„Ich glaube, ich habe vorhin ein Paar im Trennungsprozess erlebt. Er warf ihr dabei vor, sie sei trotzig und würde ihm nie erlauben, mit seinem besten Freund auszugehen. Ziemliche Klischeekiste, denke ich. Frau klammert, Mann fühlt sich eingeengt.“
Mein Freund schaute mich zweifelnd an. Dabei bekommt er immer diese Falten auf der Stirn und eine Augenbraue wandert unweigerlich Richtung Haaransatz. „Wie meinst du das denn? Ich habe solche Erfahrungen noch nie gemacht. Ich kenne nur Frauen, die mir Freiraum gaben, so wie ich ihnen Freiraum gebe.“
Ja, denke ich. Darum ging es jetzt gar nicht – daher benutzte ich ja das Wort „Klischee“. Tatsächlich gibt es nämlich leider noch sehr häufig eben jene Fallen, in die wir tappen, ausgelöst durch unsere Sozialisierung, die Doppelstandards, die männlich oder weiblich gelesenen Menschen widerfahren und die Erwartungen an das jeweils biologische Geschlecht, sich in seine gesellschaftlich auferlegte Rolle einzufügen.
Dazu gehört dann eben auch nicht selten die Rolle der Frau: Ich bin eifersüchtig oder aber mindestens enttäuscht, weil du mir nicht genug emotionale Aufmerksamkeit schenkst. Und die des Mannes: Ich bin genervt, weil du mir hier jetzt meine Luft zum Atmen nimmst.
Wenn wir Artikel lesen, in denen Frauen emotional und offen wie nie von ihren Affären berichten, von ihrem Liebeskummer und Beziehungen, greifen diese auf eine Palette traumatisierender, schwieriger Erfahrungen zurück.
Wenn wir Artikel lesen, in denen Frauen emotional und offen wie nie von ihren Affären berichten, von ihrem Liebeskummer und bedeutungsschwangeren Beziehungen, greifen diese auf eine bunte Palette traumatisierender, schwieriger und bisweilen eigentümlicher Erfahrungen zurück. Darin sind sie stets die reflektierten Kennerinnen der Klaviatur aller Gefühle, auf die der CIS-Mann scheinbar keinen Zugriff hat.
Stimmt natürlich nicht, hält sich als Gerücht aber bereits seit Jahrhunderten. So ist es auch nicht verwunderlich, wenn sich Paare, insbesondere heterosexuelle, noch immer in Stereotypen bewegen und danach agieren. Er wirkt wie der Tonangeber und sie wie die emotional Verhungerte.
Von Klischees und eigenen Erfahrungen
Wenn ich also meinem Partner mit Klischees komme, dann oft aus der gemachten Erfahrung und Beobachtung meines Umfeldes. In den Medien, aber auch im Freundeskreis, auf Twitter oder in meiner eigenen Vergangenheit gut zu finden: Frauen, die sich in ein Bild einfügen, das irgendwann einmal irgendwer für sie erdacht hat und nun zur Aufrechterhaltung jedweder Beziehung dient, aber dem Feminismus gründlich entgegensteht.
Denn wir wollen ja raus aus der Emoschleife. Wir wollen nicht am Straßenrand streiten, ob er sich gerade zu Recht über unseren ständigen Argwohn beschwert oder eine Menge dazu beigetragen hat.
Ich hatte Partner, die ständig über Freiheiten fabulierten, aber eigentlich Untreue und Verantwortungslosigkeit meinten.
So waren es bei mir zumindest auch meine eigenen, letzten Beziehungen, die mich dahingehend heftig geprägt hatten. Partner, die ständig über Freiheiten fabulierten, aber eigentlich Untreue und Verantwortungslosigkeit meinten. Partner, die eine weiche, fürsorgliche Frau einer wütenden starken Persönlichkeit vorzogen und nicht begriffen, dass Menschen sich nicht für die eine oder andere Eigenschaft entscheiden müssen – beides hat seinen Raum und seine jeweilige Berechtigung.
Nein, es ist nicht immer leicht zu erklären, warum es nicht hilft, offen zu sein, feministisch und gegen Stereotypen, ohne die bereits vorhandenen und über die Jahrhunderte eingeschliffenen Erwartungen anzuerkennen oder zumindest als solche zunächst einmal wenigstens zu erkennen.
