Gutes tun ist keinen Cent wert: Warum es mich stört, dass Arbeit am Menschen ehrenamtlich ist

Anderen zu helfen ist etwas Gutes. Ich glaube, darauf können wir uns alle einigen. Wer anderen hilft, lernt nicht nur andere Lebenssituationen kennen, steigert seine Empathie,  findet vielleicht dabei auch noch ein bisschen mehr über sich selbst heraus und wächst mit Sicherheit auch ein ganzes Stück über sich selbst hinaus.

Seitdem der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine im Februar dieses Jahres seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, sehe ich überall Aufrufe, die mich dazu einladen möchten, mich zu engagieren. Ich könnte Hilfe leisten bei der Ankunft der Geflüchteten, ich könnte ihnen eine Unterkunft anbieten, ich könnte Essen kochen. Ich könnte die geflüchteten Kinder betreuen, ihnen Geschichten vorlesen, ich könnte so vieles tun.

Ich soll das Ganze freiwillig machen – oder auch ehrenamtlich – also ohne Bezahlung. 

Und ich kann hier gar nicht zum Ausdruck bringen, wie gerne ich das immer noch würde. Aber eine Sache will mir in diesem Zusammenhang nicht in den Kopf: Ich soll das Ganze freiwillig machen – oder auch ehrenamtlich – also ohne Bezahlung. 

Das an sich ist nicht das Thema. Denn, wie gesagt, ist anderen zu helfen etwas Schönes und ich bin dankbar für jede Person, die das kann und tut. Ich würde gerne zu ihnen gehören und bis vor Kurzem hätte ich sogar Zeit dafür gehabt. 

Wo ist das Geld für die, die Hilfe leisten?

Was ich nicht verstehen will, ist, warum der Staat nicht entsprechende Mittel bereitstellen kann, diese wunderbaren Dienste an der Menschheit, die sowieso in allererste Linie aus Nächstenliebe geleistet werden, auch adäquat zu bezahlen. Ich soll helfen, klar, aber dafür was bekommen? No way, ist doch freiwillig, macht mensch doch gerne – sollte doch reichen. 

Was man nicht vergessen darf: Menschen, die ihre Zeit darin investieren, anderen freiwillig und aus Nächstenliebe zu helfen, verdienen in dieser Zeit kein Geld.

Aber so einfach ist es halt eben nicht. Was man nicht vergessen darf: Menschen, die ihre Zeit darin investieren, anderen freiwillig und aus Nächstenliebe zu helfen, verdienen in dieser Zeit kein Geld. Sie haben also am Ende des Tages zwar die Herzen voll mit gutem Gefühl, aber ihre Taschen und Konten bleiben leer. Es gibt keinen Ausgleich. Nichts, von dem sie sich selbst oder ihren eigenen Kindern abends etwas zu Essen kaufen können.

Ist das fair? Wir wollen uns kurz einmal vergegenwärtigen, wie viel Geld der Staat in die Automobilindustrie und in die Unterstützung für Fluggesellschaften während der Corona-Krise gepumpt hat, wie jetzt für Aufrüstung der Bundeswehr einfach so ein insane großes Sondervermögen GESCHÖPFT wird und wie beispielsweise Pflegekräfte und Krankenpfleger:innen während der ersten Wellen der Corona-Krise mit nichts als einem abendlichen Klatschen und ein bisschen mehr Taschengeld auskommen mussten. Na herzlichen Glückwunsch, so funktioniert Kapitalismus. 

Finanzielle Anreize, um etwas Gutes zu tun wären ja irgendwie die falsche Message. Klar.

Für Leute, die Dienst am Menschen leisten, ob beruflich oder ehrenamtlich, will der Staat offensichtlich kein Geld ausgeben, weil Nächstenliebe als Verkaufsargument für solche Berufe und Dienste ja reichen muss. Finanzielle Anreize, um etwas Gutes zu tun, wären ja irgendwie die falsche Message. Klar.

