Ein Ratschlag ist auch ein Schlag: Warum ich ungefragte Tipps als Grenzüberschreitungen empfinde

„Ein Ratschlag ist auch ein Schlag“, so lautet ein Sprichwort, das ich – bis zur Recherche für diesen Text – noch nie gehört habe. Wenn man aber darüber nachdenkt, dass sich ungebetene Ratschläge wirklich anfühlen können wie Schläge, ergibt es schon Sinn.

Alles, wonach ich nicht frage und was ich nicht möchte, überschreitet eine Grenze bei mir.

Es ist eigentlich ganz einfach. Alles, wonach ich nicht frage und was ich nicht möchte, überschreitet eine Grenze bei mir. Das kann Catcalling aus Autofenstern oder ein ungewollter Ratschlag sein.

Besonders unangenehm sind Ratschläge von Fremden. Eltern und Haustierbesitzer:innen kennen es sicher, auf dem Spielplatz oder Hundeplatz wird man plötzlich von einer fremden Person angesprochen, sie erkundigt sich vielleicht nach dem Hund; warum er denn so weint und ZACK – da ist der Tipp. Natürlich sind Ratschläge oft gut gemeint. Aber jetzt kommt das nächste Sprichwort:

Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.

Besonders auf Social Media bekomme ich häufig Ratschläge. Ich äußere etwas, das mich stört/mir aufgefallen ist/ich nicht gut finde und tausend Menschen fühlen sich aufgefordert mir zu sagen, was sie machen würden.

Als ich genau diese Grenzüberschreitungen gepostet habe, wurde mir direkt von einer ehemaligen Followerin mitgeteilt, dass ich so unsympathisch geworden sei.

Wenn man Grenzen zieht, beschweren sich eben die, die von den fehlenden Grenzen profitiert haben.

Wenn man Grenzen zieht, beschweren sich eben die, die von den fehlenden Grenzen profitiert haben. Mir ist bewusst, dass nicht jeder Mensch einen Ratschlag als Grenzüberschreitung empfindet. Trotzdem sollten im Gespräch mit mir aber meine Grenzen akzeptiert werden – oder?

Besonders schlimm: Wenn professionelle Menschen ungefragt Ratschläge geben.

Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich bei einem Fotoshooting als Model gebucht war. Es war ein wunderbares Team und wir waren alle gut drauf. Ich hatte zu dem Zeitpunkt stressbedingt eine Hautkrankheit an meiner Stirn und war deswegen ohnehin schon unsicher.

Ich denke, jeder Mensch, der mal was mit der Haut hatte, kann nachvollziehen, dass man sowieso schon denkt, jeder würde nur darauf schauen.

Nun nahm die Hair- und MakeUp-Artistin den ersten Pinsel in die Haut, musterte meine Haut und begann sofort damit, mir Ratschläge zu geben, was ich essen, trinken, was für Produkte ich nutzen, welche Tabletten ich nehmen soll. Das war höchst unangebracht und so grenzüberschreitend und überhaupt nicht hilfreich.

All diese Tipps hatte ich schon mal gelesen oder gehört und die meisten schon ausprobiert.

Natürlich hätte ich mich auch einfach bedanken können. Ich hatte mir aber gewünscht, dass sie mich nicht auf meine Unsicherheit angesprochen hätte.

Natürlich hat sie es nur gut gemeint und natürlich hätte ich mich auch einfach bedanken können. Ich hatte mir aber einfach gewünscht, dass sie mich nicht auf meine Unsicherheit angesprochen hätte, denn ich wusste ja, dass sie existiert.

Ungefragte Ratschläge bringen niemanden weiter

Ich habe mal einen Spruch gelesen, wenn du am Aussehen einer Person etwas anmerkst, dann doch bitte nur etwas, was die Person sofort ändern kann: ein Haar auf dem schwarzen Blazer, roter Lippenstift an den Zähnen oder ein Mohnkorn zwischen den Zähnen.

Aber jemandem zu sagen, dass er oder sie mal wieder zum Friseur müsste, dieses Kleid ihm/ihr nicht steht oder dass er/sie eine Hautkrankheit oder auch nur einen Pickel hat, bringt niemandem in der Situation etwas und macht die angesprochene Person unnötig unsicher.

Warum also geben wir ungefragt Ratschläge? Fällt es uns so schwer, einfach mal aktiv zuzuhören?

Warum also geben wir ungefragt Ratschläge? Fällt es uns so schwer, einfach mal aktiv zuzuhören? Oder sind wir selbst so unsicher, dass wir die Unsicherheit mit unnötigen Tipps kaschieren wollen?

Headerbild: Monstera (Gesellschaftsspiel-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!

Katharina Wohlrab ist die erste queere Vize Miss Germany und lebt zusammen mit ihrer Frau und ihren zwei Hunden in Berlin. Sie ist Sinnfluencerin, Mental Health Aktivistin und setzt sich aufgrund ihrer eigenen Geschichte für Survivor von sexualisierter Gewalt ein. Hier betreibt sie sowohl auf ihrem Instagram Kanal als auch in ihrem Podcast „Träuma weiter“ Aufklärungsarbeit und gibt all denen eine Stimme, die momentan nur flüstern können. Katharina ist sehr strukturiert und kann auffallend gut einparken und vegane Kuchen backen.

