Liebe dich selbst und es ist egal, mit wem du zusammen bist. Dein inneres Kind muss ein Zuhause finden. Wenn du dich selbst nicht liebst, kann es auch kein:e andere:r tun.Es gibt unzählige Bücher und Podcasts, Kurse und Blogs mit Titeln und Themen wie diesen.
Eine ganze Industrie, welche uns die unermüdliche Arbeit an der ach so wichtigen Selbstliebe auf subtile Weise zu sagenhaft gesalzenen Preisen verkauft. Die Botschaft ist jedoch deutlich: Wenn du nicht die beste Version deines Selbst bist, kannst du weder lieben noch geliebt werden. Dann bist du im Grunde genommen ein wertloses Stück…
Naja, klick einfach hier, bezahle 1299,- Euro und all deine Probleme lösen sich in Luft auf. So läuft es doch, oder etwa nicht?!
Naja, klick einfach hier, bezahle 1299,- Euro und all deine Probleme lösen sich in Luft auf. So läuft es doch, oder etwa nicht?!
Ich habe mir lange Zeit von all diesen Expert:innen und Coaches einreden lassen, dass ich erst einmal vollkommen und ganz bei mir selbst ankommen müsse. Mich selbst heilen, lieben und allen Schmerz, alle Zweifel, alles Negative ins Universum der grenzenlosen Möglichkeiten loslassen müsse.
Lange Zeit habe ich mir auch selbst eingeredet, alleine sowieso viel besser dran zu sein, besser alleine sein zu können, nur um festzustellen, dass es so nicht ist.
Wenn ich alleine bin, läuft es immer auf dasselbe hinaus. Ich setze mir hohe Ziele. Jetzt gehe ich all das an, was ich sonst hintanstelle. Lerne mich richtig kennen, kümmere mich um all das Heilung-Gedöns, um die Selbstliebe, das Loslassen. Jetzt erst recht!
Augen auf bei der Achtsamkeit
Das tue ich dann einen Monat und ein paar Tage, drehe mich nur um mich selbst und lande in einem Abwärtsstrudel aus negativen Gedanken. Denn so gut, wie ich sein müsste, werde ich ja doch nie sein. Und wieso erreiche ich eigentlich keines meiner hochgesteckten Ziele (träume groß!) durch das bloße Manifestieren derer?!
Wieso erreiche ich eigentlich keines meiner hochgesteckten Ziele (träume groß!) durch das bloße Manifestieren derer?!
Was ich dann tue, ist wohl das komplette Gegenteil von all dem, was ich doch eigentlich wollte: Ich fange an zu daten. Weil ich das gut kann. Klingt komisch, oder?
Aber irgendwie ist es so. Ich konnte mich schon immer recht gut und schnell auf jemanden einlassen, die Nacht zusammen verbringen und entweder nie wieder einen Gedanken an diese Person verschwenden oder Hals über Kopf verknallt sein.
Am Anfang ist es aufregend und spannend, macht Spaß und fühlt sich gut an. Doch hinter all dem steht am Ende doch nur der Wunsch nach Zweisamkeit und noch viel mehr das Bedürfnis, die Bestätigung zu bekommen, die ich mir selbst nicht geben kann. Auch wenn es in dem Fall nur die Bestätigung ist, ganz gut im Bett zu sein. Auf Dauer eher unbefriedigend (im wahrsten Sinne des Wortes).
Dating wird zu einem Abwärtsstrudel aus negativen Gedanken, denn so gut es sich am Anfang auch anfühlen mag, ist es dann doch nicht für mich. Ich lenke mich lediglich von den Tatsachen ab: Alleinsein ist nicht einfach für mich. Und so dachte ich lange, dass ich weder in Beziehungen noch alleine wirklich gut funktionieren kann.
Da kann man sich ja grundsätzlich einmal die Frage stellen, warum ich denn immer funktionieren muss. Funktionieren in diesem Selbstliebe-komplett-geheilt-sein-Kontext.
Letztendlich verkauft uns diese Industrie eben auch nur eine Illusion vom völlig schmerzfreien, einfachen, perfekten Leben.
Letztendlich verkauft uns diese Industrie eben auch nur eine Illusion vom völlig schmerzfreien, einfachen, perfekten Leben. „Du musst erst durch den Schmerz gehen, dann kommt die Heilung! Niemand hat gesagt, dass das einfach ist!“ – und dahinter steht eben genau diese Behauptung, dass durch Coaching XY, nach all dem Schmerz durchleben, eben die immerwährende Heilung und Einfachheit des Lebens folgt.
