Als ich die ersten Silben aus dem Hörer höre, geht alles so schnell. Vor einer Woche hätte noch dein Name dort auf dem Bildschirm gestanden. Doch jetzt war da nur noch eine Nummer. Eine Nummer in der Hoffnungslosigkeit, die ich nicht mehr gewagt habe, mit einem Gedanken an dich zu verbinden. Weil ich so überzeugt war, dass du so etwas nicht tun würdest.
Es dauerte ungefähr drei Sekunden. Zwischen dem Ton und dem Erkennen. Dass das deine Stimme ist. Wie oft ich mir in den letzten zwei Monaten gewünscht habe, sie zu hören, ich kann es nicht zählen. Und dann? Dann geht alles so schnell, dass ich es auch nun, zwei Tage später, noch immer nicht fassen kann.
Ich mache mich auf den Weg. Ohne nachzudenken. Keine Logik. Alles, was in den vergangenen Wochen so kleinlichst und detailliert analysiert wurde, hat dein Anruf einfach vom Tisch gefegt. Die Schlussfolgerung, zu der mich die Analyse hat kommen lassen? Weg. Sie spielt in diesem Augenblick doch keine Rolle mehr. Das Herz hat den Verstand vom Ruder weggestoßen und übernommen.
Unausgesprochene Worte hängen hoch über unseren Köpfen.
Die Treppe unter deinen Füßen knarrt. Sie ist steil und ich sehe erst deine Schuhe, deine Jeans und dann dein Gesicht. Ich schaffe es einfach nicht, nicht zu lächeln. Du nimmst mich in die Arme und küsst mich. Meine Eloquenz lässt mich im Stich und kommt über ein „krass“ nicht mehr hinaus.
Deine Freunde scheinen nicht irritiert über deinen neuen Gast. Kurz lassen wir uns von einer Stimmung treiben, die mit aller Kraft versucht, unser Ende vor zwei Monaten listig hinter ihrem Rücken verschwinden zu lassen.
Die erste Zigarette gemeinsam nach zwei Monaten. Ich sage es. Das, was in meinem Kopf war. Jeden Tag in den vergangenen acht Wochen. Doch wir werden unterbrochen und spielen wieder, dass nichts passiert ist. Was ist schon passiert?
Kurz lassen wir uns von einer Stimmung treiben, die mit aller Kraft versucht, unser Ende vor zwei Monaten listig hinter ihrem Rücken verschwinden zu lassen.
Wir können unseren Lippen verbieten, darüber zu sprechen, aber unseren Augen nicht. Als wir endlich auf die Straße treten, sind wir allein. Keiner mehr da, der uns in dem Moment, wo es drauf ankommt, unterbrechen könnte.
Also starte ich noch einmal. Schon beim Aussprechen der Worte weiß ich, dass es eigentlich egal ist, was du sagst. Wir sind gerade hier. Hier und jetzt. Alles ist jetzt. Wir bekommen wenigstens noch einmal ein paar gemeinsame Momente geschenkt und ich nehme das Geschenk gerade einfach an. Kein Umtauschrecht.
Der Kater danach
Zwei Tage später. Mein Kopf versucht zu ordnen, aber von überall her blinken die Fehlermeldungen. Eine Festplatte, die nicht defragmentiert werden kann. Die Fragmente der letzten Tage, sie ergeben für mich keinen Sinn.
Du hast mir so weh getan, als du mich einfach ohne eine wirkliche Erklärung aus deinem Leben geschmissen hast. Ich habe dich verflucht. Ich wusste, dass dein Verhalten nicht akzeptabel ist. Menschlich.
Wir verstehen uns blind und doch verstehe ich dich gar nicht.
Und nun möchte ich davon nichts mehr wissen. Sinnlos ist für mich das, was wir sind, wenn wir zusammen sind, und was wir dann daraus machen. Gar nichts. Ich kann natürlich nicht in die Zukunft sehen, aber mein Bauch gibt mir gerade kein grünes Licht dafür, dass dies tatsächlich das sagenumwobene Wunder war.
Dabei sind wir zusammen so lächerlich perfekt. Kann ich es wirklich zu einseitig sehen? Ich will deine Augen öffnen. Bitte, mach deine Augen auf! Wieso kannst du nicht das sehen, was ich sehe? Wir verstehen uns blind und doch verstehe ich dich gar nicht.
Zurück zu diesem Nichts zwischen uns.
Lassen wir die zwei Tage doch einfach da, wo sie nun sind, in der Vergangenheit, und gehen wieder dazu über, unsere beiden Leben sich nicht noch einmal kreuzen zu lassen. Doch mit diesem Plan gibt es ein Problem.
Denn in den letzten zwei Tagen hast du mir gezeigt, dass du der Mensch bist, mit dem ich nicht nur eine kleine Überschneidung der Lebenswege möchte, sondern ich möchte den Lebensweg teilen. Du bist mit deinen Freunden zusammen und ich schaue dich an und kann nichts anderes denken als: Ja. Immer wieder ja.
Du und ich, niemand von uns ist perfekt. Aber wir zusammen auf eine so verdrehte Art, dass es niemand versteht. Wo ich mir vor ein paar Monaten noch nicht sicher war, nach diesen zwei Tagen bin ich es. Ich kann keine Zweifel mehr bei mir finden. Dabei bei dir umso mehr.
Du und ich, niemand von uns ist perfekt. Aber wir zusammen auf eine so verdrehte Art, dass es niemand versteht.
Du sagst mir so wunderschöne Dinge. Du bist gut zu mir, so richtig gut. Du bist ein toller Mensch und ich kann nicht anders, als dir ehrliche Komplimente dafür zu machen. Unsere Verabschiedung vor drei Stunden hallt in mir nach.
