Des Mannes Schwäche, des Mannes Last

Lies Dir mal den Text von diesem französischen Autor durch.
Wieso?
Wird Dir gefallen.
Hier kann sich doch aber keiner konzentrieren, so laut wie die Mädels da drüben über ihren Typ Mann diskutieren.
Wird schon gehen.
Ok, ok.

„Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen. Ich war etwa 18 Jahre alt und hatte meine erste Freundin, das war in einer kleinen Vorstadt von Bordeaux. Alles war rosig zwischen uns, eine tolle erste Beziehung mit einem tollen Mädchen. Ich war sehr verliebt.

Ich wollte sie berühren, ich wollte sie bei mir haben.

Irgendwann, aus dem Nichts, war da jedoch eine neue Frau in meiner Nähe, Nasenring, blonder Pferdeschwanz, dunkle Augen – wie aus einem Film entsprungen. Ich wollte sie berühren, ich wollte sie bei mir haben. Und zugleich wollte ich meine Freundin nicht verlassen.

Ich wollte die Sicherheit der Beziehung nicht hinter mir lassen, ich wollte sie nicht verletzen. Ich wollte alles richtig machen. Ich habe sie verlassen, nur um etwa zwei Wochen später wieder vor ihrer Tür zu stehen. In der Zeit dazwischen gab mir mein Vater einen Rat: Jetzt musst Du entscheiden, ob Du ein Mann sein willst oder nicht.

Danke, alles klar, sagte ich ihm. Um dann vor der Tür meiner Ex-Freundin zu stehen und ihr zu sagen, dass ich nicht wisse, was ich wolle. Ich erklärte ihr, ich wolle alles gleichzeitig. Und vor allem wolle ich genau das eigentlich nicht zugeben. Ich wolle noch nicht einmal eingestehen müssen, dass es mir schwer falle, wiederum das zuzugeben.

Ich zog von dannen, mit eingezogenem Schwanz, Schultern und Ego.

Ich würde mich für diese Schwäche hassen. In meinem Kopf sei ein ganz anderes Bild von mir und ich befürchte, dass ich gerade einen Identitätskonflikt durchlebe, geschuldet der Schwelle zum Erwachsenenalter. Ich zog von dannen, mit eingezogenem Schwanz, Schultern und Ego.

Ich habe damals wirklich gehofft, dass es die Wirren eines jungen Mannes sind, an denen sich die Wellen der Lust, der Sehnsucht, der Treue und der Scham immer wieder brechen – wie an den Steinen eines Leuchtturms in der Nordsee. Aber es hat sich anders herausgestellt.

Das Bild der eigenen Männlichkeit ist beinahe kubistisch, alles voller verschiedener Formen, die klar umrissen sind, aber dennoch übereinanderliegen. Ich verstehe sie bis heute nicht. Ich wollte nie zugeben müssen, dass ich in einer Beziehung war und trotzdem hoffte, dass mir eine noch tollere Frau über den Weg laufen würde.

Ich wollte nicht zugeben, dass ich meine Ex-Freundin betrogen habe. Ich wollte nicht zugeben, dass ich meine Entscheidung immer wieder zurücknahm, wenn die Schwäche der Sehnsucht stärker war als ich. Ich wollte nicht zugeben, wie schwer es mir fiel, diese Scham auszuhalten.

Ich wollte nicht wissen, was andere dazu dachten. Ich fürchtete mich vor ihren moralischen Worten und vorwurfsvollen Blicken.

Ich wollte nicht wissen, was andere dazu dachten. Ich fürchtete mich vor ihren moralischen Worten und vorwurfsvollen Blicken. Ich wollte mich nicht rechtfertigen. Ich fühlte mich klein, meine Taten bissen sich an meinem Selbstbild die Zähne aus.

Und jetzt erwarten Sie als Leser vermutlich eine geläuterte Pointe, oder? Ein paar aufbauende Worte, eine stärkende Moral oder ein Ziel, auf das ich schließlich gestoßen bin und das ich nun weitergeben kann.

Nein, werter Leser und werte Leserin, ich muss Sie enttäuschen. Die Wahrheit ist: Es geht immer so weiter. Immer wieder stehe ich vor Rätseln meiner Gedanken, vor Scherben meiner Taten. Und ich schäme mich manchmal noch dafür, nicht die Art Mann zu sein, die stark ist. Die Art Mann, welche Sachen aushält, wegsteckt, zur Seite schiebt.

Und manchmal schäme ich mir dafür, nicht einfach zu dem zu stehen, was ich bin, nämlich ein kleiner Windbeutel, der sich verleugnet und sich Stärke wünscht, obwohl er diejenigen verächtlich betrachtet, die sich für stark halten. Es ist ein Kreis – oder besser noch: eine Leiter. Eine Sprosse weiter oben ist immer die nächste Metaebene, von der aus man sich wieder belächeln kann.

Männlichkeit ist ein Fass ohne Boden. Jeder hat eines im Keller. Man sollte es einfach mal anstechen und gucken, wie der Inhalt so schmeckt.

Männlichkeit ist ein Fass ohne Boden. Jeder hat eines im Keller. Man sollte es einfach mal anstechen und gucken, wie der Inhalt so schmeckt. Das ist besser, als vor der Tür seiner Freundin zu stehen und zu behaupten, man habe sich das alles so ausgesucht und gut überlegt.“

Ich glaube, Du hast Tränen in den Augen.
Ja, ich weiß.

Headerfoto: Samridhhi Sondhi via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

GOTTFRIED HAUFE schreibt Texte, um sich selbst besser zu verstehen. Klappt manchmal ganz gut. Neben dem Auftritt auf Lesebühnen und in Kombination mit Musik hat er auch den Wurf gewagt, eine Mischung aus Lesung und Theater zu kreieren. Ein Lesestück halt. Für im gegenteil schreibt er die Texte aber gerne noch mal extra auf.

1 Comment

  • Ich mag den Schreibstil, aber ich glaub ich verstehe die Aussage nicht. Hat für mich wenig mit Männlichkeit zu tun, nicht zu wissen was man will, andere zu begehren und dafür Schuldgefühle zu haben. Der Text hätte auch genauso von einer Frau kommen können. Ist eher ne menschliche als eine geschlechtsspezifische Identitätkrise. Kognitive Dissonanzen eben. Aber vielleicht fehlt mir da ja einfach eine Leitersprosse an Metaebene. Ich finde körperliche Treue eh ein überholtes Konzept und den einen perfekten Partner, der alle emotionalen und körperlichen Bedürfnisse abdeckt, gibt’s halt nicht. Also warum eine eigentlich gute Beziehung scheitern lassen, nur weil man die dort unerfüllten Bedürfnisse nicht immer unterdrücken kann. Find ich quatsch.

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