Blödsinn.
Das Leben kommt immer mit Herausforderungen und schmerzhaften Situationen um die Ecke. Es gibt nicht die eine Wunderpille, die alle persönlichen Probleme auf einmal und für immer beseitigt. „Guck dir deine Themen an und löse sie einfach in Luft auf“, ist leichter gesagt als getan.
Weil sich solche Themen eben nicht durch Meditation mit Räucherstäbchen in Luft auflösen. Sie lösen sich auf, wenn sie in Alltagssituationen aufkommen, wir hinschauen, reflektieren, Emotionen zulassen und kommunizieren. Und wie kommen solche Alltagssituationen auf? Meistens in zwischenmenschlichen Beziehungen.
Unverhofft kommt dann doch oft
Mein Dating hat dazu geführt, dass ich ganz zufällig und unverhofft meinen Freund kennenlernte. Ein Jahr ist das jetzt ungefähr her.
Und in diesem Jahr wurde ich mit Themen konfrontiert, die mir alleine nie bewusst geworden wären. Manchmal ist es so, als würden mir all meine Schwächen und unterdrückten Emotionen, all das unverarbeitete auf einmal entgegenkommen. Weil mein Freund wie ein Spiegel für mich ist.
Manchmal ist es so, als würden mir all meine Schwächen und unterdrückten Emotionen, all das unverarbeitete auf einmal entgegenkommen. Weil mein Freund wie ein Spiegel für mich ist.
Weil Konfliktsituationen mich immer wieder dazu auffordern, hinzusehen. Allzu oft liegt es eben nicht an dir, sondern an mir. Das ist manchmal ziemlich anstrengend und ziemlich oft wohl nicht ganz nachvollziehbar für meinen Freund, wenn ich dann wieder damit um die Ecke komme, dass es gerade gar nichts mit der aktuellen Situation, sondern mit irgendwas von vor 10 Jahren zu tun hätte…
Letztendlich braucht es wohl die Selbstreflexion und „Heilungsarbeit“, um zu lernen, mit den alltäglichen Beziehungssituationen umzugehen. Um zu erkennen, dass das, was mich triggert, nicht mein Partner ist, sondern es lediglich etwas in mir auslöst, das noch angeschaut werden will. Aber dazu brauche ich eben kein Coaching, kein Podcast, keine Klangschalen-Meditation.
Letztendlich braucht es wohl die Selbstreflexion und „Heilungsarbeit“, um zu lernen, mit den alltäglichen Beziehungssituationen umzugehen. Aber dazu brauche ich eben kein Coaching, kein Podcast, keine Klangschalen-Meditation.
Dazu muss ich reflektieren und den Mund aufmachen. Klingt jetzt auch einfacher, als es für mich ist. Und diese Arbeit sieht wohl auch für jede:n anders aus.
Eigentlich will ich nur sagen, dass dieses ganze „Liebe dich erst selbst“-Gelaber Unsinn ist. Denn wir werden nie vollständig geheilt sein, nie jeden Tag in einer rosaroten Wolke aus bedingungsloser Selbstliebe durchs Leben tanzen. Wir müssen nicht die beste Version unseres Selbst sein, bevor wir eine Beziehung eingehen, bevor wir lieben können.
Vielleicht waren es letztlich doch die Bücher und Podcasts, Kurse und Blogs, die mich zu diesen Erkenntnissen geführt haben. Der Grat zwischen Hilfe zur Selbsthilfe und Manipulation zum Selbstoptimierungs-Zwang ist jedoch schmal und vielleicht auch nicht ganz ungefährlich.
Menschen sind soziale Wesen, vielleicht funktionieren wir eben doch zusammen ein bisschen besser?
Am Ende habe ich wohl gelernt, dass ich gar nicht so erpicht darauf sein muss, alles alleine schaffen zu müssen. Menschen sind soziale Wesen, vielleicht funktionieren wir eben doch zusammen ein bisschen besser? Jedenfalls sind Beziehungen nicht dafür gemacht, ein immerwährend schmerzfreies, einfaches Leben zu führen.
Beziehungen sind zum Wachsen da. Gemeinsam, nicht einsam.
Headerfoto: Etty Fidele (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!