Horoskope und so ein Gedöns kann man ja sehen, wie man will. Oft verpönt und als absoluter Schwachsinn abgestempelt und mindestens genauso oft in den Himmel gelobt und nahezu als Religion zelebriert.
Ich bin irgendwo dazwischen. Mit Sicherheit glaube ich nicht felsenfest an all das, was mir da erzählt wird und es gibt gute Argumente, die ganz allgemein dagegensprechen.
Auf der anderen Seite denke ich, dass man mit ein bisschen Selbstkenntnis und Reflexion einiges mehr über sich selbst daraus lernen kann – wobei der Hype des „Sich-Selbst- Erkundens“ auch Ausmaße angenommen hat, die vielleicht nicht mehr so ganz gesund sind.
Jedenfalls habe ich in einem dieser horoskopartigen Selbsterkundungs-Tools gelesen, dass mein Leben bis zu meinem 30. Lebensjahr eine Suche sein wird, ich vieles ausprobieren und wieder beenden werde.
Und hier sitze ich nun. Hätte man für jede begonnene Idee, jedes angefangene Projekt, jedes aufgenommene Hobby und jede neue Berufs-Vision eine Akte angelegt, befände sich der Stapel bestimmt schon unter der Zimmerdecke.
Und hier sitze ich nun. Hätte man für jede begonnene Idee, jedes angefangene Projekt, jedes aufgenommene Hobby und jede neue Berufs-Vision eine Akte angelegt, befände sich der Stapel bestimmt schon unter der Zimmerdecke.
Hier sitze ich nun und frage mich, ob mein Geburtshoroskop Recht haben kann. Wird sich dieser Aktenstapel weiter türmen, bis ich 30 bin?!
Denn ich kann mich für so entsetzlich vieles begeistern. Alles, was mit Kreativität oder (Zwischen-)Menschlichkeit zu tun hat, fasziniert mich. Mein Kopf hat ein unerschöpfliches Depot an Ideen und Visionen und egal, was gerade meine aufflammende Begeisterung ist, innerhalb kürzester Zeit kann ich nahezu alles darüber lernen, einen ausgeklügelten Plan erstellen, die Website dazu bauen und auf Social Media teilen.
Mein nächstes, neues Ding
Wann immer ich meine Freunde sehe, bin ich schon wieder an einer neuen Sache dran. Und die Reaktionen sind häufig eine Mischung aus Begeisterung und der Frage nach der Sache davor. Was ist denn jetzt daraus geworden?!
Es ist, als würde ich von einem Buschfeuer der Begeisterung zum nächsten rennen. Es fängt heftig und intensiv an und ist meist ebenso schnell wieder erloschen – bis der nächste Busch brennt, die nächste Begeisterung aufflammt.
Ich wollte schon so vieles und habe doch so wenig erreicht – jedenfalls aus den Augen einer Gesellschaft betrachtet, die von mir erwartet, ein Studium oder eine Ausbildung zu machen, einen Job zu finden und dann dabei zu bleiben.
Ich wollte schon so vieles und habe doch so wenig erreicht – jedenfalls aus den Augen einer Gesellschaft betrachtet, die von mir erwartet, ein Studium oder eine Ausbildung zu machen, einen Job zu finden und dann dabei zu bleiben.
Mach etwas Vernünftiges. Such dir einen soliden Job, der dein Leben finanziert. Wenn du gut bist, arbeite dich hoch. Dein Leben kannst du dann in deiner (kaum vorhandenen) Freizeit genießen.
Das komplette Gegenteil dazu sind die finanziell Unabhängigen, die Unternehmer:innen, die erfolgreichen Menschen, die mir erzählen, was ich tun muss, um so zu sein wie sie. All die Menschen, die schon vor Mitte 20 eine halbe Million auf dem Konto haben, all das erreichen können, was ich mir so wünschen würde, und es geschafft haben, ihre “Passion” und sich selbst erfolgreich zu vermarkten und verkaufen.
Und hier sitze ich nun, 24 Jahre alt, mit nichts anderem vorzuweisen, als meinem Stapel unabgeschlossener Projekt-Akten, einer mittelmäßig sinnvollen Ausbildung, einem Haufen Fotos und einem Teilzeitjob, der mein Konto so halbwegs gut über null hält. Erfolg? Aktuell nicht in Sichtweite.
Da fragt man sich dann schon, ob man nicht doch das vernünftige hätte tun sollen – oder ob man einfach zu blöd ist, sich selbst anständig zu vermarkten und das dann zu verkaufen.
Da fragt man sich dann schon, ob man nicht doch das vernünftige hätte tun sollen – oder ob man einfach zu blöd ist, sich selbst anständig zu vermarkten und das dann zu verkaufen. Warum klappt es bei allen anderen, warum nicht bei mir? Warum habe ich nicht die Disziplin, “einfach mal” bei einer Sache zu bleiben, so wie alle es mir predigen – oder mich wenigstens anzupassen?!
Es gibt eine Bezeichnung für Menschen wie mich, die ihren Aktenstapel der angefangenen Projekte kaum noch überblicken können – nein, diese Bezeichnung lautet nicht Faulheit. Scanner-Persönlichkeiten nennt man sie.
Menschen, die die Welt veränderten
In der Vergangenheit unserer Geschichte waren es eben diese Persönlichkeiten, sogenannte Universalgelehrte, die z. B. für Fortschritt, neue Entdeckungen und herausragende Kunst gesorgt haben. Da Vinci war so einer. Jeder weiß bei diesem Namen, dass dieser Mensch herausragend war.
