Ich wache morgens auf und das erste, das mir erbarmungslos ins Gesicht geschleudert wird, sind die neuen Corona-Zahlen. Nicht, weil sie mich so brennend interessieren, sondern weil der erste Blick ins Smartphone kaum eine andere Wahl lässt. Auf jeglichen Plattformen prangen die neusten Meldungen – Rekordhoch hier, Rekordhoch da. In meinem Kopf breitet sich ein leiser, pochender Schmerz aus, der oft bis zum Abend nicht verschwindet.
Dieser leise, pochende Schmerz, der ist nicht nur in meinem Kopf, sondern auch in meinem Leben. Genau da, wo vorher der kleine Funken Magie war. Es sind nun schon fast acht Monate vergangen, seitdem das Virus unser Leben umgekrempelt hab. Einige spüren die Auswirkungen mehr, andere weniger. Verändert hat sich für alle Menschen etwas, wenn auch in ganz unterschiedlichen Kontexten.
Die unendlichen Möglichkeiten – so weit weg
Dinge, die fest zum Alltag gehörten, aber gleichzeitig die wohltuende Abwechslung von ihm boten, sind so gut wie nicht mehr existent. Ein Abend auf der vollen Tanzfläche, an dem die Zeit einfach unendlich schien. Die flüchtige Bekanntschaft in der Bar, die dann doch eine längere Zeit zum festen Bestandteil unseres Lebens wurde. Das Essen mit Freund:innen mit zu viel Wein, das dann doch erst um 10 Uhr morgens nach einer wilden After-Hour geendet hat.
Alles ist möglich. Alles war möglich.
Der Gedanke der Freiheit. Der Gedanke, dass, wenn es doch einmal alles viel zu viel und zu eng wird hier in dieser kleinen Stadt mit ihren zu vielen Menschen, man doch einfach weg kann. Den nächsten Flug buchen und sich in wenigen Stunden am anderen Ende der Welt wiederfinden. Abenteuer erleben. Ins Ungewisse. Alles ist möglich. Alles war möglich.
Die Abende, an denen ich auf Einladungen in die Bar oder den Club dankend abgewunken habe, und dachte, das könne man ja wann anders noch machen. Sie kommen mir so unendlich weit weg vor. Morgens um sechs Uhr betrunken vor Lachen die Wohnungstür aufschließen. Zehn-minütige Sprachnachrichten über die Geschehnisse der letzten Nacht aufnehmen, während beim Lieferservice die Kater-Pizza bestellt wird. Das alles ist so weit weg.
Das Gefühl, dass einfach alles möglich ist und das nächste Abenteuer um die nächste Ecke wartet – es ist nicht mehr da. Die Magie ist hinter Masken, bedrohten Existenzen und Angst und Skepsis verschwunden. Sie wurde durch eine neue Ungewissheit ersetzt – nämlich die, wann das alles eigentlich wieder vorbei ist.
Die Magie ist hinter Masken, bedrohten Existenzen und Angst und Skepsis verschwunden. Sie wurde durch eine neue Ungewissheit ersetzt.
Wann ist der Punkt erreicht, an dem wir wieder in die Normalität eintreten dürfen? In unseren Alltag, den wir einfach nicht zu schätzen wussten, weil er so grau erschien, obwohl wir nur farbenblind geworden waren. Vielleicht in zwei Monaten, vielleicht aber erst in zwei Jahren. Anders als die Kurven der Corona-Infektionszahlen scheint sich das Leben nur noch auf einer nicht enden wollenden langen Geraden abzuspielen.
Die Magie müssen wir nun in uns selber suchen, auch, wenn wir an manchen Tagen nicht einmal den kleinsten Funken finden können.
Anm. d. Red.: Wir finden es wichtig, einzelne Perspektiven von Betroffenen und die damit verbundenen Belastungen in der Corona-Pandemie zu zeigen. Wir sind alle auf unsere ganz persönliche Weise betroffen. Die meisten Maßnahmen sind aus unserer Sicht berechtigt und notwenig, um die Pandemie einzudämmen – auch wenn das Einhalten schwerfällt. Alle Artikel zum Thema Corona findest du hier.
Headerfoto: Erin Agius via Unsplash (Wahrheit oder Licht Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!