Aber was ist mit der Message, die unsere Regierung in der jetzigen und in den vorangegangenen Besetzungen transportiert (hat), wenn es um den Wert von menschen geht? Die Menschen, die hier aus verschiedenen Ländern, aus verschiedenen Kriegen überall auf der Welt ankommen, sind nicht einmal so viel wert, dass man die Leute, die ihnen helfen, bezahlt? 

Sie sind nicht einmal so viel Wert, dass organisierte und offizielle Helfer:innen bereitstellt, die hier in Berlin und an den anderen Ankunftspunkten von Geflüchteten aus Kriegs- und Krisengebieten mit anpacken? 

Helfen tut man aus Nächstenliebe – oder?

Offensichtlich nicht. Stattdessen habe ich im März und April zuhauf auf Social Media und im Fernsehen gesehen, wie Privatpersonen ihre Wohnungen mit Menschen teilen, die sie nicht kennen. Privatpersonen machten sich mit Spenden und Wasserflaschen zu den Hauptbahnhöfen auf, um direkt bei der Ankunft ein wenig Trost zu spenden und Hilfe zu bieten. Privatpersonen fuhren in ihren Autos an die polnisch-ukrainische Grenze, um Leute von dort mit nach Deutschland zu nehmen. In die vorläufige Sicherheit. 

Und das zu sehen war toll und inspirierend. Ich war so glücklich über alle, die geholfen haben und noch helfen, ich wäre gerne unter ihnen gewesen. Stattdessen war ich damit beschäftigt, einen Job zu suchen, den ich eben auch zusätzlich brauchte, um Miete und Nahrungsmittel zu bezahlen. Weil mein Teilzeitjob als Freelancerin dafür leider nicht ausreichte. Und das ist niemandes Schuld. 

Es macht mich wütend, dass diese Leute dafür am Ende nichts bekommen außer der Dankbarkeit der Menschen, denen sie geholfen haben. Und so schön dieser Anreiz auch ist, bin ich der Meinung: Das ist zu wenig.

Aber es macht mich wütend, dass diese Leute dafür am Ende nichts bekommen außer der Dankbarkeit der Menschen, denen sie geholfen haben. Und so schön dieser Anreiz auch ist, bin ich der Meinung: Das ist zu wenig. Da muss mehr vom Staat kommen. Jetzt und in Zukunft sollte es doch möglich sein, Wertschätzung für Menschen, die anderen helfen, durch finanziellen Ausgleich auszudrücken. Denn ohne seine Helfer:innen ist ein Staat eben auch nichts. 

Ohne Erzieher:innen und Pfleger:innen müssten Kinder und pflegebedürftige Angehörige zu hause betreut werden, was unweigerlich zu einer Doppelbelastung der Eltern und – wenn wir ehrlich sind – meistens der Mütter führt. Diese resultiert dann in einer verminderten Arbeitskraft, wenn diese ihren Job aufgeben oder zumindest herunterschrauben müssen, was in einer verminderten Kaufkraft der jeweiligen Haushalte mündet. 

Ohne ausreichend bezahlte Arbeit auch in der Pflege und der Geflüchtetenhilfe gibt es keine funktionierende Wirtschaft.

Und spätestens dann sind wir bei der Wirtschaft angelangt, die man hier in Deutschland doch so gerne im Aufschwung sieht. Aber ohne bezahlte Arbeit gibt es keine funktionierende Wirtschaft. Wer das nicht verstanden hat – ja, der bezahlt auch die Menschen nicht, die Hilfe am Menschen leisten. Schade. 

Headerfoto: RODNAE Productions (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

LINDA hat an Heiligabend Geburtstag, kommt aus dem Rheinland, ist aber im Herzen Hamburgerin. Sie hat Literatur in Bonn und Hamburg studiert und mit einer Arbeit über die Liebe abgeschlossen. Für die Liebe ist sie auch nach Berlin gezogen. Bei im gegenteil liest sie deswegen auch Liebesbriefe und sorgt dafür, dass diese hübsch gemacht sind für dieses Internetz.

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