Ich bin naiv. Sogar sehr. Früher ist das nicht so aufgefallen, da konnte ich das noch auf mein Alter schieben. Da war es noch gerechtfertigt. Kindlicher Leichtsinn halt. „Ja gut, sie ist ja noch 17, sie lernt das schon noch“, haben sie damals gesagt. Mittlerweile bin ich 25 und es ist kein Stück besser geworden. Dieses Kopfschütteln. Immer dasselbe. Und dazu noch dieses leicht angedeutete Lächeln und dieses: „Süß.“
Ich werde belächelt, nicht ernst genommen. Belehrend, leicht von oben herab. „Wir meinen es doch nicht böse. Ist doch gut, naiv zu sein.“ Diesen Stempel trage ich schon lange mit mir rum. Denn einer meiner grundlegenden Charakterzüge ist, ich bin furchtbar romantisch. Nicht unbedingt mit rosa Firlefanz und Märchengetue, aber schon sehr grenzwertig. Ich bin eine von denen, die bei furchtbar kitschig-geschmacklosen Liebesfilmen tierisch seufzen müssen. Dass ich dafür wertende Blicke ernte, kenne ich schon. Bei vielen Filmen kommen mir sogar die Tränen. Es ist schrecklich. Zu viel Emotionalität, zu viele Hormone, keine Ahnung, wo ich mit damit hin soll.
Außerdem bin ich Prediger der einen großen Liebe. Bei dem Wort Liebe fangen meine Augen an zu glühen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir sie alle finden werden. Früher oder später. Auch wenn es schwer ist. Und ja, auch in Berlin. Inmitten dieser Schnelllebigkeit. Irgendwo zwischen Tinder-Date und „was Lockerem“.
Wenn ich einen Menschen kennenlerne, dann gehe ich grundsätzlich davon aus, dass er gute Absichten hat und etwas Besonderes ist. Auf seine Weise. Und ich benutze bewusst das Wort des letzten Jahres: ein Gutmensch. Nur habe ich mit Männern mal mehr, mal weniger Gemeinsamkeiten. Mal ist die Anziehung stärker, mal schwächer. Wie zwei Magneten. Wenn es nicht passt, dann sage ich mir: „Ist es einfach nicht mein Mensch, nicht mein Gegenpol.“
Dies kann unterschiedliche Gründe haben. Gründe, die wir nicht immer voraussehen können, die wir uns aber auch nicht immer erklären müssen. Das spart uns einen Haufen Zeit und Energie. Und es ist tatsächlich sehr einfach, denn auch ich habe ein kompliziertes Innenleben und eine unlimitierte Dauerkarte fürs Gedankenkarussell. Es hat lange gedauert, dies zu realisieren, viel mehr noch ist es ein langer Prozess, der noch andauert.
EIGENWERBUNGDenn was viele nicht wissen: Ich musste mir den Leichtsinn anlernen, antrainieren. Mein gesamtes Leben fiel es mir schwer, die Kontrolle zu verlieren, mich fallen zu lassen. Dinge dem Zufall zu überlassen. Klassischer Fall eines Kontrollfreaks. In ständiger Angst vor dem Unbekannten, Unerwarteten oder vor bösen Überraschungen. Immer war ich verunsichert, alles habe ich angezweifelt, leichtsinnige Entscheidungen von anderen schnell verurteilt. Ich kam mir vernünftig vor. Das krampfhafte Gefühl von Kontrolle in allen Bereichen meines Lebens zu haben, gab mir ein Gefühl von Stabilität, innerer Ordnung. Ich mochte Gewohnheit, Struktur. Mein Leben war durch und durch geplant – das reichte bis hin in die Zukunft. Das befriedigte mich, gab mir das Gefühl, mir könne nichts mehr passieren.
Nur war diese Ordnung ein Trugschluss, denn in mir war es alles andere als aufgeräumt. Spontanität war ein Fremdwort für mich, meine Sphäre ziemlich beschränkt, man könnte sie sogar langweilig nennen. Die Schule des Lebens lehrte mir dann mit der Zeit, dass ich das Leben leider nicht planen kann. Nicht steuern. Nicht beeinflussen. Plötzlich hatten all die Pläne, all meine Vorstellungen, Illusionen herzlich wenig mit der Realität zu tun. Und dann stand ich da. Mit meinen Plänen, die nicht mehr greifbar, nicht mehr sonderlich viel wert waren. Nur noch ein flüchtiger Gedanke vielleicht. Nach und nach stellte ich dann aber fest, dass ich zwar nicht ganz unsterblich bin, aber fast.