Natürlich machen wir alle unterschiedliche Erfahrungen. Manche ähneln sich, einige unterscheiden sich nur im Detail und viele doppeln sich, weshalb es ja überhaupt erst zu Vorurteilen und Konstrukten kam.
Natürlich machen wir alle unterschiedliche Erfahrungen. Manche ähneln sich, einige unterscheiden sich nur im Detail und viele doppeln sich, weshalb es ja überhaupt erst zu Vorurteilen und Konstrukten kam. Doch unter der eigenen strengen Brille des Feminismus nicht mehr zu sehen, dass nicht deckungsgleiche Erfahrungen für uns zwei nicht auch gleichbedeutend sind mit der Wahrscheinlichkeit, dass ich mindestens noch zehn andere Menschen mit gleichen Erlebnissen treffe, erschwert die Kommunikation.
Ich möchte gesehen werden, erfreue mich an den positiven Ereignissen des Gegenübers und bin trotzdem der Meinung, es liegt noch eine Menge Arbeit vor uns. Ein erster Schritt könnte hierbei sein, zu schauen, warum die Erfahrungen so unterschiedlich waren. Ist es nicht schon möglich, dass sich unsere Leben und das Erleben darin unterschiedlich darstellten, weil wir eben unterschiedliche biologische Geschlechter haben?
Unterschiedliche Lebensläufe bedingen unterschiedliche Motivationen
Ist es nicht auch möglich, dass ich in einem anderen sozialen Umfeld, unter anderen Bedingungen groß wurde? Während ich zum Beispiel die Tochter einer Alleinerziehenden war, bist du das Kind einer stabilen Ehe. Während ich im Osten aufwuchs, früh die Kita besuchte und meine Mutter berufstätig war, hattest du jeden Mittag eine warme Mahlzeit, zubereitet von deiner Mutter auf dem Tisch, die ihren Kindern zuliebe den Job quittierte.
Mir waren die Rollen der Tochter, der Schwester und der frühen alleinerziehenden Mutter zugeteilt, dir die Rollen des Sohnes, Studierenden und später beruflich erfolgreichen Ehemannes.
Während ich mich aus einer Arbeiterfamilie durch meine Berufslaufbahn schlängelte und früh in der Mutterschaft wiederfand, konntest du ungestört alle akademischen Grade sammeln, dabei die Welt bereisen und dein Leben ohne große Verantwortung auf dich wirken lassen. Mir waren die Rollen der Tochter, der Schwester und der frühen alleinerziehenden Mutter zugeteilt, dir die Rollen des Sohnes, Studierenden und später beruflich erfolgreichen Ehemannes.
Als ich dann Single war, mich durch die Datingapps wischte, gebrandmarkt vom Status der Singlemom und finanziell immer nahe an der Armutsgrenze, bist du spät Vater geworden und konntest dich sorglos entfalten, über einem Polster aus zwei Gehältern und einer Erbschaft.
Die Idee, dass aus dir ein Feminist geworden ist, obwohl du unter Idealbedingungen groß wurdest, ist wunderbar. Doch unterscheiden sich unsere Leben und Grundvorstellungen im Detail.
Alles in allem sehen so oder so ähnlich leider viele Lebensläufe aus. Die Idee, dass aus dir ein Feminist geworden ist, obwohl du unter Idealbedingungen groß wurdest, ist wunderbar. Tatsächlich unterscheiden sich unsere Leben und Grundvorstellungen aber im Detail. Denn mich prägte der Wille zu überleben, die Motivation, es einmal besser haben zu können als die Frauengenerationen vor mir, und das Bedürfnis, meine Kinder großzuziehen, in einer Welt, in der sie sich ihre Rollen geschlechtsunabhängig aussuchen kann.
Dass du dir Feminismus leisten kannst, ich ihn allerdings wirklich brauche, unterscheidet uns. Das Ziel ist das gleiche, der ursprüngliche Zweck vermutlich ein anderer.
Dass du dir Feminismus leisten kannst, ich ihn allerdings wirklich brauche, unterscheidet uns. Das Ziel ist das gleiche, der ursprüngliche Zweck vermutlich ein anderer. Wir alle profitieren vom Feminismus. Er schützt dich davor, in einer Schublade männlicher Erwartungshaltungen einzustauben, und mich davor, unter meinen Möglichkeiten zu leben. Sich darum in den Austausch über komplexe Zusammenhänge und Erfahrungen zu machen, bleibt also nicht aus.
Headerfoto: Sora Shimazaki (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!