Was für ein Titel, denkst du dir vielleicht, während du auf diesen Artikel klickst. Ganz schön provokant, das gebe ich zu. Aber es ist ein Thema, das mich im Moment viel beschäftigt – und andere Frauen in meinem Umfeld auch. Das weiß ich, weil ich schon oft mit ihnen darüber gesprochen habe, in akademischen, aktivistischen und vor allem in privaten Kontexten. Lange ausgetauscht haben wir uns, über unser wachsendes Unbehagen beim Daten von cis Männern, über Unsicherheiten, die wir in heteronormativen Beziehungen spüren, über Macht und Gewalt, toxische Männlichkeit und das Unverstanden-Fühlen, wenn es um strukturelle Diskriminierung geht.
Wir scheinen damit nicht alleine zu sein. Wir sind sogar so viele, dass es eine Bezeichnung für dieses Unbehagen gibt: Heterofatalismus.
Wir scheinen damit nicht alleine zu sein. Wir sind sogar so viele, dass es eine Bezeichnung für dieses Unbehagen gibt: Heterofatalismus (Englisch: heterofatalism). Auf diesen Begriff bin ich zum ersten Mal in einer (sehr empfehlenswerten!) Podcast-Folge von Feuer & Brot gestoßen.
Heterofatalismus
„Männer LOL“, „are straights okay?“, „it´s not you, it´s men“ oder „how to date men when you hate men” sind nur einige popkulturelle Phänomene, Memes und Referenzen, die witzig und provokant scheinen (und aus männlicher Perspektive vermutlich oft ganz schön herzlos), aber auch einen ernsten Hintergrund haben.
Kann ich das Patriarchat bekämpfen und trotzdem Männer lieben? Kann ich mich Feministin nennen und gleichzeitig heteronormative Beziehungen führen?
Kann ich das Patriarchat bekämpfen und trotzdem Männer lieben?
Wer diese Fragen für sich nicht mit einem klaren „Ja“ beantworten kann, denkt womöglich heterofatalistisch oder heteropessimistisch, glaubt also nicht so richtig an ein Gelingen von Heterobeziehungen. Gespräche, die ich mit meinen Freundinnen regelmäßig führe, zeigen, dass wir alle unseren eigenen Umgang mit heterofatalistischem Unbehagen zu finden versuchen. Ob das bedeutet, erst einmal keine Männer mehr zu daten oder eine Menge Arbeit und Energie in die feministische Bildung unserer Partner zu stecken – alles in Ordnung, solange sich dieser Weg für uns gut anfühlt.
Ich werde hier nicht die ultimative Lösung finden. Aber ich möchte mich dem Unbehagen mancher Frauen, inklusive mir, in Beziehungen mit Männern, widmen, um zu ergründen, wie ich Männer weiter lieben möchte.
Unbehagen in heteronormativen Beziehungen
Mein Unbehagen begründet sich in dem Selbstverständnis vieler Männer, sich nicht mit sich und ihren Privilegien auseinandersetzen zu müssen und so durch die Welt zu gehen. Ein Selbstverständnis, mit dem sie ihre Rolle und ihr Zutun in patriarchalen, diskriminierenden Strukturen ignorieren. Ein Selbstverständnis, mit dem sie ihre männlichen Freunde, die zu Tätern jeglicher Art werden können, decken und Frauen als anstrengend und „zu viel“ abstempeln können, wenn sie von diesen auf ihr respektloses Verhalten, ihre Übergriffigkeit, ihren Sexismus aufmerksam gemacht werden.
Mein Unbehagen begründet sich in dem Selbstverständnis vieler Männer, sich nicht mit sich und ihren Privilegien auseinandersetzen zu müssen und so durch die Welt zu gehen.
Wenn in diesem Selbstverständnis nun eine heterosexuelle Beziehung begonnen wird, werden darin womöglich viele Denk- und Verhaltensmuster reproduziert, die Männer an den Tag legen. Es bleibt dann meist Frauen in Beziehungen überlassen, die emotionale Arbeit zu leisten, ihre Partner zu bilden und aufzuklären, immer in der Gefahr, nicht ernst genommen zu werden.
Das macht einige bis viele heterosexuelle Beziehungen für Frauen nicht zu sicheren Räumen, in denen sie sich respektiert, gesehen und unterstützt fühlen können. Denn ein Mann, der mit einer Frau in einer Beziehung ist, sich aber zu wenig für ihre Lebensrealität interessiert, ist Teil des Problems.
Männliche Stille und Nicht-Anteilnahme ist gefährlich, weil sie oft aus einer privilegierten Position und bequemen Haltung resultiert und an Ignoranz grenzt.
Männliche Stille und Nicht-Anteilnahme sind gefährlich, weil sie oft aus einer privilegierten Position und bequemen Haltung resultieren und an Ignoranz grenzen: Frauen betreffende Diskriminierung wird nicht ausreichend als solche wahrgenommen und anerkannt, vor allem nicht in ihren strukturellen Ursachen und ihrem individuellen Wirken.
Doch lieber Frauen daten?
Als Frauen, die auf Männer stehen: was mögen wir eigentlich an ihnen? Spoiler: natürlich gibt es da ganz schön viel! Trotzdem höre ich von immer mehr Frauen, die dem Heterosein abschwören wollen und künftig nur noch Frauen daten. Aber geht das überhaupt oder ist das nicht viel mehr ein performativer Akt? Und wie frei sind wir denn in der Frage, wen wir lieben wollen?