Oft hindert uns die Angst, oft trauen wir uns zu wenig zu. Dinge, die passieren, passieren eben. Schon bald sind sie wieder passé. Bald ist selbstverständlich ein dehnbarer Begriff, der bei jedem unterschiedlich andauert. Fakt ist: Lässt man Vergangenheit und Zukunft los, wird das Leben plötzlich so einfach. So schön. Für den Moment leben, genießen. Sich emotional reinstürzen, ganz unbedacht, in einen Zustand, eine Situation. Es voll auskosten und sich mal keine Gedanken über morgen machen. Auch wenn es morgen kurz trüb sein kann.
Ständig sind wir auf der Suche nach Antworten, ständig auf der Suche nach uns. Unzufrieden. Verzweifelt. Finden keine Ruhe. Wir verlieren uns selbst auf dieser Suche, verlieren uns in diesem Labyrinth, den Tiefen der Gedanken, der Worte. Schon fast selbstzerstörerisch. Versteifen. Versinken darin.
„Kann es sein, dass sie mich nicht mögen?“
„Wieso habe ich den Job nicht bekommen?“
„Wieso steht er nicht auf mich?“
„Was habe ich falsch gemacht?“
Ich habe die Antwort auf alle Fragen: Es ist egal. Das ist es wirklich. Wenn es nicht sein soll, dann soll es nicht sein. Und es ist so einfach. Peter Pan und Pipi Langstrumpf sind keine schizophrenen Ewig-Junggebliebenen, sondern haben das Prinzip verstanden. Sie wollen nicht erwachsen werden, wollen ihre Naivität beibehalten. „Mach dir die Welt so, wie sie dir gefällt“ ist auch zu meinem Lebensmotto geworden.
Unser Innenleben formt unsere Taten, unser Leben. Wir können demnach unsere Zukunft verändern, wenn wir anfangen, richtig zu denken.
Wenn ich heute gesagt bekomme, wie naiv ich bin, sehe ich das als Kompliment an. Demnach werde ich daran erinnert, dass ich es richtig gemacht habe. Wenn ich heute für meine Entscheidungen verurteilt werde, freue ich mich innerlich. Ich weiß, dass meine angelernte Leichtsinnigkeit mit Dummheit zu verwechseln ist. Wenn ich mit Belehrungen konfrontiert werde, muss ich innerlich schmunzeln.
Manchmal spiele ich mit und antworte: „Nein, wirklich? Ich wusste gar nicht, dass man im Ausland auch beklaut werden kann. Okay … Heftig!“ Dabei verstelle ich noch leicht meine Stimme und gucke ganz unschuldig. So witzig. Wie naiv das doch ist, ohne Job, ohne Wohnung in eine fremde Stadt zu kommen. Wie soll das finanziert werden? Wie sollst du das schaffen? Wie stellst du dir deine Zukunft vor? Wie naiv, in einen Flieger zu steigen und für mehrere Monate zu verreisen. Wie leichtsinnig das doch ist, couchzusurfen. Ein Wunder, dass es noch zu keiner Vergewaltigung kam.
Ich war früher auch so, ich habe genauso gedacht. Aber ich riskiere es. Wenn ich heute ohne Handy und Karte in einem fremden Land bin und einen Freund auf der anderen Seite des Landes treffen möchte, sage ich ihm: „Warte auf mich, ich finde schon irgendwie einen Weg, zu dir zu kommen.“ Da ich kein Geld habe, muss ich per Anhalter fahren, aber ich weiß, ich komme an. Früher oder später.
Heute ist es kein Stress mehr für mich. Heute bin ich die Passagierin des Fliegers und ich habe keine Ahnung, was mich auf dieser Reise erwartet.
Headerfoto: Jessy Rone via Creative Commons Lizenz 2.0. (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!