Das Impostor-Phänomen oder auch Hochstapler-Syndrom genannt, bezeichnet die starke Tendenz in der Eigenwahrnehmung, nicht gut genug zu sein. Betroffene können eigene Erfolge nicht richtig wahrnehmen und neigen zum Glauben, dass alles nur Glück ist und sie gar nichts richtig können. Aber wer ist von diesem Phänomen besonders betroffen?
Ich kann gar nicht so viel, wie ich mit meiner Ausbildung eigentlich können müsste, ich bin ein totaler Bluff, wann fliegt das auf? Diese Gedanken sind mir gut bekannt. Sie hinderten mich daran, an der Uni zu bleiben und mich auf das Wagnis “Promotion” einzulassen. Sie hinderten mich daran, meine guten Noten im Studium als Erfolg und Bestätigung miener Fähigkeiten anzuerkennen und sie hindern mich heute noch daran, mich bei der Jobsuche auf Stellen zu bewerben, die ich ansprechend finde.
Kurzum, diese negative Gedankenspriale hat mich schon von vielen Dingen in diesem Leben abgehalten, die mir Freude bereitet hätten.
Kurzum, diese negative Gedankenspriale hat mich schon von vielen Dingen in diesem Leben abgehalten, die mir Freude bereitet hätten. Ich kenne auch nur sehr wenige Menschen in meinem Umfeld, die diesen Gedanken nicht schon mindestens einmal in ihrem Leben hatten oder haben.
Menschen, die trotz vorhandener Expertise in ihren jeweiligen Tätigkeitsbereichen glauben, immer noch nicht genug darüber zu wissen, nicht gut genug zu sein. Vielleicht mag das bei dem/der einen oder anderen punktuell stimmen, aber in den meisten Fällen vermutlich nicht. Zumindest dann nicht, wenn beispielsweise im Studium regelmäßig gute Bewertungen der eigenen Arbeit oder der berufliche Erfolg vom Gegenteil zeugen.
Wesentlich wahrscheinlicher ist es in diesem Fall, dass man unter dem sogenannten Impostor-Phänomen oder Hochstapler-Syndrom leidet.
Was ist das Hochstapler-Syndrom und woher kommt es?
Das Hochstapler-Syndrom bezeichnet die Neigung, die eigenen Leistungen und die eigene Expertise konstant zu unterschätzen und eigene Erfolge nicht als das Ergebnis guter Arbeit wahzunehmen. Die Betroffenen halten diese für glückliche Zufälle und haben die Befürchtung, sie könnten jederzeit als “Hochstapler:innen” auffliegen. Daher der Name.
Oftmals ist ein sehr leistungsabhängiges Selbstwertgefühl Ursache dieses Phänomens. Betroffene des Impostor-Phänomens haben nur dann das Gefühl, etwas wert zu sein, wenn sie Besonderes leisten. Misserfolge hingegen werden umso stärker als Bestätigung der eigenen Wahrnehmung genommen, nicht gut genug zu sein.
Das Hochstapler-Syndrom ist eine Art Charakterzug oder Persönlichkeitsmerkmal, das auch durch eine allzu leistungsgeprägte Erziehung hervorgerufen, verstärkt oder begünstigt werden kann.
Das Impostor-Phänomen oder Hochstapler-Syndrom ist dabei aber keine psychologische Störung. Es ist mehr eine Art Charakterzug oder Persönlichkeitsmerkmal, das auch durch eine allzu leistungsgeprägte Erziehung hervorgerufen, verstärkt oder begünstigt werden kann.
Daher ist mittlerweile gut erfoscht, dass die Neigung zur chronischen Selbstunterschätzung besonders stark im akademischen Umfeld vorkommt. Denn die ständige Überprüfung der eigenen Fähigkeiten bis in die höchsten Bildungsränge ist hier an der Tagesordnung. Der Druck, sich ständig beweisen zu müssen, schürt diese Art Selbstzweifel besonders effektiv.
Wen trifft es am häufigsten? Männer oder Frauen?*
Die amerikanischen Psychologinnen Pauline Rose Clance und Suzanne Imes gaben dem Impostor-Phänomen bereits 1978 seinen Namen. Im Zuge der zweiten Feminismuswelle der 1970er Jahre beschränkte sich ihre Forschung diesbezüglich auf Mädchen und Frauen, da man davon ausging, dass dieses Phänomen auf der systematischen Unterdrückung des weiblichen Geschlechts beruhte. Allerdings gibt es keine konkreten Hinweise darauf, dass Frauen signifikant häufiger von diesem Phänomen betroffen wären als Männer.
