Meine Therapeutin fragte mich vor ein paar Monaten, ob es nicht Zeit wäre, über dich zu reden. Ich verneinte. Irgendwie war mir nicht danach und es gab ja auch so viel anderes, von dem es sich zu erzählen lohnte. Gestern war es aber dann soweit. Ich spürte es in meinen Eingeweiden, meine Kehle nach oben kriechen, als säuerlicher Geschmack auf der Zunge.
Da bist du nun. Du und sie.
Da bist du nun. Du und sie.
Vor über einem Jahr waren wir so etwas wie ein Paar. Das Wort „sowas“ bezieht sich auf die Tatsache, dass du ein dreiviertel Jahr zum etwa zweiten Mal mit mir Schluss gemacht hattest, aber nie aus meinem, unserem, Leben verschwunden bist. Stattdessen rücktest du sogar näher und näher, nahmst am 18. Geburtstag meines Bruders genauso teil wie an Heiligabend bei meiner ganzen Familie.
Oft wurde ich gefragt, was das mit uns denn jetzt sei und ich flüsterte zurück „wir definieren es einfach nicht mehr“. Da es dich unter Druck setze und mir auch ganz gleich sei. War es natürlich nicht, denn ich liebte dich sehr und hatte mir einst eine gemeinsame Zukunft ausgemalt. Dies war auch der Grund, warum du mich und meine zwei Kinder am Ende wieder einmal verlassen hattest.
Deine Liebe zu uns sei groß, aber dein Bedürfnis nach Freiraum und weniger Verantwortung größer.
Deine Liebe zu uns sei groß, aber dein Bedürfnis nach Freiraum und weniger Verantwortung größer. Ich hätte das auch alles akzeptieren können und Verständnis gehabt, wäre da nicht eine Kleinigkeit unbeachtet geblieben: meine Gesundheit.
Etwa eine halbe Woche nachdem wir zusammen im Sommerurlaub waren, veränderte sich dein Verhalten. Die Umarmungen blieben aus und du wurdest stiller. Als du, wie so oft, auf die Kinder aufpassen wolltest, äußerte ich meine Vermutung, etwas sei hier doch komisch. Zögernd gabst du mir, zwischen Tür und Angel stehend, zu verstehen, dass du eine neue Frau kennengelernt hattest.
Ich war am Boden, aber vor allem verunsichert. Wann ging das ganze los und wie ernst war es dir mit ihr? Du sagtest, all das ginge mich nun nichts mehr an und ich war verwirrt. Keine drei Nächte zuvor lagen wir Arm in Arm beisammen. Dein Gesicht fror ein, du warst nicht mehr wiederzuerkennen. Ich fühlte mich wie jemand, der nicht mehr durchdringen konnte und gab auf.
Missbrauchtes Vertrauen
Erst zu Hause kam mir die Idee, mich auf Instagram nach ihr umzusehen und selbst zu fragen. Und hier kommt auch der Grund, warum ich dich nicht in der Therapie verarbeiten wollte. Ich schämte mich zutiefst. Genau diese Person wollte ich nicht sein. Ich war all die Jahre stolz auf meine Loyalität und das Vertrauen, welches ich in uns hatte.
Zu Beginn unseres Kennenlernens wollte ich gar keine Beziehung mit dir eingehen. Du wirktest seltsam unstet und ich war bereit für etwas anderes. Ich beendete unsere kleine Romanze sehr entspannt und zufrieden, dich hingegen stieß dies so vor den Kopf, dass du mir ein letztes Gespräch vorschlugst. Du zogst dann alle Register: Heiraten, Kinder, eine Zukunft. Ich war überrascht und auch irgendwie geschmeichelt. Ich war wohl auch sehr naiv.
Als ich ihr Bild auf deiner Seite sah, wusste ich es sofort.
