir uns an diesem warmen, wolkenfreien Wochentag in die Arme nahmen, um einander zu verabschieden, hielten wir uns fest, wie zwei Schiffbrüchige, die drohen zu ertrinken. Beim Lösen dieser Umarmung glitt deine Wange ganz sachte an meiner vorbei. Millisekunden einer Berührung, Millimeter davon entfernt, ein Kuss zu werden.
Ich bin wie Wachs in deinen Händen. Weicher, heißer Wachs, der dir durch die Finger rinnt und auf deinen Körper tropft.
Diese kleine, zarte Berührung entfachte ein Feuerwerk in mir. Millionen und Abermillionen winziger Zellen in mir explodierten gleichzeitig. Die Härchen auf meinen Armen stellten sich auf, als wäre mir kalt und gleichzeitig durchschoss eine Hitze meinen Körper, dass ich glaubte, ich verbrenne. Das war die einzige Berührung, die wir jemals teilten. Das einzige Mal, dass ich den blassen Hauch einer Vorstellung davon bekam, wie du dich anfühlst. Es brachte mich um den Verstand.
In jener Sekunde hättest du alles mit mir machen können. Ich wusste nicht mehr, wer ich war. Ich hatte keine Erinnerung mehr an mein früheres Leben oder meine Zukunftsvorstellungen. Du hättest mein Leben zerstören können. Du hattest diese Macht über mich. Jetzt gerade könntest du es erneut. Du müsstest diese Karte nur ausspielen. Ich bin wie Wachs in deinen Händen. Weicher, heißer Wachs, der dir durch die Finger rinnt und auf deinen Körper tropft.
Wie komme ich nur immer wieder in diese Situation? Wie eine Maus, die stets in die gleiche Falle läuft, die wiederum nie zuschnappt. „Verdammt“, denke ich. Als ich noch vor zwei Sekunden in den Fahrstuhl stieg, war ich ganz in meinen Arbeitsmodus versunken. Die Türen schlossen sich, doch dann griff eine Hand dazwischen und sie gingen erneut auf.
Nur du, ich und der Fahrstuhl
„Warten Sie“, riefst du, bevor du wusstest, wer ebenfalls in diesem Fahrstuhl stand. Ich. Es verging eine einzige Millisekunde, die sich anfühlte wie eine zähe Ewigkeit, in der du realisiertest, wer hier steht und dass wir vollkommen allein sind. Für drei Stockwerke.
Mit einem Schritt warst du bei mir. Mit einem Schritt war ich an die Rückwand gedrückt. Ein einziger Schritt, so verhängnisvoll. Ich hielt mich an der Haltestange in meinem Rücken fest, so fest, dass die Knöchel auf meinen Fingern weiß hervor traten. Ich drohte zusammenzubrechen wie ein implodierender Planet, der seine Umlaufbahn so lang schon um dich gerichtet hatte und nun einfach nicht mehr konnte.
Deine Hände packten die meinen, sodass ich mich rein gar nicht wehren konnte (als ob ich das jemals getan hätte). Dein Gesicht näherte sich meinem. Da stehen wir nun, dein Atem auf meiner Haut, meiner Wange, meinem Ohr, meinem Hals. Ich, die die Augen starr geradeaus halten muss, um nicht zu vergessen, wer sie ist.
Deine Hände packten die meinen, sodass ich mich rein gar nicht wehren konnte.
Die Zeit dehnt sich bis ins Unendliche. Wie lang kann eine Fahrstuhlfahrt sein? So lang wie ein Leben. Ein Leben, welches nicht das unsere ist. Ein Leben in einer Parallelwelt, in der wir rein gar nichts Falsches tun. Aber was tun wir schon? Nichts. Nichts.
„Du weißt, wie sehr ich das tun will … und nicht tun kann…“, sagst du, ohne den winzigkleinen Abstand, der zwischen dir und mir liegt, zu verändern.
„Ich will dich so sehr, dass ich explodieren könnte, wenn meine Lippen nur einmal deine Haut berühren könnten.“
„Es tut mir leid.“
Ein Ping ertönt in einer fernen Galaxie und die Fahrstuhltüren öffnen sich. So schnell, wie du gekommen warst, bist du wieder verschwunden.
Aus meinem Auge rollt eine zaghafte Träne. Sie trägt eine tonnenschwere Last, die wir schleppen und nicht ablegen können. Sie trägt all die Trauer darüber, dass ich dich niemals besitzen, niemals spüren darf. Sie fällt zu Boden, wie ein Stein. Mit ihrem Aufschlagen trete auch ich aus dem Fahrstuhl und versuche zu vergessen, was geschehen war. Wie jedes verdammte Mal.
Headerfoto: Mädchen im Schlafzimmer via Shutterstock.com. („Sexy Times“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Ich kann dich so gut nachvollziehen sozusagen!Es ist pure Dramatik in solch einer Situation zu sein.Glücklich und unglücklich zu gleich…niemand versteht einen und man versucht immer die Gedanken auf Spur zu halten.Doch so oft scheitert man und so oft fängt man wieder vorn an.
Schön wieder etwas von dir zu lesen, sozusagen.
Schön das zu hören.