Halbe Liebe

Eine Anmerkung zum Thema Beziehung: Ich mag das Wort nicht. Es ist so vorbehaftet. Es impliziert im allgemeinen, dass es eine Zeit geben wird, in der wir ein „Ex“ sein werden. Und ein „Ex“ kann ersetzt werden. Doch du wirst nie jemand sein, der ersetzt wird. Du wirst ein Teil meines Lebens sein. Ein Unikat. Bis an mein Ende. Höchst wertvoll. Und niemand kann deine Position einnehmen, weil es dich nunmal nicht zweimal gibt. Das, finde ich, ist doch viel mehr wert, als nach dem Zusammensein wieder zu Fremden zu verkommen. Wie zwei Kurven, die sich für eine Zeit überschneiden, und dann wieder ihrer Wege gehen. Doch sind sie danach, wie durch die Farbe gemeinsamer Ereignisse gezogen, befleckt von der Existenz der Anderen. Daher wirst du immer deinen Platz einnehmen. Und du kannst auf mich zählen. Weil du da warst. Da bist. Da sein wirst. Auch wenn das Leben uns manchmal in Situationen bringt, wo das nichts mehr bedeutet, lebst du doch in mir weiter. Als das, was du gewesen bist und als das, was aus dir wurde. Also lass von dir hören.

Ex.

Es ist nun schon eine Weile her, doch ich denke noch heute gern an diesen Menschen zurück, mit dem ich ein Jahr meines Lebens verbracht habe. Sie hat nach langer Zeit auch meine Freundschaftsanfrage beantwortet. Aber sprechen wird sie nicht mit mir. Und das macht mich traurig. Du sagst, es gibt in deinem Leben nichts mehr, was du mit mir teilen kannst und willst. Nun, dennoch habe ich Sehnsucht. Ich vermisse dich nicht. Da ist ein klarer Unterschied. Es gab Gründe, warum es auseinanderging. Vermissen würde bedeuten, das mir fehlt, was wir hatten. Nein, ich vermisse damals nicht. Aber ich habe Sehnsucht. Zu wissen, wie es dir geht, ist ein essenzieller Bestandteil für mich, um glücklich zu sein. Für dich jedoch nicht. Halbe Liebe.

Nach empirischer Analyse durch Gespräche mit anderen Männern und Frauen habe ich festgestellt, dass es sehr, sehr vielen Menschen ganz ähnlich geht. Sie alle haben diesen einen Menschen in ihrem Leben, der da mal war und heute nicht mehr ist und ihnen damit das Herz schwer macht. Der sie sich in sich zurückziehen lässt. Auch wenn viele dies als ein vermeintliches Geheimnis oder als einen Schaden in sich tragen, von dem niemand etwas wissen will oder soll, ist es doch meistens Konsens. Beziehungsphobie.

Meist ist es nicht die Angst davor, dass ein Date scheiße endet, und man danach wieder allein ist. Nein, damit kommen die meisten eher klar. Vielmehr ist es die Angst, dass man sich wieder so sehr in jemanden verliebt, dass es einen erneut so verbrennen kann. Die Liebe als Waagschale. Bin ich derjenige der mehr liebt? Oder ist es mein Partner, der sich nach mir verzehrt und mir das halt leider nicht ganz so wichtig ist, wie ihm. Werde ich dir die Macht geben (können), mich zu verletzen? Mich dir also öffnen? Oder bleibt der Fraß an meiner Seele ein Geheimnis. Wer will schon von jemandem von damals hören. Geschweige denn dieser jemand sein.

Doch ist es nicht genau das, was uns verbindet? Das Wissen um einstigen Schmerz, die Verletzbarkeit, die mich zum Balsam deiner Seele machen kann? Und ich rede hier nicht nur von Beziehungen. Ich rede von allem, woran du leidest. Verluste, Ängste, Momente der Dunkelheit, die du allein durchstehen musstest. Weil niemand dir helfen konnte. Durfte. Die Dinge, die du allein mit dir ausgetragen hast. Weil du musstest.

Aber wie soll ich dich denn glücklich machen, wenn ich nicht weiss, woran du leidest? Natürlich ist das nicht der geeignetste Aufhänger, am Samstagabend die Dame/den Mann deines Begehrens von deiner Awesomeness zu überzeugen. Aber wie lange muss ich die Maskerade der Eroberung durchspielen, das Alphatier geben, bevor ich dir meine Schwächen offenbaren kann, um dir zu zeigen, wer ich bin. Dir zu zeigen, dass ich dir vertraue. Und du mir Vertrauen kannst. Denn alles andere hat doch keine Substanz. Wichsen ohne Hand.

Vertrauen ist Glück. Und wir alle wollen doch nur glücklich sein.

