Ein letzter Kuss, dann schließe ich die Autotür. Du fährst. „Dein Bart riecht nach mir“, warne ich dich noch. In drei Stunden küsst sie dich, sollte dort lieber deinen Geruch wahrnehmen, nicht meinen.
Ich bin nach neun Stunden wieder zurück in meinem Zimmer. Weiß gar nicht, was ich mit mir anfangen soll. Der Umstand, dass ich doch alleine einschlafen muss, nicht wie geplant mit dir, verwirrt mich. Macht mich traurig.
Der Abschied morgen wäre derselbe gewesen. Wir verlassen zusammen das Hotel, du fährst mich heim, ich küsse dich, schließe die Tür. Aber irgendwie wäre es doch anders gewesen. Denn ich hätte die Nacht mit dir gehabt. Deine Arme um mich. Deine Hand auf meinem Gesicht, in meinen Haaren.
Warum ist das Gefühl mit dir etwas anderes? Wir trafen uns, beide mehrere hundert Kilometer von zu Hause weg. Wollten beide nicht an diesem Ort sein. Drei Tage Vorträge, fremde Menschen, Business. Wir zwei gleich Verbündete. Du hast dich sofort von mir angezogen gefühlt. Ich dich gleich zwischen all den Anzugträgern bemerkt und beobachtet. Um den Schein zu wahren, saßen wir zwischen all den Menschen, leise lachend, schmiedeten Pläne, wie wir uns aus unserer Situation wegmogeln können.
Drei Stunden später saßen wir lachend, redend, rauchend mit Gin Tonic in deinem Hotelzimmer. Nach dem ersten Glas connecteten wir uns über Instagram. Ein kurzer Blick über dein Profil zeigte mir schnell, dass du vergeben bist. Kein Wort darüber. Alle anderen waren ausgeblendet. Nur wir. Jetzt. Hier.
Die nächsten zwei Tage waren wir nur getrennt, wenn wir versuchten, dem eigentlichen Sinn der Reise nachzugehen. Hände schütteln, Smalltalk, Business. Irgendwie pendelten wir in dieser Zeit zwischen zwei Welten. Im Kongresszentrum waren wir zwei Menschen, die sich gerade erst kennengelernt haben. Businesspartner. Du immer auf Abstand. Haltung bewahren. Nichts anmerken lassen. Aber egal wo ich war, ich spürte immer, dass du ganz genau weißt, wo ich bin, mit wem ich rede.
Am ersten Tag störte mich das, fand ich diese Zurückhaltung lächerlich. Aber schon am zweiten wusste ich, dass du nun mal so bist, auch du dein Gesicht vor deinen Kollegen wahren musst. Und irgendwie war es auch spannend, lange dauerte es eh nicht, bis wir wieder zusammen den Vorträgen lauschten oder damit die Zeit überbrückten, bis wir uns wieder abseilen konnten.
Jenseits des Kongresszentrums waren wir zwei Menschen, die sich irgendwie nicht unbekannt waren. So verschieden wir auch sind, irgendeine Verbindung hatten wir. Und das von Anfang an.
So intensiv die Tage waren, der Abschied verlief umso schneller. Kurz und schmerzlos würde ich sagen. Unerwartet reiste ich eher ab als gedacht, du zwischen Kollegen, eine kurze Umarmung, tschau. Ich müde von den Tagen, mit einem Lächeln im Gesicht. Der Weg nach Hause war wie ein Weg zurück zur Realität, in den Alltag, in dem eh gerade sehr viel los ist. Schön war’s. Lustig. Eine schöne Erinnerung. Weiter geht’s.
Am nächsten Tag dann dein Name auf meinem Handydisplay. Du auch wieder zurück im Alltag, aber in Gedanken immer noch weit weg. Bei mir. Bei uns. Willst mich wiedersehen, mein Lachen wieder hören. Zählst jetzt schon die Tage bis zur nächsten alljährlichen Konferenz.
