Wer in den letzten Monaten viel auf Social Media, insbesondere auf TikTok, unterwegs war, kam nur schwer um Andrew Tate herum. Der frühere Kickboxer erlangte vor allem unter jungen Männern Berühmtheit durch seine sexistischen und misogynen Aussagen. Kurze Interview-Ausschnitte, in denen er Gewalt an Frauen verherrlicht, ihnen Eigenverantwortung für Vergewaltigungen zuspricht und sie als Besitztümer ihrer Partner einordnet, gingen auf TikTok viral, wurden geteilt und auch auf Instagram verbreitet, oft aus Zustimmung, manchmal auch aus purer Sensationsgier. Sexismus, der im virtuellen Raum längst wieder salonfähig geworden ist und millionenfach reproduziert wird, Like für Like, Kommentar für Kommentar, Repost für Repost.
Er will jungen Männern beibringen, wie sie zu richtigen „Alpha-Männern“ werden.
Tates Konten auf Twitter, Instagram und Facebook sind mittlerweile gesperrt worden. Auf TikTok, wo er nie selbst aktiv war und wo seine Videos am häufigsten geteilt wurden, findet er nach wie vor begeisterte Resonanz unter jungen Männern. Andrew Tate wird dafür gefeiert, in einer Welt, in der „man ja nichts mehr sagen darf“, ehrlich zu sein und „endlich mal das auszusprechen, was sich ja ohnehin alle denken“. In seinem kostenpflichtigen Online-Kurs, der „Hustler´s University“, will er zudem jungen Männern beibringen, wie sie schnell an viel Geld kommen und allgemein zu richtigen “Alpha-Männern” werden – und zieht sie so immer weiter in (s)eine toxische Männlichkeit.
Toxische Männlichkeit
Toxische Männlichkeit beschreibt eine gesellschaftlich vorherrschende Vorstellung von Männlichkeit. Dabei geht es vor allem um das Selbstbild von Männern, das aus dieser Vorstellung resultiert und sich dann in Beziehungen und gesellschaftlichen Strukturen ausprägt. Dieses Selbst- und vermeintliche Idealbild zeichnet einen großen und muskulösen Mann, der keine Schwäche zeigt, alle Gefühle außer Wut unterdrückt, seine Ängste für sich behält und andere niemals um Unterstützung bittet. Gefühlsäußerungen wie Weinen, aber auch liebevolle Gesten werden als weiblich und damit als nicht erstrebenswert abgewertet. Der ideale Mann – in der Vorstellung toxischer Männlichkeit – ist außerdem beruflich erfolgreich, verdient viel Geld und will und kann zu jeder Zeit Sex haben.
Weil „toxisch“ als Zuschreibung den einzelnen Mann anstatt des Systems in Verantwortung nimmt, wird vor allem in der Wissenschaft eher von „hegemonialer“ Männlichkeit gesprochen, um die patriarchalen Machtstrukturen zu verdeutlichen.
Unter dem Patriarchat leiden Menschen aller Geschlechter.
Unter dem Patriarchat leiden Menschen aller Geschlechter. Denn es schöpft seine Kraft aus der Abwertung von Frauen einerseits und aus toxischer Männlichkeit andererseits. Und auch wenn Männer auf einer strukturellen Ebene vom Patriarchat profitieren, leiden sie zum absoluten Großteil doch unter der Rolle, die sie im Patriarchat erfüllen müssen.
Männer, die Männer decken
Die meisten provokanten Aussagen Andrew Tates entstammen Interviews, die andere männliche YouTuber oder Streamer mit ihm geführt haben. Da bieten Männer der Misogynie eines anderen Mannes ganz bewusst eine Bühne, lassen ihn nicht nur ausreden, sondern stimmen ihm zu, lachen über seine Worte, bestärken ihn dadurch.
Da bieten Männer der Misogynie eines anderen Mannes ganz bewusst eine Bühne.
Wie wirkt das auf beeinflussbare Jugendliche, deren größte Vorbilder sich heute im virtuellen Raum befinden? Ihnen wird vorgelebt, dass es in Ordnung – nein, geradezu cool – sei, über Frauenfeindlichkeit zu lachen. Dass die Typen, die sie äußern und reproduzieren, die krassesten sind. Dass es sich lohnt, mit solchen Männern befreundet zu sein.
„Männer ehren sich untereinander, sie hören sich zu, nehmen sich gegenseitig ernst. (…) Sie zeigen sich solidarisch untereinander, selbst wenn sie Straftaten begehen“, schreibt die Politikwissenschaftlerin Emilia Roig in ihrem Beitrag „Unlearn Liebe“ für das fantastische Sammelwerk „Unlearn Patriarchy“. Für diese Beziehung von Männern untereinander gibt es sogar eine Bezeichnung: Homosozialität, das Phänomen, dass wir uns überwiegend mit Menschen umgeben, die uns ähnlich sind und mit denen wir uns identifizieren können. Geschlecht ist dabei bis heute eine entscheidende Kategorie. Homosozialität spielt auch eine Rolle, wenn wir uns Vorbilder aussuchen, und sie sorgt dafür, dass die meisten Männer sich vor allem an anderen Männern orientieren.
Andrew Tates gibt es viele
„Andrew Tate ist der EINZIGE Mann in den populären Medien, der junge Männer ermutigt, hart zu arbeiten, Ängste und Depressionen zu besiegen und trotz aller Widrigkeiten im Leben erfolgreich zu sein.“
Dieses Zitat habe ich neulich auf Instagram entdeckt und es hat mir verdeutlicht, wie gefährlich das Ganze wirklich ist. In einer Gesellschaft, in der ein Andrew Tate als Vorbild für junge Männer gilt, haben wir Probleme, die viel größer sind, als wir uns vorstellen können. Denn das ist eine Gesellschaft, in der ein ehemaliger Zuhälter, Frauenschläger, Betrüger und Sexist einen viel zu großen Einfluss auf junge Menschen haben darf.
