Beim WG-Casting – irgendwas ist immer

„Er muss …“, sagt Ella, “süß und locker sein. Und humorvoll. Nicht so ein spießiger Sockenfalter. Zuverlässig sollte er sein und gerne kochen. Und Margaret Cho kennen.“

„Hast du weitere Wünsche?“, frage ich sie, während wir auf ihrem kleinen Balkon sitzen, uns mit einer Flasche Rotwein betrinken und eine Tüte rauchen. „Nein“, sagt sie und nippt an ihrem Glas. Möge das Casting beginnen.

Ella wohnt mit Bernhard, dem Langweiler, Johannes, dem Jung-Anwalt, Janina, der Modetussi, und ihrer eigenen Mutter in einer geräumigen 5 1/2-Zimmer-Wohnung in der begehrten Stadtmitte. Ihre Mutter – Rosanna, Studentin im dritten Semester (Agrartechnologie) – wird ein Praktikum im Ausland absolvieren. Eine Miete weniger.

Ella hat in Zeitungen und im Netz inseriert und zahlreiche Bewerber zeigten großes Interesse an dem zu vergebenden Zimmer. Nun sollen sie kommen. Einer nach dem anderen. Schön wie sich das gehört. Frauen lehnt Ella ab. Die sind kompliziert und anstrengend, sagt sie.

Frank trägt einen unförmigen Anzug, eine rote Krawatte und hat Blumen mitgebracht. Er druckst herum.

Als am Donnerstag um eine Minute nach vier Frank an der Tür klingelt, sitzen wir zu fünft und gespannt am Küchentisch. Ich diene als unparteiischer Berater. Frank trägt einen unförmigen Anzug, eine rote Krawatte und hat Blumen mitgebracht. Er druckst herum.

„Blumen. Wie aufmerksam.“ Ella ist entzückt. Ihre Mutter zeigt heimlich mit dem Daumen nach unten. Warum? Hm. Es ist Ellas Mutter. Sie ist, wie sie ist. Vielleicht deshalb? Frank ist um die 40, stottert und schwitzt. Seine Stirn ist bedeckt mit Schweißperlen. Als er sich verabschieden möchte, stößt er gegen den kleinen Tisch, auf dem die zickige Janina die Blumen hergerichtet hat. „Macht doch nichts“, faucht Ellas Mutter und schiebt ihn unsanft zur Tür. „Tschüss.“

Der nächste Bewerber ist Tim. Ella errötet. Tim war einer ihrer Partyflirts. Sie hatten Sex im Auto. In Ellas Fiat Panda. Aber sicher ist sich Ella nicht, sie war sehr betrunken. Es kann auch nur Petting gewesen sein.

Verstehe.

Als Wasif, ihr langjähriger, bester und selbstverständlich rein platonischer Freund, das sah, haben sich Wasif und Tim gleich am Parkplatz geprügelt – und bei diesem wilden Faustkampf schlug Wasif Tim einen Zahn aus. Anzeigen wollte ihn Tim jedoch nicht. Da war noch diese Sache mit dem illegalen Waffenbesitz. Tim ist vorbestraft. Keine Bullen und so.

Anzeigen wollte ihn Tim jedoch nicht. Tim ist vorbestraft. Keine Bullen und so. Das war Wasif ganz recht, denn er hat gar keine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland.

Das war Wasif ganz recht, denn er hat gar keine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland. Zähneknirschend gingen die beiden Streithähne auseinander, nicht ohne sich noch ein paar Beleidigungen zuzuwerfen. Ella kann ihrer Mutter nun natürlich nicht mitteilen, warum sie sich gegen Tims Einzug ausspricht. Sie ist 21, aber ihre Mutter möchte nicht, dass sie raucht, trinkt oder herumhurt. Nur Drogen sind okay.

Wenn Besuch im Hause ist und ein Gläschen Wein oder Bier trinkt, sagt Ellas Mutter: „Du nicht“, und stellt ihr ein Glas Hohes C auf den Tisch.

Tim sieht sie irritiert an. Auf einer Skala von Gut bis Schnaps kann er sich Neun an Ella erinnern – und sie? Sie bringt die Führung und den Small-Talk rasch über die Bühne. Als Tim aus der Wohnung ist, sagt Ellas Mutter: „Nett, aber so ein bisschen ungepflegt. Dem fehlt ja sogar ein Zahn.“

Nun steht Roxy in der Tür. Sie sieht aus wie die Frontfrau von Garbage ­– nur im Gegenteil von gutaussehend.

Keine Frauen, sagte Ella, aber dagegen legte Johannes ein Veto ein. Nun steht Roxy in der Tür. Sie sieht aus wie die Frontfrau von Garbage ­– nur im Gegenteil von gutaussehend. Sie trägt schwarz-weiß-gestreifte Armstulpen, ein schwarzes Top, einen kurzen schwarzen Rock, eine Netzstrumpfhose und schwarze Stiefel. Sie beendet jeden Satz mit „und so“.