Ein Jahr, so weit weg, was da alles passiert. Wer weiß, bis dahin ist diese Geschichte im Sand verlaufen. Trotzdem immer wieder kurze Lebenszeichen von dir. Auch ich erwische mich immer wieder, wie ich darauf warte, von dir zu hören, mich freue, ein paar Zeilen von dir zu bekommen. Unsere Kommunikation ist kurz, entweder tagsüber oder spät nachts. Klar, du bist vorsichtig. Du hast jemanden. Mich stört das nicht, ich brauche ja kein schlechtes Gewissen haben. Ich bin frei.
35 Tage später …
Einen Monat später fährst du in meine Straße ein, ich steige in das Auto und da sind wir wieder. Die Vertrautheit immer noch da. Du willst über Nacht bleiben, wenn nichts dazwischen kommt, ein Zimmer nehmen, damit wir Ruhe haben. Wir gehen essen und finden sofort wieder viele Gesprächsthemen. Wortwörtlich über Gott und die Welt, was in dem letzten Monat passiert ist, über unsere drei Tage vor einem Monat.
Nach fast zwei Stunden nebeneinander rücken wir immer enger zusammen, erste zarte Berührungen, dann verlassen wir das Restaurant und suchen uns ein Zimmer. Als ich es betrete, wirft es mich sehr schnell zurück in die Realität. Noch vor einem Monat saßen wir in unseren schicken Hotelzimmern. Alles fühlte sich an wie Urlaub, Abenteuer. Jetzt hier, zwischen Kitschbildern und DDR-Einrichtung wirkt es eher wie Stundenhotel.
Ich weiß nicht, wie es dir dabei ging, aber mir wurde in diesem Moment klar, dass ich die zweite Frau bin, die, die einen Moment mit dir hat, heimlich, du wieder gehst. In dein Leben. Das hier nur ein Augenblick. Unreal.
Du hast Gin mitgebracht. Und so sitzen wir wieder in einem Hotelzimmer und stoßen an. Reden und reden. Langsam sehe ich die unschöne Umgebung um uns nicht mehr, genieße die Zeit mit dir. Du legst dich aufs Bett, ich mich dazu. Deine starken Arme um mich fühlen sich so gut an. Du drehst dich zu mir, fasst mir ins Gesicht, schaust mich dabei ganz genau an. Meine Augen sind geschlossen, aber ich kann deine Blicke spüren.
Wie schön ich mich in diesem Moment fühle. Dann endlich küsst du mich. Wir sind vorsichtig, genießen. Zwischendurch immer wieder lange Umarmungen. Du bist aufgeregt, warst es schon auf der Fahrt zu mir. Ich war es auch. Jetzt bin ich es nicht. Unsere Küsse werden fordernder, wir wissen, was wir wollen, lassen uns erst Zeit, bis wir uns nicht mehr zurückhalten können.
Jede Berührung Balsam …
Alles fühlt sich gut an, jede Berührung ist Balsam. In deinen Händen fühle ich mich schön, wertgeschätzt. Du bist keine 400 Kilometer gefahren, um schnellen Sex zu bekommen. Du bist wegen mir da. Das fühlt sich gut an! Warum gerade ich, frage ich dich. Du kannst es nicht genau sagen, aber hattest von Anfang an das Gefühl, dass du mich wiedersehen musst.
Und bist, wahrscheinlich wirklich das erste Mal, genau diesem Gefühl nachgegangen. Du hast kein schlechtes Gewissen. Es ist etwas, was niemand weiß, nichts, was raus kommt. Etwas, was halt irgendwie unwirklich ist, was man aber trotzdem tun muss. Ich merke, dass ich irgendwas in dir ausgelöst habe. Irgendwas passiert in dir seit unserem ersten Treffen.
Ich sehe viele Dinge in dir, die du wahrscheinlich noch nicht siehst, nicht wahrhaben willst, denkst, dass du dies nicht verwirklichen kannst. Ich rede dir gut zu, versuche dich zu ermutigen. Wie verschieden wir sind, merke ich genau da wieder. Ich mache, bin frei von zu vielen Gedanken. Du traust dich nicht, steckst zurück. Vielleicht sollten wir uns genau deswegen treffen.
Ich die Stimme, die dich erinnert, an dich zu glauben und zu machen. Und du? Du schenkst mir ehrliches Interesse. Du bist auch wieder kein Mann, der sich für mich entscheidet, mit dir ist es unreal und wird es auch immer sein. Aber achtest und wertschätzt mich. Das spüre ich, an deinen Blicken, deinen Berührungen, deiner schüchternen Zurückhaltung, deinen Worten, deinen Gesten.
