„Du siehst die Welt nicht, wie sie ist“ – 5 No-Gos auf Reisen in den Globalen Süden

Sonnenauf- und Untergänge, Palmen und Sandstrand, tropisch-schwüle Tage und durchtanzte Nächte, Fingerfood vom lokalen Markt, süße Früchte und herzerwärmende Begegnungen mit ein paar netten Einheimischen– diese Bilder wecken eine große Portion Fernweh in mir, sind aber auch ganz schön romantisierend.

Nach mehr als zweieinhalb Jahren Pandemie ist die Reisesehnsucht bei vielen von uns groß und das Reisen über Europa hinaus endlich wieder in greifbare Nähe gerückt. Nachdem wir uns so lange mit Deutschland und seinen Nachbarländern begnügen mussten, werden jetzt wieder die ersten Fernreisen geplant, denn wir wollen Authentizität und Exotik und wir lieben das Unbekannte.

Urlaubsbilder und -berichte können oft mehr Schaden als Freude verursachen.

Ganz nach dem Motto „pics or it didn´t happen“ ist Instagram dabei für viele von uns ein treuer Begleiter, schließlich sollen unsere Lieben zu Hause hautnah miterleben können, wie es uns so ergeht. Doch in einer Welt der Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten können Urlaubsbilder und -berichte oft mehr Schaden als Freude verursachen.
Hier sind 5 Dinge, die du vor allem als weiße:r Reisende:r in den Globalen Süden* unbedingt vermeiden solltest, wenn du von deinen Erlebnissen (auf Instagram) berichtest:

1. Armut romantisieren

“Erst beim Backpacking durch Land XY habe ich begriffen, was im Leben wirklich zählt. Diese Menschen sind so arm und doch so glücklich mit dem, was sie haben, wahnsinnig inspirierend!“ Romantisierung von Armut ist sehr gefährlich, weil sie bestehende globale Arm-Reich-Gefälle legitimiert.

„Arm, aber glücklich“ impliziert, dass materielle Armut gar nicht so schlimm ist.

„Arm, aber glücklich“ impliziert, dass materielle Armut eigentlich gar nicht schlimm ist, wodurch ausgeblendet wird,  dass sie durch globale Zusammenhänge und koloniale Kontinuitäten entstanden ist und wir im Globalen Norden* sogar davon profitieren. Wir müssen uns fragen: Kennen wir diese Menschen wirklich so gut, dass wir einschätzen können, ob sie glücklich sind? Haben wir sie überhaupt nach ihrer eigenen Perspektive auf ihr Leben gefragt?

2. Land und Leute exotisieren

Das “Fremde” wird seit jeher als faszinierend und anziehend empfunden und dargestellt, wobei Menschen oftmals nur auf ihre Emotionen, ihr Äußeres und ihre Sexualität beschränkt werden. Exotisierung ist keineswegs harmlos, sondern auf koloniale Ursprünge zurückzuführen, als es darum ging, Ausbeutung durch Entmenschlichung zu rechtfertigen.

Exotisierung hat koloniale Ursprünge.

Deshalb sind Aussagen wie „Männer aus XY sind die besten Liebhaber“, „in Land XY können alle Menschen so gut tanzen“, aber auch Natur- und Tiervergleiche und andere vermeintlich positive Zuschreibungen rassistisch. Sie bestärken Vorurteile, sind stereotype Verallgemeinerungen und daher unbedingt zu vermeiden.

3. (Ungefragt) Menschen fotografieren

Wer kennt sie nicht, die Selfies weißer Reisender mit kleinen Kindern? Das Recht am eigenen Bild sollte eine Selbstverständlichkeit sein, leider ist das unerlaubte Fotografieren von Nicht-Europäer:innen oft mit weniger Skrupel verbunden, vor allem, wenn es sich dabei um Kinder handelt. Im Akt des Fotografierens werden die Abgebildeten zu Objekten gemacht und sollen dazu dienen, bestehende Vorstellungen von Ländern im Globalen Süden zu bestätigen. Oftmals namenslos landen sie so in Urlaubsfotoalben oder eben auf Instagram und das ist überhaupt nicht respektvoll.