Allerdings lässt sich ein Zusammenhang zwischen eher als weiblich vermittelten Charakterzügen und dem Hochstapler-Syndrom erkennen. Menschen, die sich mit als “typisch weiblich” assoziierten Eigenschaften identifizieren (Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit, höfliche Zurückhaltung etc.), leiden in der Regel häufiger unter dem Hochstapler-Syndrom als Menschen, die von Beginn mit einem gesunden Selbstvertrauen ausgestattet werden.
Die Annahme, dass dieses Phänomen besonders unter Frauen stärker verbreitet sei, war also nicht aus der Luft gegriffen: Schließlich wurde von Frauen Jahrhunderte lang viel erwartet und wenig zugetraut, Männern hingegen wurde oft ein gewisses Maß an Selbstvertrauen anerzogen.
Die Annahme, dass dieses Phänomen besonders unter Frauen stärker verbreitet sei, war also nicht aus der Luft gegriffen: Schließlich wurde von Frauen Jahrhunderte lang viel erwartet und ihnen wurde wenig zugetraut, Männern hingegen wurde oft ein gewisses Maß an Selbstvertrauen anerzogen. Der “weibliche Charakter” ist heute noch stärker mit Geschlechter-Klischees behaftet als der Männliche.
Zudem gibt es die Vermutung, dass Frauen deswegen recht häufig unter dem Phänomen leiden, weil weibliche Vorbilder in hohen Führungspositionen leider immer noch unterrepräsentiert sind. “Patriarchale Strukturen, Macho-Gehabe in den Führungsetagen und mangelnde Repräsentanz in Spitzenpositionen ergeben zusammen mit dem Impostor-Syndrom eine unheilvolle Mischung für weibliche Führungskräfte.”, heißt es bei Spektrum.de.
Wie damit umgehen?
Wie vermutlich die meisten Menschen, die diese extremen Gefühle des Selbstzweifels haben, dachte ich lange, dass diese chronische Selbstunterschätzung mein eben mein eigenes Problem sei. Ist es aber gar nicht. Allein diese Erkenntnis ist für einige Betroffene schon einmal ein großer Trost und kann der erste Schritt in Richtung mehr Gelassenheit mit sich selbst sein.
Des Weiteren können ein Coaching und Selbsthilfetechniken dabei helfen, das eigene Selbstvertrauen zu stärken und in der Folge die eigenen Fähigkeiten mehr zu schätzen.
Fehler sind nicht zwangsläufig ein Beweis für Unfähigkeit.
Eine kleine, aber feine Methode, das anzugehen, ist: Komplimente bezüglich des eigenen Erfolgs einfach mal anzunehmen und sich den eigenen Anteil am Erfolg vor Augen zu führen. Auch ist es wichtig zu verstehen, dass etwaige Fehler nicht zwangsläufig ein Beweis für Unfähigkeit sind. Vielmehr tragen sie zu einem Lernprozess bei und sind vor allem auch einfach menschlich.
Fehler im System
Man kann einiges selbst dafür tun, dass man als Betroffene:r des Hochstapler-Syndroms nicht mehr so heftig von Selbstzweifeln geplagt wird. Allerdings liegt die starke Ausbreitung des Phänomens nicht zuletzt natürlich auch in der kapitalistischen Leistungsgesellschaft begründet.
Unser ganzes Erziehungssystem ist auf einem Bewertungswahn aufgebaut: je besser die Noten, desto besser die Chancen auf einen Studienplatz. Je besser das Studium, desto bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt – oder eben in der Akademischen Welt.
Der Wert einer Person wird vor allem in der Ausbildung und im Beruf maßgeblich an Erfolge geknüpft.
Der Wert einer Person wird vor allem in der Ausbildung und im Beruf maßgeblich an Erfolge geknüpft. Dadurch steigt stetig der Druck, diese auch zu erreichen. Für einen Lernprozess durch Fehler gibt es in einer solchen Leistungsgesellschaft keinen Platz. Erstaunlicherweise kommt aber hier niemand auf den Gedanken, dass das Problem vielleicht weniger die Menschen sind, sondern – wie so oft – das System.
Headerfoto: cottonbro (Kategorie-Button hinzugefügt und Bild gecroppt.) Danke dafür!