Du hast die gleichen Worte benutzt, wie an dem Tag, als du das letzte Mal durch meine Tür gegangen bist. Wir schreiben. Ich habe dich gefragt, ob wir das wirklich tun. Ja.
Kann man zur selben Zeit unfassbar glücklich und unfassbar traurig sein? Anders kann ich das Gefühl in meiner Brust nicht beschreiben. Ich bin dankbar für die letzten zwei Tage. Für das Lachen und die Zeit, die wir verbracht haben. Doch nun sitze ich hier und weiß, wie es sich anfühlen würde, samstagsmorgens mit dir aufzustehen und Pläne zu machen.
Souvenirs unseres Endes
Damit ich nicht komplett in eine Traumwelt abdrifte, sind die Beweise für unser Ende noch überall in deiner Wohnung verteilt: ein Haargummi hier, eine Spange da, Girlsstuff im Bad. Ich hasse es. Ich möchte mir einen großen Müllbeutel nehmen und endlich den ganzen Scheiß aus deinem Leben räumen. Wieso kannst du es nicht sehen? Ich will dir das alles abnehmen und dir zeigen, dass es jetzt auch endlich gut werden kann.
Doch selbst außerhalb deiner vier Wände ist unser Ende nah. Du kriegst eine Nachricht, die dich aus der Fassung bringt. Wir wissen, dass ich der letzte Mensch bin, mit dem du darüber reden solltest, aber trotzdem tust du es und du bist traurig wegen der Nachricht und ich bin traurig wegen dir.
Und dann machst du es einfach wieder. Du schmeißt mich aus deinem Leben.
Und dann machst du es einfach wieder. Du schmeißt mich aus deinem Leben – wegen ihr. Ich wusste es. Ich wusste es eigentlich schon im Auto, als die Euphorie unseres wundervollen Wochenendes und unseres Wiedersehens langsam verblasst ist. Ich habe es in deinen Augen gesehen und in deiner Stimme gehört – auf einmal waren deine Worte nicht mehr echt. Du wusstest bereits da, dass du dein Versprechen, dass wir schreiben, nicht in die Tat umsetzen würdest.
Als ich es schaffe, dich zu erreichen, reden wir. Endlich. Offen und ehrlich. Doch das, was ich höre, zerreißt mich. Zerreißt mein Herz – schon wieder – und diesmal auch irgendwie meinen Kopf. Nun sitze ich hier, drei Tage nach unserem Gespräch. Fühle mich leer und fühle mich dich vermissend. Obwohl ich mich dafür, dich nach diesem Gespräch, deinem grausamen Verhalten am Wochenende noch zu vermissen, in die geschlossene Psychatrie einweisen lassen könnte.
Alles, was bleibt, ist der Schmerz und atemberaubende Erinnerungen
Ich kann dir nicht böse sein. Ich kann dich einfach nicht dafür hassen, dass du mir schon wieder so unfassbar weh getan hast. Dass du mich dafür benutzt hast, um deinen Schmerz für zwei Tage ein wenig kleiner zu machen – und meinen dafür umso größer.
Das, was ich in den letzten zwei Monaten so tief irgendwo vergraben habe, damit es irgendwie weitergehen konnte – all das hast du mit zwei Tagen wieder an die Oberfläche befördert und bist ein wenig darauf rumgesprungen. Nun sitze ich hier mit dem ganzen Chaos. Mit neuen atemberaubenden Momenten und vielem neuen Lachen und vielen Blicken in deine Augen. Und mit viel neuem Schmerz.
Ich weiß nicht, warum du nicht von ihr loskommst. Ich kenne sie nicht, aber ich hasse sie dafür, dass sie dir wehgetan hat. Und dass sie heute noch so viel Chaos in deinem Kopf anrichtet. Dafür, dass du wegen ihr nicht sehen kannst, was das Richtige ist.
Doch liegt es überhaupt an ihr? Oder liegt es einfach daran, dass du mich schlicht und einfach nicht willst? Dass ich für dich nichts anderes als irgendein dahergelaufenes Mädchen bin, mit dem du manchmal Wein und Wodka getrunken hast?
Ich hasse sie dafür, dass sie dir wehgetan hat. Dafür, dass du wegen ihr nicht sehen kannst, was das Richtige ist.
Du hast mir alle Optionen an Antworten einmal gegeben. So muss ich mich wohl selbst für eine Antwort entscheiden. Und die kann ich nur von dem, was du tust, ableiten. Und dies ist Stand heute: gar nichts.
Ich hoffe so sehr, dass die Worte, die ich dir in dem Telefonat gesagt habe, irgendwie noch in deinem Kopf nachhallen werden. Doch so sehr ich das hoffe, so klein ist die Hoffnung, dass es wirklich so ist. Wieder bin ich an dem Punkt, an dem ich nicht weiß, welcher Mensch du bist. Der, den ich so sehr in mein Herz geschlossen habe, oder der, der mich am Guten im Menschen zweifeln lässt. Der pathologische Lügner und Narzisst oder der liebevolle, aufmerksame Chaot, der es nicht immer leicht hatte.
Ich stelle mir vor, wie ihr zusammen im Bett liegt. In deinem Bett, in das du mich, kurz nachdem sie einen Moment weg war, gelegt hast. Und nun ist sie wieder da. Und du bist soviel glücklicher, dass sie da ist, und nicht mehr ich. Es ist unfair. Ich finde es so schrecklich unfair.
Doch während ich diese Worte schreibe, sehe ich euch zusammen. Das Foto von euch, auf dem ihr so glücklich ausseht. Auf unserem Foto sieht man unsere Gesichter nicht. Vielleicht sagt das schon alles.
Headerfoto: Jennifer Marquez via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!