Der andere Mann

Stell dir vor, du lernst jemanden in einem Club kennen und ihr hängt so ganz casual miteinander ab. Ihr quatscht, Toilettenaction, Hilfsaktionen (keiner muss gähnen!), tanzen, das übliche Clubgemetzel. Jener jemand bleibt in der Gruppe, schließt sich dir und deinen Freunden an. Jemand ist da und geht nicht, weil ihr von Moment zu Moment, halb höflich, halb fordernd, nicht voneinander loslassen könnt.

Jemand schließt sich euch an, wenn ihr den Club verlasst, um einen Break zu haben und zu duschen und zu essen und zu quatschen und die Zeit außerhalb der Zeit zu dehnen. Jemand sagt dir dann, er sei in einer Beziehung.

Natürlich machst du dann die Schotten dicht, natürlich denkst du dir: Ach, ist doch egal. Deswegen der verhaltene Kuss auf der Tanzfläche, aber warum auch mehr wollen? Warum da jetzt was reininterpretieren? Lockert die Gruppe auf, jemanden mitzunehmen. Wir kuscheln doch ohnehin alle nur, keiner beißt.

Stell dir vor, ihr liegt zusammen in einem Bett und fuck ist das schön. Stell dir vor, dein Kopf macht zu, rational darf da nichts gehen, wird da nichts passieren. Was du dir nicht vorstellen kannst ist, was dein Herz mit dir anstellt, weil es einfach schneller schlägt und Blut geleckt hat und mehr davon will, mehr Blut, mehr durch deine Adern pochen lassen will, von dem Blut des fremden schönen Unbekannten.

Stell dir vor, ihr werdet Facebook-Freunde und dann sind da Hochzeitsbilder im Profil. Stell dir vor, wie dein Herz in die Hose rutscht, stell dir vor, ganz genau vor, wie es stehen bleibt, für einen Moment und du dir denkst: Ich will der Mann im Anzug neben dir sein. Scheiße, siehst du gut aus.

Jetzt stell dir vor, du bist in einer Bar, in der du arbeitest und erzählst deinen Kollegen, dass du jemanden kennengelernt hast, mit dem du dich morgen triffst, aber er ist in einer Beziehung und stell dir vor, sie sagen: „Bist du so ein Betrayer?“ Und natürlich verneinst du, natürlich bist du nicht so ein Betrayer. Du hast das unter Kontrolle. Du kommst schon klar. Du kennst deine Grenzen.

Stell dir vor ihr hättet diesen wunderschönen Nachmittag im Park, der Hund tollt über die Wiese und ihr trinkt Kaffee aus Pappbechern und die Sonne scheint als wäre es Frühling und stell dir vor wie‘s in deinem Bauch kribbelt, als wäre es verdammt nochmal Frühling. Merkste was? Oh shit. Da geht was. Stell dir vor, wie‘s dich zerreißt. Stell dir die Frage: Bin ich doch ein Betrayer? Kenne ich meine Grenzen?

Jetzt denk an das Gespräch zurück, dass ihr hattet, abgefuckt auf der Couch liegend, das Gespräch über Hannah Arendt und über Zeit und über Postkolonialismus und andere intellektuelle Scheiße, die so nicht, aber eigentlich genau so, in einen Sonntagnachmittag gehört, während jemand einen Joint baut und jemand anderes die Sektflasche vom Späti öffnet. Stell dir vor, wie es klickt, dann knackt. Stell dir vor, da ist jemand, neben dir, der einen schönen Geist hat. Und einen schönen Bart. Und ein schönes Lächeln. Geht das in deinen Kopf? Kannst du dir das vorstellen?

Stell dir einfach vor eine Freundin hätte gesagt: „Und wenn ihr euch verliebt: Scheiß drauf.“ Und du denkst dir: Verlieben? Wie ging das nochmal? Stell dir vor, du kannst dir nicht mehr vorstellen, wie das ist: sich zu verlieben. Dabei ist‘s schon zu spät. Ist‘s schon um dich geschehen. Stell dir vor du könntest dich nicht verlieben und dann passiert‘s dir, aber so richtig mit der Faust in die Magengrube, dass die Schmetterlinge dir nur so aus dem Mund speien und du überall Regenbögen siehst. Stell dir vor ihr holt euch einen Kaffee auf einem Sonntagsspaziergang und dann ist da für ca. fünf Minuten Regen und dann – stell dir mal vor – ist da wirklich ein verdammter Regenbogen. Einfach so. Kannst du dir das vorstellen?

Stell dir vor du wachst morgens auf und schaust in ein Gesicht, das dir noch fremd ist, aber das du ins Vertraute ziehen willst. Die Hände um den Hals, einen Kuss auf die Lippen, rein ins Vertraute, rein in dein Leben. Rein in dein Herz, wo du schnell Platz machst und alles entstaubst.

Stell dir vor, du bist ein Betrayer. Stell dir vor, du verliebst dich in jemanden, der in einer Beziehung ist und wenn ihr zusammen seid, ist alles perfekt, weil da Regenbögen sind und die Bahn immer in einer Minute kommt und der Kaffee besser schmeckt und du immer so dumm grinsen musst. Stell dir vor, der Frühling käme zu früh, weil der Winter keinen Bock hat. Kommst du noch mit? Kannst du dir das vorstellen? Und dann bist du, so rein hypothetisch gesprochen, doch so ein Betrayer. Dann säbelst du gerade jemandes Beziehung ab. Und es fühlt sich nicht falsch an, es fühlt sich nicht unmoralisch an – weil du um die Schuld weißt, die du auf dich laden würdest, handeltest du gegen deine Gefühle, du die Reue ahnst, die du empfinden würdest, ließest du diesen schönen Mann weiterziehen. Das alles wäre schlimmer und dauerte länger als das kleine Scharmützel, das du gerade anrichtest.

Stell‘s dir einfach mal vor. Und, wie fühlt es sich an?

Titelbild: illustriert von der wunderbaren Ewi Palaska, auch auf Facebook zu finden!

KEVIN zerbricht sich gerne den Kopf über alles, was mit Liebe zu tun hat. Überhaupt schreibt er gerne über alle möglichen zeitgenössischen Phänomene zwischen Pop- und Subkultur. Keine Kneifzange, alles kommt in den literarisch-essayistischen Fleischwolf. Neben dem freien Schreiben bloggt er auf "wolf auf tausend plateaus" über genau das: Alles und Mögliches.

5 Comments

    • kann ich mir nicht nur vorstellen……..ich sehe es direkt vor meinen Augen…ups STOP..aber das mit der Bahn jede Minute,,sry ( Traumblase geplatzt) das nimmt Dir nun wirklich keiner mehr ab..TsTsTSTS..welche Kräuter waren nur in Deinem Tee..:-))

  • Das brauch ich mir nicht vorstellen. Das hab ich durchlebt und das entlieben ist schmerzhaft haftend und klebend. Die klebestreifen dieser verbindung haben sich um mein herz gewickelt.und immer wenn ich etwas entfernt habe, kommt die sehnsucht und webt wieder.neue verknuepfungen.

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