Triggerwarnung: Häusliche Gewalt
Mit zweiundzwanzig war ich etwas mehr als ein Jahr Mutter, frisch getrennt und noch frischer neu verliebt. Er war bedeutend älter als ich und entsprach mit seiner markigen Art, der rauchigen Stimme und den vielen dunklen Haaren dem Typ Mann, der sich von meinem Ex und Vater meines Kindes unterschied – mir also schon alleine deshalb aufregend und neu vorkam.Im Rausch der ersten Verliebtheit
Wir lebten die ersten Wochen unserer Beziehung vorsichtig berauscht, wie Verliebte das eben so tun. Schickten uns in unserer Fernbeziehung Emails, ellenlange Liebesbriefe und verträumte Songs, die uns aneinander erinnern sollten. Wenn ich ihn besuchte, war er aufmerksam, hob das Kind freudig hoch und wünschte sich mit mir eine Zukunft. Diese Nähe tat mir gut und ich zog nach einigen Monaten zu ihm, weg von meiner vertrauten Umgebung, meinem Netzwerk, meiner Sicherheit.
Und damit wird aus einer Geschichte wie aus dem Märchen auch leider schon ein Albtraum. Ab hier begann es ganz schleichend, aber doch schnell genug.
Und damit wird aus einer Geschichte wie aus dem Märchen auch leider schon ein Albtraum.
Erste Anzeichen waren seine Stimmungsschwankungen. Wenn ich in die Heimat fuhr, wurde er misstrauisch. Fragen überschütteten mich und ich begann mich zu rechtfertigen, zu winden, zu entschuldigen. Namen und Geschichten interessierten ihn. Er bohrte, ich gab bereitwillig Auskunft, war ich doch nicht naiv oder gutgläubig, sondern schlicht sehr liebend.
Mir erschienen seine Zweifel berechtigt, denn war ich nicht auch irgendwie verantwortlich für das Aus meiner letzten Beziehung? Hatte ich meine kleine Familie nicht zu Gunsten eines anderen aufgegeben und gab hiermit alles Recht zu Misstrauen? So erzählte ich, sehr offen und später ungefragt von mir, meinen Hoffnungen und Träumen und verrannte mich hier und da in Fantasien, die, sobald sie nichts mehr mit ihm zu tun hatten, als störend wahrgenommen wurden.
Ich distanzierte mich langsam und unbemerkt von ihm, ohne zu wissen, weshalb. Da war diese Ahnung, dass er mir nicht so guttat, wie er uns weißmachte. Er beschimpfte den Kindsvater, stellte sich auf ein Podest und sah mich immer häufiger aus funkelnden Augen bedrohlich an. Ich bekam unterschwellige Sorgen, dies hier könnte sich um einen Fehler handeln. Ich sagte ihm sehr offen, was ich von dieser Eifersucht, diesen, in meinen Augen, langsam immer irrationaler werdenden Gefühlen halten würde.
Da war diese Ahnung, dass er mir nicht so guttat, wie er uns weißmachte.
Daraufhin trat er mit so heftiger Wucht seinen Nachttisch ein, dass ich mein Kind packte und mich davonmachte. Ich trennte mich und fuhr noch in derselben Nacht die vierhundert Kilometer zurück nach Berlin. Ich löschte seine Nummer, löste die Verbindung und zog in eine neue Wohnung. Frei, durchatmend und mit einer Ahnung, nochmals davongekommen zu sein.
Ein halbes Jahr später – eine neue Chance
Als es sechs Monate später an meiner Tür klingelte, mitten in der Nacht, da öffnete ich aufgeregt ausgerechnet ihm. Eine gemeinsame Freundin hatte ihm die Adresse gegeben. Nicht in böser Absicht, sondern falschverstandener Romantik, vielleicht auch genauso manipuliert worden wie ich zuvor. Er stand da, bat um eine zweite Chance und erhielt sie.
Er erhielt sie auch noch, als er eine Woche später mein Handy zerschellte, meine Wohnzimmertür eintrat und mich vor meinem Baby „Schlampe“ schimpfte. Ich blieb in der Annahme, all das provoziert zu haben und hoffte auf seine Wesensänderung, wenn ich nur zeigen würde, wie sehr ich ihn liebte. Also fuhr ich wieder mit ihm in seine Heimat. Zum Glück diesmal ohne Kind.
Ich besuchte ihn, wir flirteten, wir lachten, wir schliefen miteinander. Ich sagte etwas Unbedeutendes, er begoss mich mit Wein, zog mich aus dem Schlafzimmerbett, prügelte auf mich ein und warf mich gegen den Kühlschrank. All das ging so schnell und kam für mich so unerwartet, ich lag wie ein gepeinigter Hund auf dem Bettläufer und bettelte um Gnade. Ich traute mich nicht zu schlafen in dieser Nacht und entschied irgendwann, in einem Anfall von Mut meine Tasche zu nehmen und aus dem Haus zu fliehen.
Er begoss mich mit Wein, zog mich aus dem Schlafzimmerbett, prügelte auf mich ein und warf mich gegen den Kühlschrank.
Der Taxifahrer fuhr mich zum Bahnhof, ich versteckte mich in einer Nische des leeren Gebäudes und hoffte, er würde mich nicht suchen oder zumindest finden. Es war kalt, ich war gedemütigt und alles in mir hasste mich für das, was ich hatte mit mir machen lassen. Als es fünf Uhr früh war, kam endlich der erste Zug und ich konnte zurückfahren, zu Kind, Freundinnen und Familie.
Zu Hause stieg ich in die Badewanne und besah meine Arme. Grün und blau. Eine Hand umschloss meinen Oberarm, so deutlich waren seine Spuren in mein Fleisch gedrückt worden. Ich besah meine Gefühle zu eben Erlebtem. Warum war mir das passiert? Warum war ich nicht schon nach der ersten Demütigung gegangen? Die Erklärungen lagen in der Luft, umso schlimmer war das Gefühl des Versagens.
Ich nahm mein Telefon und wählte die erste Nummer, die mir einfiel. Meine Versicherung, für den Fall der Fälle. Ich rief nicht die Polizei oder den Arzt an, was ich hätte tun können. Ich rief nach meiner Mama.
Ich rief nicht die Polizei oder den Arzt an, was ich hätte tun können. Ich rief nach meiner Mama.
Mit fester Stimme erzählte ich ihr, was passiert war. Ich erzählte es ihr, damit es nicht noch einmal passieren würde. Ich erzählte es allen, damit ich nicht noch einmal durch eigene Entschlüsse blindlinks in Muster tappte. Ich erzählte es meiner Chefin, meinem Ex, meinen Freundinnen und Verwandten. Ich erzählte es, damit sie alle gemeinsame Verantwortung trugen, wenn ich dazu nicht in der Lage sein würde. Aber ich war es. Ich blieb es. Fortan hatte ich mich nie mehr schlagen lassen von einem Partner (oder sonst wem). Und dies scheint so leicht, doch es war so schwer.
Wenn du Gewalt erfahren hast oder jemanden kennst, kannst du dich an das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” wenden, Beratungsangebote in deiner Nähe auf www.gewalt-gegen-frauen.de oder bei der Polizei finden und dich hier über alle Gewaltformen im Netz informieren. Du bist nicht allein.
Headerfoto: cottonbro via Pexels. (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!