Das Recht am eigenen Bild sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

Deshalb: Warum nicht lieber die kostbare Zeit, die du mit Fotografieren und Posten verbringst, dafür verwenden, diese Menschen wirklich kennenzulernen?

4. Wertende Gegenüberstellungen

Es ist wohl einfach menschlich, zu (be-)werten und Vergleiche zu ziehen. Vergleiche und Gegenüberstellungen sind jedoch selten neutral. Länder im Globalen Süden werden oft in Verbindung gebracht mit Umschreibungen wie „traditionell“, „unterentwickelt“, „chaotisch“, „ländlich“ und „hilfsbedürftig“, während Länder wie Deutschland mit „modern“, „entwickelt“, „geordnet“, „urban“ und „gebend“ assoziiert werden.

Es gibt Tradition und Moderne in allen Ländern.

Diese Gegenüberstellung ist stark durch die Medien geprägt und wertet Länder des Globalen Südens ab, während sie den Globalen Norden in einer Vormachtstellung hält. Das ist nicht nur diskriminierend, sondern auch stark vereinfachend, schließlich gibt es Tradition und Moderne in allen Ländern.

5. Umgekehrter Rassismus?

„Im Taxi musste ich mehr bezahlen, nur weil ich weiß bin. Ich erfahre hier in Land XY so richtig, was es bedeutet, rassistisch behandelt zu werden“.
Nein! Umgekehrten Rassismus gibt es nicht. Eine situative Benachteiligung aufgrund vorhandener Privilegien ist nicht mit dem Rassismus gleichzusetzen, den nichtweiße Menschen aufgrund struktureller und globaler ökonomisch bedingter Ungleichheiten erleben müssen. Wir dürfen nicht vergessen: Selbst, wenn wir uns dem Taxifahrer in dieser bestimmten Situation ausgeliefert fühlen, haben wir auf einer strukturellen Ebene mehr Privilegien als er, der aus ökonomischem Kalkül handeln muss. Check your privileges.

Sprache ist Macht.

Reisen wird aufgrund bestehender globaler Ungleichheiten wohl immer Machtgefälle reproduzieren. Eine Auseinandersetzung damit, wie du diese in persönlichen Begegnungen abbauen kannst, ist daher unbedingt empfehlenswert. Sprache ist Macht, wenn wir von dem berichten, was wir sehen und erleben, weshalb wir uns fragen sollten, was wir mit unseren Erzählungen bewirken möchten.

Ich möchte dir folgendes Zitat mitgeben: „Du siehst die Welt nicht wie sie ist, du siehst die Welt so wie du bist.“ (Mooji)
Mit deiner Weltsicht gehen Verantwortung und ein Privilegiencheck einher, besonders, wenn du sie auf Instagram mit anderen Menschen teilst.

* “Globaler Süden” beschreibt die im globalen System benachteiligte gesellschaftliche, politische und ökonomische Position vieler ehemals kolonisierter Länder, während “Globaler Norden” eine mit Vorteilen bedachte Position beschreibt. Diese Einteilung verweist auf unterschiedlichen Erfahrungen mit Kolonialismus, einmal als vornehmlich Ausgebeutete und einmal als Profitierende. Beide Begriffe werden verwendet, um Zuschreibungen wie „Entwicklungsländer“ und „entwickelte Länder“ zu umgehen.

Ausführliche und gut verständliche Informationen zu diesem Thema findest du auch in der kostenlosen Broschüre „Mit kolonialen Grüßen“ von glokal e.V..

Headerfoto: Ibrahim Rifath via Unsplash. (Kategorie-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

Amelie Fischer (sie/ihr) sieht das Politische in den ganz großen und den ganz kleinen Dingen. Sie spricht und schreibt am liebsten über globale Ungerechtigkeiten, Machtstrukturen, intersektionalen Feminismus und die Liebe, immer die Liebe. Um ein wenig Leichtigkeit in den Weltschmerz zu bringen, den sie oft fühlt, liest sie für ihr Leben gerne Romance Novels. Aber nur zu Recherchezwecken, versteht sich! Denn auch die Liebe ist höchstpolitisch. Mehr von Amelie gibt es auf Instagram.

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