Nachdem wir uns die besten Burger der Stadt geholt und auf unserem Hotelbett gegessen haben, wirst du immer nervöser. Ich merke, dass du nicht mehr ganz im Hier bist. Du musst doch schon fahren, kannst nicht über Nacht bleiben. Ich war darauf gefasst, hatte jedoch gehofft, dass es nicht passiert. Du bist sichtlich enttäuscht. Im Zwiespalt. Du willst bleiben, auch du wolltest neben mir einschlafen, noch ein wenig mehr Zeit mit mir.
Aber du musst am nächsten Morgen zu Hause sein. Hier bleiben und ganz früh loszufahren eine Option, aber dann wärst du nicht entspannt. Bist jetzt schon nicht mehr ganz da, willst unsere gemeinsame Zeit nicht gedankenverloren und mit genau diesem ablenkenden Gefühlswirrwarr kaputtmachen. Und so rauchen wir eine letzte Zigarette und checken viel zu früh aus dem Hotel aus. Wieder ein schneller und unerwarteter Abschied, genau wie beim letzten Mal.
Ich lächle. Ich kann dich verstehen und bin dir nicht böse. Und ich möchte nicht, dass du dir auch noch um mich Gedanken machst. Du hast mich damit nicht enttäuscht. Auch wenn wir die Nacht nicht hatten, wir hatten das Heute. Das Jetzt.
Ein letzter Kuss, dann schließe ich die Autotür. Du fährst. Ich bin nach neun Stunden wieder zurück in meinem Zimmer. Ich bin traurig. Kann aber nicht genau festmachen warum. Ja, ich wollte gerne mehr Zeit. Schöne Zeit. Es wird mir klar, dass es letztendlich immer so sein wird. Ich bin nicht die eine. Werde es nie sein. Doch das will ich auch nicht. Wusste ich von Anfang an. Das ist wirklich okay.
Ich glaube, was mich stört, ist der Fakt, dass der Moment, in dem ich jemanden um mich habe, der mich will und sich genau in diesem Moment genau für mich entschieden hat, zu schnell vorbei ist. Jemand, der viel riskiert, viele Kilometer fährt, nur um Zeit mit mir zu verbringen, der ein Zimmer bezahlt, in dem er am Ende gar nicht schläft. Egal was es kostet, die Zeit mit mir war es wert.
Heute war ich keine Option aus Langeweile, weil niemand anderes greifbar ist; heute war ich diejenige, für die man 400 Kilometer fährt, auf die man einen Monat wartet. Heute hat mir ein vergebener Mann das Gefühl gegeben, das mir all die freien, ungebundenen Männer hier nicht geben können.
Ich kenne dich nicht wirklich und ich kann mir auch nicht hundertprozentig sicher sein, dass du nicht nur schöne Worte für mich erfindest, um etwas zu bekommen, dich von anderen Sachen abzulenken, Worte, die du noch für andere bereitgelegt hast. Letztendlich ist das auch egal. Du hast dein Leben dort. Ich hier. Gestern und morgen leben wir genau dort. Ohne den anderen. In unseren Realitäten.
Vielleicht bewegt es mich so sehr, weil es eben unreal ist, eine Welt zwischen den Welten, ein Wimpernschlag, ein Augenblick, in dem alles dazwischen ausgeblendet ist. Vielleicht ist es auch genau das, was eine Affäre ausmacht. Wenn man überhaupt von Affäre sprechen kann. Das Geheime, das Unrealistische.
Vielleicht bewegt es mich, weil es mir ein Gefühl offenbart, das in mir schlummert und nicht raus kann. Eine Sehnsucht, die niemand in meiner Nähe stillen kann, bisher konnte. Ich will dich nicht ganz, nicht alleine für mich. Was ich wollte, war diese Nacht und das Gefühl bewegt zu sein und zu bewegen. Für mehr als nur einen kurzen Moment.
Als du gingst, hast du mich traurig gemacht, aber mir auch so viel gegeben.
Headerfoto: Paar auf Balkon via Shutterstock.com! (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür.
Ganz stark!