Als ich ihr Bild auf deiner Seite sah, wusste ich es sofort. Ich schrieb sie an, stellte mich vor und fragte unsicher, ob die beiden sich schon länger kennen würden. Zu meiner Überraschung bot sie mir ein Telefonat an und gab recht schnell zu, seit einem Monat deine neue Freundin zu sein. Sie wusste alles über mich. Sie dachte, wir hätten dieses Arrangement, bei dem es darum ginge den Kontakt wegen der Kinder nicht aufzugeben.
Sie sei damit einverstanden und fügte außerdem hinzu, sie vertraue dir, nehme das aber auch nicht zu wichtig, denn ihr führt jetzt eine polyamouröse Beziehung. Um ehrlich zu sein war ich schon etwas mehr als überrascht. In unserer Beziehung stand das Thema nicht einmal zur Debatte – was okay ist, denn jede Beziehung hat ihre eigene Dynamik.
Mein Schock lag woanders.
In einem Geistesblitz entfuhr mir die Frage, ob ihr je verhütet hättet.
In einem Geistesblitz entfuhr mir die Frage, ob ihr je verhütet hättet. Sie verneinte sehr offen. Mein Glück. Mein Pech.
Ich weiß, wie sich alles drehte, mir übel wurde und ich an meine Kinder dachte. Ich dachte auch daran, wie ich zwei Jahre zuvor alles nötigen Tests machen ließ, damit wir beide ohne Kondom miteinander schlafen konnten. Wütend fragte ich sie, wie eine polyamouröse Beziehung laufen solle, wenn sie und er ohne Verhütung und in Unehrlichkeit miteinander und anderen verkehren wollten. Sie entschuldigte sich reumütig und war hörbar verwirrt. Naiv wie ich – ein kleiner Trost.
Angst und Verantwortung
Letztlich führte diese Erkenntnis bei mir zu vielen Ängsten. Ich ließ mich auf alle Krankheiten testen, fühlte mich panisch und zu dem eigentlichen Liebeskummer kam die nackte Angst ums Überleben. Die Rechnungen schickte ich dir. Du bezahltest sie unkommentiert.
In einem Anfall aus Fragen und Sorgen, griff ich wieder zum Telefon und schrieb die Frau an, von der ich wusste, sie war meine Vorgängerin. Wieder etwas, für das ich mich anschließend Jahre lang schämte. Sie antwortete auch sofort. Wenigstens das.
Es stellte sich heraus, dass du auch sie betrogen hattest – mit mir. Wer bist du?
Es stellte sich heraus, dass du auch sie betrogen hattest – mit mir. Wer bist du? Einen Monat lief das mit uns parallel. Deine Enden sind immer auch Anfänge. Eine Wahl hatte keine von uns.
Heute – genau heute – möchte ich mich nicht mehr schämen und schuldig fühlen. Ich ahne, es hätte mich schlimmer erwischen können. Ich bin gesund, mir geht es gut. Die seelische Wunde wächst nur nicht zu. Sie sitzt tiefer als gedacht.
Mit meinem neuen Partner fällt es mir schwer, darüber zu reden. Meine Kinder fragen, wo du bist. Die zwei Jahre mit dir sind wie ein Loch im Terminplan…
Mit meinem neuen Partner fällt es mir schwer, darüber zu reden. Meine Kinder fragen, wo du bist. Die zwei Jahre mit dir sind wie ein Loch im Terminplan und manchmal, wenn jemand über offene Beziehungen schreibt, zitterte ich. Ich zittere, weil ich traumatisiert bin. Weil ich nicht gefragt wurde, ob ich Teil dieser Lüge, dieses Dreiecks und dieser Erfahrung sein möchte.
Ich bin angewidert, weil ich ein vorsichtiger Mensch bin, der Verantwortung für sich und seine Mitmenschen übernimmt. Ich bin wütend, weil ich mich Jahre lang schuldig fühlte, während du dich nie wieder mit einer Silbe bei mir meldetest.
Vermutlich eine Menge Stoff für meine letzten vier Sitzungen. Gehen wir es an!
Headerfoto: Khoa Võ (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!