Und ich sitze hier und fühle mich Lichtjahre entfernt davon, auch nur ansatzweise herausragend zu sein. Weil mein Leben sich einfach nur nach Anfangen, Aufbauen und wieder Abbrechen anfühlt.
Weil dabei gefühlt nichts Handfestes herauskommt. Weil das Gefühl, einfach nicht reinzupassen, einfach nichts auf die Reihe zu kriegen, mich lähmt. Weil ich gelernt habe, dass mein Weg nicht richtig ist. Lücken oder Zickzack im Lebenslauf sind halt nicht gern gesehen.
Ich will nicht für jemand anderes meine Zeit in Arbeit investieren und Ideen und Projekte groß machen, die jemand dann als seine eigenen verkauft.
Dass der vernünftige Weg, der erfolgreiche Weg jedoch nicht meiner ist, spüre ich ebenso deutlich. Ich kann und vor allem will ich das nicht. Ich will nicht für jemand anderes meine Zeit in Arbeit investieren und Ideen und Projekte groß machen, die jemand dann als seine eigenen verkauft.
Ich will nicht etwas Solides machen und mein richtiges Leben in 1,5 Tage Wochenende quetschen, nur um den Rest meines Lebens mittelmäßig doll zu hassen.
Ich will mehr. Es gibt diesen Song “In my blood”, welchen ich so sehr fühle, in dem es heißt
“Every time I close my eyes I’m overwhelmed by
visions of something that’s bigger than
moving mountains, parting oceans
and I’ve got the whole world in front of me”.
Das fühle ich. Die Welt voller Möglichkeiten liegt vor mir und in mir sind so große und viele Ideen, so mächtige Visionen, die ich bislang einfach nicht umsetzen kann. Weil sie mich überfordern. Weil noch etwas fehlt. Weil es gerade zu viel ist.
Die Welt voller Möglichkeiten liegt vor mir und in mir sind so große und viele Ideen, so mächtige Visionen, die ich bislang einfach nicht umsetzen kann. Weil sie mich überfordern. Weil noch etwas fehlt. Weil es gerade zu viel ist.
Deshalb versuche ich immer wieder, sie umzusetzen. Deswegen landet eine angefangene Akte nach der anderen auf dem Stapel vor mir. Deshalb sitze ich hier und fühle mich wie die Versagerin des Jahrtausends.
Und doch weiß ich irgendwo ganz tief in mir, dass dies eben ganz einfach mein Weg ist. Dass mein Geburtshoroskop vielleicht sogar Recht hat. Dass ich weitersuchen und probieren, anfangen und aufgeben, neu beginnen und weitermachen muss. Dass all die Akten zwar unvollendet, aber voller Erkenntnisse und neu erlernten Fähigkeiten stecken.
Dass am Ende ein Gesamtbild draus werden wird. Dass ich (Achtung, jetzt wird’s so richtig cheesy!) jedem einzelnen Buschfeuer folgen muss, um am Ende das Feuer in meinem Herzen zu finden. Puh.
Damit einher geht wohl auch, dass ich akzeptieren muss, ganz oft unverstanden zu bleiben.
Damit einher geht wohl auch, dass ich akzeptieren muss, ganz oft unverstanden zu bleiben. An etwas festzuhalten, das andere nicht verstehen können, etwas loszulassen, das andere wiederum für gut befinden, an mich selbst zu glauben, ohne dass irgendwer das Ziel erkennt.
Jedoch ist es herausfordernd, an etwas zu glauben, dass sich so weit weg anfühlt, den Sinn in all den Lücken und Zickzack-Mustern meines Lebenslaufes zu sehen. Im Prinzip kann ich mich aber auch nicht entsinnen, irgendwo mal gehört zu haben, dass es einfach sei.
Mein Weg ist gesellschaftlich nicht ganz kompatibel
Gerade bin ich an dem Punkt, an welchem ich mich müde fühle. Müde vom Weitersuchen und Probieren, Anfangen und Aufgeben, neu Beginnen und Weitermachen. Ein Punkt, an dem ich keine Lust mehr habe, mich zu erklären und mir wieder anhören zu müssen, dass ich doch mal bei einer Sache bleiben soll. Müde davon, immer wieder feststellen zu müssen, dass es eben noch nicht funktioniert.
Und ich denke, das ist okay. Es ist okay, müde zu sein. Ich hoffe trotzdem, dass ich mein Geburtshoroskop ein Schnippchen schlagen und das Feuer in meinem Herzen schon vor der 30 finden kann!
So oder so: Am Ende habe ich vielleicht nichts Solides oder immens Erfolgreiches vorzuweisen, dafür aber einen Stapel von so diversen Dingen, welche ich alle ausprobiert habe, dass ich allein damit Bücher füllen könnte.
Wenn es nur darum geht, vernünftig und solide durch die hoffentlich 80 bis 100 Jahre meines Lebens zu kommen, dann bin ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass ich da gar nicht reinpassen will.
Und ganz abschließend werfe ich mal in den Raum, warum wir dieses Leben eigentlich so verflucht ernst nehmen müssen? Wenn es nur darum geht, vernünftig und solide durch die hoffentlich 80 bis 100 Jahre meines Lebens zu kommen, dann bin ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass ich da gar nicht reinpassen will.
Headerfoto: Tainá Bernard (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!
Du bist eine Scanner-Persönlichkeit. Ebenso wie ich.
Ich kann dir die Autorin Barbara Sher ans Herz legen.
Lies dich doch mal in ihre Bücher rein.
Alles Gute,
Siggi