Der Wert meiner Arbeit

Als Berufsanfänger ist es schwer den Wert der eigenen Arbeit zu beziffern. Jetzt gibt es mit dem Mindestlohn in Aussicht zumindest einen groben Richtwert an dem man sich orientieren kann, aber was, wenn ich plötzlich für 6,25€/h arbeite? Oder für 2,50€/h?

Eine neue Kritikfreude an der Arbeit ist aufgekommen. Arbeit wird als Fetisch enttarnt, wie Patrick Spät in seinem Artikel in der ZEIT schreibt, Hartz IV wird als Grundlagenforschung für das Bedingungslose Grundeinkommen umbetrachtet, wie Anne Waak in ihren Protokollen mit dem Titel „Hartz IV und wir“ feststellt.

2,50€ – das ist die Bezahlung für ein Vollzeit-Praktikum mit 400€ Vergütung (also eins von den guten, es gibt auch das Modell mit 300€). Ein Praktikum, bei dem man verlangt, dass Überstunden geleistet werden, voller Einsatz und unendlich viel Motivation.

6,25€ – das ist, was mein letzter Auftraggeber mir zahlen wollte (Überstunden nicht eingerechnet), auf der Grundlage eines Vertrags, der mir die üblichen Freiheiten ließ, mich dann aber de facto in die Scheinselbstständigkeit zwang. Ein Vertrag und eine Erfahrung, die ich teilen will, um auf Missstände aufmerksam zu machen, die kein Einzelfall sein können, aber so extrem hoffentlich nicht allzu oft vorkommen.

Der freie Mitarbeiter kann sich die Zeit frei einteilen.

Der freie Mitarbeiter kann seinen Arbeitsplatz frei bestimmen.

Neben den Standardphrasen musste eine Hausordnung unterschrieben werden.
Arbeitsbeginn: 09.00 Uhr.
Sitzplätze: Wie in der Schule, verteilt in den altehrwürdigen Räumen eines schönen Altbaus in Berlins Mitte, willkürlich von den Auftraggebern verändert. Zur Strafe wurden Mitarbeiter auch schonmal in einen anderen Raum versetzt.
Ende der Arbeit: 18.00 Uhr (wer dann geht, hat bereits verloren).

Die Wertschätzung der Arbeit wurde durch ein augenwaschendes Bonussystem vorgespielt, das Ziele im Kulturmanagement einspeiste, die der Erfüllung des kulturellen und ideologischen Auftrags konträr gegenüber standen. Die Installierung von Bonusstufen und die Bezifferung von Leistungen gab der Arbeit eine Maßeinheit, die sie schwer vertrug. Nicht nur war die Bezahlung unterirdisch (obwohl man täglich Pressemitteilungen verschickte in denen von Luxus und Qualität die Rede war, was sich aber in der Lebensrealität der Mitarbeiter niemals würde niederschlagen können), sondern auch der ideologische Überbau bröckelig. Das „Auslösen“, wie es im Vertragsdeutsch so poetisch heißt, der Bonusstufen wurde dazu noch durch latente Überstrapazierung der persönlichen Kapazitäten verhindert: mehr und mehr Verantwortung, mehr und mehr Workload.

Solange ich aber an das Projekt glaubte, war das kein Problem. Solange ich kulturelles und soziales Kapital vor mir sah, war der monetäre Wert meiner Arbeit zweitrangig, weil er mir zunächst ein gediegenes Leben ermöglichte. Die Grundbedürfnisse befriedigt, gab es keinen Grund sich nicht mit 24 Stunden Arbeit in 48 Stunden zu beschäftigen.

Scheinselbstständigkeit, Selbstausbeutung – alles kein Problem, alles im Rahmen, weil die Motivation da war. Die Motivation, die ich sonst für eigene Projekte aufbrachte, sah ich nun in einem finanziell abgesicherten Rahmen aufblühen. Trotz solcher Stilblüten des Arbeitsdeutschen wie „ergebnisorientiert“ oder „Steuerungsbedarf“ in Bezug auf meine Arbeit, teilte ich meine Zeit so ein, dass ich morgens um 09.00 Uhr im Büro war, dem von mir bestimmten Arbeitsplatz.