„Ich mein, ey. Ich bin keine Satanistin, weil ich schwarzgefärbte Haare habe und manchmal gelbe Kontaktlinsen einsetze und so. Ich höre Musik von der Band von meinem Freund Schmerz deiner kranken Seele, weißt du, und die Leute denken, ich wär scheiße und so. Ich bin voll gegen die konforme Gesellschaft und so. Voll Anti-Mainstream, weil ich anders bin und so.“

Roxy ist Studentin der Sozialpädagogik und fängt mit Janina an einen Streit an. Ihr gefällt Janinas aprilfrische Pastell-Pferdemädchen-Kleidung nicht. Bernhard hat ein Foto von seiner verstorbenen Großmutter in seinem Zimmer aufgestellt. Roxy nimmt es in die Hand, mit ihren schwarz lackierten Nägeln, und sagt: „Ey, jeder ist irgendwann am sterben und so. Ist doch geil und so.“ Als sie sich im Bad die Rasierklingen zu lange ansieht, wird sie aussortiert.

Dann kommt Holger. Holger ist um die 50 und hat eine Halbglatze. Er ist Busfahrer und ohne seine Katze Inge kann und möchte er nicht einziehen.

Dann kommt Holger. Holger ist um die 50 und hat eine Halbglatze. Er ist Busfahrer und sehr verschmust. Ohne seine Katze Inge kann und möchte er nicht einziehen. Verständnis. Holger kann kochen und mit flotter Musik im Hintergrund putzt er für sein Leben gern. Noch Fragen? Holger soll einziehen. Als ihn Ella drei Tage später anrufen möchte, erfährt sie von seinem Noch-Mitbewohner Manfred, der eine sehr schöne Telefonstimme hat, dass Holger im Knast sitzt. Er hat wohl ein paar Rechnungen nicht bezahlt.

Zurück auf vorher. Eduardo kommt. Er ist homosexuell und tatsächlich Friseur. Er sieht sehr gut aus. Ella und er beschimpfen sich wüst und diskutieren über hungernde Kinder in Afrika, nachdem Eduardo es wagte, sein halbvolles Glas ACE-Saft in die Spüle zu schütten.

Hendrik, der Sportlehrer, wird von Johannes abgelehnt. Das ist der Typ, der im Fitnessstudio ununterbrochen das Laufband Turbo Super 3000 blockiert. Niemals soll der einziehen – Johannes protestiert. Waldemar, Kandidat Nummer 7, spricht Russisch und circa dreißig Wörter Englisch. Ella wird ungeduldig. Der süße Lukas kommt aus Dresden und ist Rapper. Nebenbei studiert er BWL. Ella ist Feuer und Flamme. Als er zu reden beginnt, hält sich Ellas Mutter die Ohren zu. Er ist ihr zu sächsisch. Dismissed. Disqualifiziert. Game over.

Am Ende bin ich dann eingezogen. Fürs Probewohnen.

Am Ende bin ich dann eingezogen. Fürs Probewohnen. Bernhard sah mich ununterbrochen mit lüsternem, stierendem Blick an und wollte mir seine Überraschungseierfiguren-Sammlung in seinem Zimmer präsentieren. Neben Johannes‘ langbeinigen Amazonenfrauen fühlte ich mich wie Supersize-Me-Aschenputtel.

Janina wollte mir andauernd ihre Instagram-Seite zeigen und über Detox-Tees reden, zudem war Ella dauerbekifft und extrem unordentlich. Sie strapazierte mein Nervenkostüm durch das Dauergestreite mit ihrem Freund. Als ginge es darum, einen internationalen Rekord zu halten, knallten die beiden bereits am frühen Morgen mit den Türen und warfen Tassen und Teller an die Wand.

„Gib doch zu, dass du mit der Sprechstundenhilfe beim Kieferorthopäden geflirtet hast“, schrie Ella und zielte mit einem Blumenkübel auf Jason. „Nein, habe ich nicht“, entgegnete dieser. „Aber geil war die schon.“ Der Kübel traf ihn am Kopf. Keine Sorge. Die Platzwunde musste nur mit sechs Stichen genäht werden. Drei Nächte lang hatten die beiden daraufhin lauten, ekstatischen Versöhnungssex. Wer von euch schon mal Katzen beim Akt belauschen durfte, weiß, wovon ich spreche.

Ich zog kurz danach aus. WG – oh nee. Zum Glück wurde Holger eine Woche später aus dem Gefängnis entlassen und konnte sein Zimmer freudestrahlend beziehen.

Headerfoto: Stockfoto von Stefaniya Gutovska/Shutterstock. (“Gesellschaftsspiel”-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

Mia ist arm, aber eher mittel-sexy, bei gedämpftem Licht und mit der entsprechenden Promillezahl. Sie neigt zu Faulheit und Melancholie und ihre ehemalige französische Mitbewohnerin sagt, dass sie an ihrem Selbstbewusstsein arbeiten sollte. Es ist schwer, Ratschläge zu befolgen, wenn man sich von süßen, französischen Akzenten ablenken lässt und zu viel Wein getrunken hat. Sie mag Filme, Bücher, Kunst, Reisen, Musik und schreiben, was sie auf ihrem Blog macht.

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