2 Comments

  • Ich finde es goldrichtig was du schreibst und kann dir in vielen Punkten zustimmen.

    Ich möchte auf den obenstehenden Kommentar eingehen, in dem vertreten wird, dass man in Freundschaften doch auch Ratschläge verteilen sollen dürfte.

    Ich stimme zu, Freundschaften sind ein Verhältnis auf Augenhöhe. Es wird gesagt, man solle sagen dürfen, wenn einem etwas auffällt.
    Wie darf ich mir das vorstellen? „Liebe Freundin, du bist ganz schön fett geworden? Setzt dir der Liebeskummer so zu? Andere Mütter haben auch schöne Söhne, er ist es nicht wert, dass du deine schöne Figur in den Sand setzt.“
    Das ist natürlich überspitzt, aber ich könnte meine Freundin doch auch einfach fragen, wie es ihr geht.
    Wichtig ist doch, dass man nicht bewertet. Wenn ihr blaue Kleider nicht gut stehen, kann ich doch auch beim nächsten Tragen eines grünen Shirts sagen, dass diese Farbe ihre Augen zum Strahlen bringt. Beim gemeinsamen Shoppen wäre das vielleicht etwas, ansonsten frage ich mich: muss ich das überhaupt sagen? Wenn meine Freundin blau liebt, dann soll sie das doch anziehen. Ob es ihr steht oder nicht, ist doch völlig egal.
    Und vielleicht ist es auch ihr egal! Denn wenn ihr die Meinung wichtig wäre, würde sie danach fragen. Und genau darum geht es: um ungefragte Ratschläge! Sobald ich diese nämlich von mir gebe, stelle ich mich über diese Person und schon ist nichts mehr auf Augenhöhe.

  • Hallo Katharina,
    zunächst einmal vielen Dank für deine offenen Worte und Gedanken. Ich habe den Text von einer Freundin geschickt bekommen, der es manchmal ähnlich wie dir geht. Es hat mir geholfen sie besser zu verstehen. Genauso wie du dir sehr viel Mühe gegeben hast, deinen Text zu verfassen, möchte ich die Gelegenheit nutzen und meine Gedanken dazu niederzuschreiben.

    Ich gebe dir vollkommen Recht, dass willkürliche Ratschläge von Fremden in den meisten Fällen vollkommen unpassend sind. Ich finde jedoch, dass gerade in persönlicheren Beziehungen (Familie, gute Freunde, Partnerschaft) genau dies nicht zutrifft. Denn wie soll man sonst etwas feststellen, was einem vielleicht über einen vielleicht sogar schon längeren Zeitraum eben nicht aufgefallen ist?

    Du schilderst eine Situation vor einem Fotoshooting, sprich einem emotionalen Stressmoment. Da ist es klar, dass du jeden Zuspruch gebrauchen kannst, um on-point deine Leistung abzuliefern. Genauso wäre es unpassend einen Spitzensportler vor einem wichtigen Wettkampf auf ein Fehler im letzten Training hinzuweisen. Aber dennoch sollte es genau diese Räume geben, in denen man das kann. Bspw. im nächsten Training oder in einer bewusst gewählten, ruhigen Minute. Denn in vielen Fällen ist es gerade die Betrachtungsweise von außen, die einen weiterbringt.

    Ich finde, es muss also unter sehr guten Freunden okay sein, auch mal zu sagen, wenn einem etwas auffällt. Das ist in keinem Fall eine Belehrung und der Freund/ die Freundin muss ihn natürlich auch nicht annehmen. Aber es muss einem offen stehen, dass man es zumindest anspricht. Genauer gesagt, sehe ich das sogar als meine Verpflichtung als Freund etwas zu erwähnen, was mir auffällt. Beurteilen muss es am Ende die Person selbst und ich wäre ihr nie böse, wenn sie meine Auffassung nicht teil. Dazu passt auch ganz gut der Titel des Textes. „Ratschlagen“ kommt ursprünglich von „einen Beratungskreis schlagen“, also die bewusste Abgrenzung, wer in einem beratenden Gremium sitzt und wer nicht. Sprich es definiert, wer einem Vorschläge und Gedanken unterbreiten darf. Und genau in diesem Kreis sehe ich eben Freunde, Familie und den eigenen Partner.

    Freundschaften sind für mich keine Farbkästen, in denen man sich nur das raus nimmt, was man gerade braucht und hören will. Es ist ein Verhältnis auf Augenhöhe in dem jeder jederzeit vollkommen offen sagen kann was er/sie denkt/fühlt/wahrnimmt, ohne dass es ein Angriff ist.

    Am Ende ist es natürlich auch eine persönliche Charakterfrage. Ich bin jemand, der immer sehr nach persönlicher Weiterentwicklung strebt. Jemand, der alles aufnehmen möchte, denn nur so kann ich Dinge optimieren, die mir selbst einfach noch nicht aufgefallen sind. Natürlich nehme ich nicht alles an, was von außen kommt, aber ich evaluiere es zumindest sehr gründlich und treffe darauf dann eine bewusste Entscheidung den Vorschlag anzunehmen oder eben nicht.

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