Ich stellte mir die Frage, wie ich mit meinen eigenen Projekten weiterverfahren sollte. Woher die Zeit nehmen? Seit Juli ist dies mein erster Blogpost.

Der Wert deiner Arbeit

Jetzt ist es eher unüblich über die Konditionen von Verträgen zu diskutieren, aber da das Team, in dem ich arbeitete (das ich sogar leiten sollte), zum Teil gerade in Verhandlung war, wollten wir uns gemeinsame Ziele setzen, zumindest eine Untergrenze. In aller Bescheidenheit wollten wir 1000€, wollten die knapp 10 Praktikanten gemeinsam in bessere Verhältnisse hieven, wollten zusammenhalten, wollten durchsetzen, dass die „freien Mitarbeiter“ ihre Freiheit genießen durften, wollten wollten wollten.

Als ich meinen ersten Arbeitstag hatte, traf ich auf ein Team (das in dieser Besetzung so nicht mehr existierte, als ich den Auftrag beendete), das resigniert und skeptisch auf die Projekte schaute. Ein Team, das mir sagte: „Mal sehen, wie lange du es aushältst.“

Der Wert meiner Arbeit war mir wichtig und sollte im Verhältnis zum Wert der Arbeit der anderen stehen. Wir wollten alle zumindest ein so hohes Einkommen haben, dass wir uns sorgenfrei Essen, Wohnung, Ticket und das Feierabendbier leisten konnten.

Doch die Wertschätzung unserer kollektiven Selbstausbeutung, die Wertschätzung unserer Arbeitskraft, die wir in ein fremdes Projekt steckten, weil wir es auch zu unserem Projekt machen wollten („Zur Teammotivation gehört die Vermittlung des gemeinsamen Ziels.“), weil wir uns hier selbst mitverwirklichen wollten, gemeinsam Gratifikation ernten wollten, schon wieder wollten wollten wollten, erhielten wir als Wertschätzung wenig, denn sie drückte sich in herablassenden Aktionen aus.

Kritisierte man, schlug man der Hydra einen Kopf ab.
Kontrolle war gut, Vertrauen Fehlanzeige.
Und dann wuchsen ihr gleich zwei neue.
Drohungen wurden ausgesprochen.
Und sie biss einem selbst den Kopf ab.
Erpressungen und Einschüchterung machten erst als Gerücht, dann als Tatsache die Runde.

Unterbezahlte, unfreie Mitarbeiter. Ein Heer an ausgebeuteten Praktikanten. Einarbeitungsphase? Nicht in einem Umfeld, bei dem man nach einer Woche bereits zu den längsten Mitarbeitern zählt. Angezählter Mitarbeiter zugleich, wie alle, weil Wetten abgeschlossen wurden, wer wohl als nächstes geht.

Wie kann ich den Wert meiner Arbeit sehen, wenn er nicht erfüllt wird?
Wie kann ich den Wert meiner Arbeit sehen, wenn die Arbeit der anderen keinen Wert hat?
Wieso verschwende ich meine Zeit in einem Theaterstück?

Also forderte ich eine faire Bezahlung, auf der Grundlage meines Vertrags, forderte Erklärungen für bestimmte Vorgänge im Unternehmen (als Galerie getarnt) und wurde konsequent erpresst.

Ich legte auf, klappte den Laptop zu, setzte einen Aufhebungsvertrag auf und begann wieder zu schreiben.

Der Wert unserer Arbeit

Vielleicht sind einige meiner Aussagen hier sehr pointiert, andere vielleicht zu vage. Aber die Balance zwischen dem Bedürfnis ein Beispiel konkret genug zu umreißen, das ich als extrem und zugleich modellhaft empfinde und eine allgemeine Ebene zu finden, ist schwer.

Vielleicht ist meine Perspektive zuweilen ein wenig naiv, mir ist klar, dass viele Verträge und viele Gegebenheiten so gerade im Kreativ-Kultur-Bereich einfach unumstößlich sind und man daran nicht rütteln kann, ohne die eigene Position zu schwächen.