Wie frei sind wir denn in der Frage, wen wir lieben wollen?
Eine liebe Freundin hat mir neulich eine Postkarte geschickt, die den Struggle ganz gut auf den Punkt getroffen hat. „Amelie, ich habe gemerkt, dass ich leider zu 100% auf Männer stehe. Wie peinlich!”
Sexualität ist natürlich ein Spektrum und Menschen, die zu 100% hetero sind, sind wahrscheinlich selten. Zum Glück weiß ich, dass es bei mir ganz bestimmt keine 100% sind – und sich somit ganz neue Möglichkeiten auftun. Und trotzdem mag ich Männer viel zu gern, um sie einfach aufzugeben. Was also tun?
Do the work and own your shit
Liebe cis-Männer, eine Beziehung mit einer Frau zu führen macht euch nicht automatisch zu Feministen. Nagellack und Perlenketten zu tragen oder eine Promotion zu Kritischer Männlichkeit übrigens auch nicht. Erst recht nicht, wenn ihr glaubt, uns Feminismus erklären zu können. Aber wisst ihr, was euch zu Feministen macht? In feministischen und heterofatalistischen Kreisen sprechen wir von „doing the work“.
Eine Beziehung mit einer Frau zu führen, macht euch nicht automatisch zu Feministen.
Damit ist gemeint, dass Männer anfangen sollten, sich mit ihren Privilegien auseinanderzusetzen. Toxische Prägungen und Angewohnheiten zu hinterfragen, sich im Zusammenspiel und -Leben mit Frauen zu reflektieren. „Doing the work“ kann bedeuten, Therapie in Anspruch zu nehmen, um Traumata und internalisierte Denk- und Verhaltensmuster aufzubrechen. Es kann auch bedeuten, Freundschaften mit anderen Männern ehrlicher und liebevoller zu gestalten, eben diese Männer aber auch für ihr problematisches Verhalten accountable zu halten. Vor allem bedeutet es auch, es nicht nur Frauen zu überlassen, sich zu positionieren, Outcalls zu starten, laut über Missstände zu sprechen.
Es reicht nicht, nicht sexistisch sein zu wollen. Wer nicht sexistisch sein will, muss proaktiv anti-sexistisch sein.
Liebe cis-Männer, es reicht nicht, nicht sexistisch sein zu wollen. Wer nicht sexistisch sein will, muss proaktiv anti-sexistisch sein, sonst erhält er ein System aufrecht, das nicht nur Frauen, sondern auch Männern schadet. Own your shit, übernehmt Verantwortung, für euch, eure Gefühle und Handlungen und eure Beziehungen. Und am besten auch für eure fellow men.
Kann ich Männer lieben und Feministin sein?
Zurück zur Ausgangsfrage: Kann ich Männer lieben und trotzdem Feministin sein? Ich möchte daran arbeiten, das „trotzdem“, das sich zwischen meinen Feminismus und meine Liebe für die Männer meines Lebens – Freunde, Partner, Verwandte, meinen Papa – drängt, Stück für Stück abzubauen. Feministin sein und Männer lieben soll für mich kein unüberwindbarer Widerspruch mehr sein, auch wenn es sich gerade manchmal so anfühlt.
Wir verstehen Feminismus falsch, wenn wir glauben, unsere Macht in einer Welt finden zu können, in der wir unsere Verbindungen zu Männern leugnen.
Denn wir verstehen den Feminismus falsch, wenn wir glauben, unsere Macht in einer Welt finden zu können, in der wir unsere Verbindungen zu Männern leugnen. Das hat die wundervolle bell hooks geschrieben. Und weiter: „Wir beanspruchen unsere Macht erst dann vollständig, wenn wir die Wahrheit aussprechen, dass wir Männer in unserem Leben brauchen, dass Männer in unserem Leben sind, ob wir sie wollen oder nicht.“ (Männer, Männlichkeit und Liebe. Der Wille zur Veränderung, bell hooks).
Ich bin überzeugt, dass wir Männer feministisch lieben können.
Ich bin überzeugt, dass wir Männer feministisch lieben können. Dass das ein gemeinsamer Prozess sein muss, eh klar. Dieser Weg erfordert Geduld, Kompromisse, Arbeit. Ich bin aber auch überzeugt, dass sich dieser Weg lohnen kann. Dass er voller Bereicherungen, gemeinsamer Learnings und Perspektivwechsel ist. Und dass diese Liebe unsere Welt ein ganzes Stück besser machen kann. Denn je früher wir die strukturellen Dimensionen von Liebe begreifen, desto eher können wir unsere Beziehungen zärtlicher, ehrlicher und gleichberechtigter gestalten.
Wichtige Ressourcen und Stimmen, von denen ich zum Thema schon ganz viel lernen durfte:
Radikale Zärtlichkeit, Warum Liebe politisch ist – Şeyda Kurt
Männer, Männlichkeit und Liebe. Der Wille zur Veränderung – bell hooks
Kluft und Liebe. Warum soziale Ungleichheit uns in Liebesbeziehungen trennt und wie wir wieder zueinanderfinden – Josephine Apraku
Headerfoto: Ron Lach (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!