Meistens brandet das Verlangen ziemlich schnell ab, ohne das sie/er mich wirklich gesehen hat. Vielleicht gerade deshalb. Aber warum ist es dann so schwer, über den Tellerrand des sozialen Geplätschers unserer banalen Kopulationskonversationen hinauszublicken. Denn mich interessieren doch nur zwei Dinge an dir. Was dich glücklich macht und woran du leidest. Beides bildet den Nährboden für Vetrauen. Einzig da kann Liebe doch keimen. So einfach gesagt und doch so schwer zu erreichen.

Und wieder ist es Samstagabend und ich stehe in diesem Club/auf dieser Hausparty respektiv jedweder andere Gelegenheit des verbalen Geweihgerangels und frage mich, wo du steckst, du fremdes Wesen. Und warum dieser Typ da drüben diese Frau da mit seinen hohlen Phrasen und unsinnigen Geseier zum Lachen bringen kann. Ich kann mir ein Seufzen nicht verkneifen, bevor ich an meinem Bier nippe. Der Raum ist gefüllt mit Leuten und ich weiss, dass mindestens die Hälfte genauso denkt, wie ich. Müde ist von dem Geschwafel, auf der Suche nach Wahrheit. Nach Geborgenheit. Nach jemanden,der sie sehen kann. Und doch spielen sie alle dieses Spiel des Allgemeinplätzchenbackens mit. Zum Glück gibt es ja noch Alkohol, der mich, wie so oft, über einen solchen Abend retten kann.

Und was, wenn ich dich treffe? Austarieren. Kann ich? Sollte ich? Bester Tipp von Freunden an der Stelle: Kopf ausschalten. Würde mich interessieren, wie viele von diesen Feunden das praktizieren.

Ich denke, was ich sagen will, ist: Du bist nicht allein mit diesen Gedanken. Wenn dich also mal jemand mit einem unkonventionellen Gespräch überraschen sollte: Gib dieser Person eine Chance. Schau in seine/ihre Augen. Ich bin der Meinung, man kann Schmerz sehen. Oder sollte zumindest danach suchen. Ich für meinen Teil vetraue jedenfalls keinem, der nicht mindestens einen mitlaufen hat. Denn ohne würde er/sie doch auch gar nicht mit mir klar kommen. Zeig mir das hässliche Gesicht deiner Seele. Damit wir die Schönheit deines Seins intensiver teilen können. Auf dass du nicht unsichtbar für mich bist. Sondern ein wichtiger Mensch in meinem Leben wirst. Wertvoll. Eine Ranke des Halts, auf dem Nährboden des Vertrauens gewachsen und unersetzlich. Zeig dich. Öffne dich. Auch und gerade auf gesprungene Töpfe passen verbeulte Deckel blendend. Auf dass zweimal halbe Liebe ein Ganzes wird.

Headerfoto: Leanne Surfleet via Creative Commons Lizenz! (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

ROB ist mittlerweile in der neuen alten Heimat eingekehrt und findet dort seinen Frieden im Wissen, dass es nicht so wichtig ist, wo man ist, sondern mit wem.

7 Comments

  • Ein Wunder der Selbstdarstellung! Wie niemand sonst schaffst du es in üblicher Eloquenz die Wirren deines Denkens darzustellen, ohne ihnen wirklich entrinnen zu können und so ist auch dieser Text nur ein weiteres Wortgewand in dem sich deine Seele ähnliche einer Zwangsjacke verheddert. Wie passend eigentlich…

  • Vertrauen ist Glück – so wahr und doch so leichtfertig aufs Spiel gesetzt.
    Vielen Dank für diesen berührenden Text.

  • Hi,

    ein schöner Text, der wunderbar zum Nachdenken anregt. Mich zumindest… über meine Situation, die meiner Ex und unserer allgemein… Danke

    Du stellst es allerdings so dar, als wäre es etwas schlechtes, wenn sich ein ehemaliger Lebenspartner sich zurück zieht. Ja, gewiss: es ist sehr schade. Immerhin hat dieser Mensch uns lange begleitet und zu dem gemacht, was wir sind.

    Aber man sollte doch auch die „andere Seite“ verstehen – oder es zumindest versuchen: Dadurch, dass ich gegangen bin, habe ich eine Lücke hinterlassen. Ein Lücke, die zunächst mit Enttäuschung und Schmerz gefüllt wurde und nicht so schnell abheilt. Und das ist auch gut so, denn, wenn diese Verletzung ausbliebe, wäre diese Beziehung ja lediglich Zeitverschwendung gewesen. Also ist es doch in Ordnung, dass sich der (nun) Ex-Partner erst einmal zurück zieht und von dem, der ihn so sehr verletzt hat, nichts mehr sehen, hören oder wissen möchte.
    Das kann ich schon nachvollziehen… Man selbst versucht ja auch sein eigenes Leben wieder neu zu ordnen und auf die Reihe zu bekommen. Da bedarf es keiner weiteren Verletzungen…

    Auf Dauer darf das aber gerne anders sein. Da stimme ich Deinem Beitrag zu einhundert Prozent zu. Aber man darf nicht zu viel von dem Menschen erwarten, den man so verletzt hat…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.