Wer Aufträge vergibt, kann sie nicht selbst erledigen, vergibt sie also zu einer angemessen Aufwandsentschädigung.

Wir müssen den Wert unserer Arbeit selbstbewusst definieren. Die Arbeit braucht uns, nicht wir sie, die wir doch immer ein Projekt im Hinterkopf haben, das wir selbst managen können, dumm wie wir sind, beuten wir uns besser für eigene Ideen aus, als für die Träume der anderen, die für uns zum Albtraum werden.

Die „Arbeit“ als solche ist nur ein Konstrukt. Es sind immer reale Menschen, die in einem komplexen System von unnötigen Verkomplizierungen bestimmte Aufträge haben, die vergeben werden. Die Arbeit darf uns nicht dominieren, sie darf uns als notwendiges Übel zur Verschaffung von Freiraum und -zeit dienen, sondern soll und muss uns ein gutes Leben, eine gute Zeit und eine gute Umgebung ermöglichen. Ausbeutung, Mobbing, Tyrannei – all das sind Konsequenzen von Unzufriedenheit und Stress, die sich systemintern fortsetzen.

Für 6,25€/h kann ich mir kein entspanntes Leben ermöglichen. Mit Menschen, die noch weniger verdienen, in einem Büro zu sitzen, macht mich betroffen. Wie soll man sich mit vollem Einsatz in ein Projekt werfen, das einen vielleicht 8 Stunden+ am Tag gefangen nimmt, aber nach Feierabend kalt lässt, wenn die Vergütung so schlecht ist, dass es nicht mal für ein Sterni reicht?

Der Wert meiner Arbeit muss der Wert deiner Arbeit sein, damit wir zusammen den Wert unserer Arbeit definieren können.

Headerfoto: Thomas Ulrich via Creative Commons Lizenz!

KEVIN zerbricht sich gerne den Kopf über alles, was mit Liebe zu tun hat. Überhaupt schreibt er gerne über alle möglichen zeitgenössischen Phänomene zwischen Pop- und Subkultur. Keine Kneifzange, alles kommt in den literarisch-essayistischen Fleischwolf. Neben dem freien Schreiben bloggt er auf "wolf auf tausend plateaus" über genau das: Alles und Mögliches.

2 Comments

  • Mal im Ernst, jemanden mit voller Qualifikation (d.h. nach Abschluss der Berufsausbildung) für 6.25 EUR oder 2.50 EUR die Stunde arbeiten zu lassen ist Ausbeutung. Ob ich das nun Praktikum nenne oder nicht. Und selbst wenn die Firma sonst im Marktumfeld nicht überleben würde bleibt es Ausbeutung. Die Frage die man sich stellen solle ist, will man für eine Firma arbeiten der es A) herzlich egal ist ob die Mitarbeiter vom Gehalt leben können oder B) welche Zukunftsaussichten es hat bei einer Firma mit einem derartigen Geschäftsmodel zu arbeiten. Auch die Firma handelt eher kurzsichtig. Denn wie im Artikel beschrieben führt eine solche Praktikumskultur doch nur zu einer unfassbar hohen Mitarbeiterfluktuation und die ist weder gut für die Qualität der geleisteten Arbeit noch für die Innovation. Wir bei Berlin Space Tech jedenfalls vergeben Praktika grundsätzlich A) nur in kleiner Zahl, so dass wir diese auch gut betreuen können und B) nur an (Werks-)Studenten während des Studiums. Wenn wir bei jemanden mit Berufsabschluss am Anfang noch nicht sicher sind und herausbekommen will ob jemand für eine Stelle geeignet ist oder nicht dann stellen wir den/ oder diejenige zu unserem Standardeinstiegsgehalt (ggf. befristed auf 2 Jahre) ein und dann schaun wir mal. Immerhin bietet das Deutsche Arbeitsrecht über die flexiblen Kündigungsregeln in der Probezeit genug Freiräume für beide Seiten festzustellen ob es passt.

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