Die Andrew Tates dieser Welt können Väter, Großväter, Onkel, Cousins oder Freunde sein.
Andrew Tates gibt es viele auf dieser Welt und nicht alle haben seine Reichweite, nicht alle stehen in der Öffentlichkeit, die wenigsten finden im virtuellen Raum statt. Die Andrew Tates dieser Welt können Väter, Großväter, Onkel, Cousins oder Freunde sein. Sie können Einfluss nehmen auf das Denken und Handeln junger Männer, können schlechte Vorbilder sein und Ideen toxischer Männlichkeit von Generation zu Generation weitergeben. „Ein Mann, so wie ich es gelernt hatte, war ein Mensch, der seinen Kumpels bei der Begrüßung dreimal fest auf den Rücken schlug, um den Anschein von Zärtlichkeit zu vermeiden“, schreibt Bartolomäus von Laffert und verdeutlicht damit, wie prägend Vorbilder für ihn waren in Bezug auf das, was er als männlich empfindet.
Männlichkeit lieben
Was es also für junge Männer braucht, sind positive, bestärkende Vorbilder, die ihnen eine gesunde Männlichkeit vorleben können. Vorbilder, die starre Geschlechterrollen aufbrechen, Grenzen sprengen, Zärtlichkeit vermitteln. Die jungen Männern helfen, ein reflektiertes Verhältnis zu ihren Emotionen zu entwickeln und diese auszudrücken. Die Psychotherapie zum Aufarbeiten von verinnerlichten Denk- und Verhaltensmustern entstigmatisieren und verdeutlichen, wie wichtig dieses Aufarbeiten ist. Vorbilder, die vorleben, wie heteronormative Beziehungen auf Augenhöhe funktionieren. Und die zeigen, wie Beziehungen von Männern untereinander ehrlicher, unterstützender und liebevoller geführt werden können. Diese Vorbilder müssen und sollten nicht nur Männer sein. Auch Frauen und besonders nicht-binäre und queere Menschen können neue bereichernde Perspektiven auf Männlichkeit bieten.
Vorbilder, die zeigen, wie Beziehungen von Männern untereinander ehrlicher, unterstützender und liebevoller geführt werden können.
Natürlich kann die Verantwortung nicht allein bei Männern liegen. Wie bereits in meinem letzten Text angedeutet, müssen wir alle über Männlichkeit sprechen (lernen), denn sie geht uns alle etwas an. “Um liebende Männer zu erschaffen, müssen wir Männer lieben”, schreibt bell hooks in ihrem Buch “Männer, Männlichkeit und Liebe. Der Wille zur Veränderung.” Männer und Männlichkeit zu lieben sei nicht, sie dafür zu belohnen, dass sie toxischen Vorstellungen einer männlichen Identität entsprechen. In einer patriarchalen Gesellschaft wird der Wert von Männern viel zu sehr an ihren Handlungen gemessen. Männlichkeit zu lieben bedeutet aber, Männern einen Wert zuzugestehen, der außerhalb dessen liegt, was sie leisten, sondern ausschließlich in dem, wer sie sind, ganz individuell und ohne sich beweisen zu müssen.
Und weil wir alle toxische Männlichkeitsideale verinnerlicht haben, müssen wir uns diesbezüglich reflektieren. Das ist eine Reise, auf die wir uns alle begeben sollten.
Dass Männer nun Nagellack tragen, wird nicht das Patriarchat zerschlagen.
Während ich diesen Text schreibe, sitze ich mit meinen zwei besten Freunden in meiner WG-Küche und schaute ihnen dabei zu, wie sie sich gegenseitig die Fingernägel in meiner Lieblingsfarbe lackieren, einem dunklen Tannengrün. Dass Männer nun Nagellack tragen, wird nicht das Patriarchat zerschlagen. Aber es kann dazu beitragen, bestehende Männlichkeitsideale herauszufordern und Gespräche anzuregen, weshalb ich es sehr supporte, wenn meine männlichen Freunde Lust auf ein bisschen Farbe auf den Nägeln haben.
„Ab wann ist ein Mann ein Mann?“, singt währenddessen Herbert Grönemeyer, den wir einmal ganz unironisch hören. Ja, ab wann eigentlich? Das ist eine Frage, die kein Andrew Tate (und auch kein Herbert Grönemeyer) dieser Welt, sondern jeder Mann für sich beantworten sollte – frei vom Einfluss toxischer Männlichkeit. Und im Idealfall geprägt durch andere coole, liebevolle, empathische, soziale Männer, Frauen und Menschen.
Headerfoto: Pixabay (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!
Die Frage ist wie soll man aber als Mann auf eine Frau und Kinder schauen wenn man bei jedem kleinen Stein auf dem Weg zusammenbricht. Das würde die Frau unglücklich machen, wenn sie denkt sie muss es tun weil ihr Mann zu schwach ist.
Ich habe mich nun auf mehreren Seiten durchgelesen und denke Andrew Tate hat komplett recht mit seinen Aussagen. Indem man als Mann schwach ist wird nur auf einen eingetreten egal ob von anderen Männern oder von Frauen. Ihr wisst nicht wie die Realität des Mannes abläuft, Entweder ist man ein Niemand oder man baut sich auf und mit Glück kann man seine Ziele erreichen.