Hengameh Yaghoobifarah (30) ist eine der talentiertesten und zugleich polarisierendsten Kolumnist:innen des deutschsprachigen Journalismus‘. In Hengamehs Kolumne Habibitus, die alle zwei Wochen in der taz erscheint, schreibt Hengameh über Feminismus, soziale Ungleichheit, Popkultur und Diskriminierung.
Immer scharf und satirisch. Das kann dann auch schon einmal dazu führen, dass Horst Seehofer gegen sie Anzeige erstatten will, weil Hengameh in einer dieser Kolumnen besonders kritisch Polizeigewalt beleuchtet hat.
Ich spreche mit Hengameh über Kunstfiguren, das „Ich“ im Text und den Umgang mit Shitstorms, kurz nachdem jetzt der Debütroman Ministerium der Träume erschienen ist.
Gut, dass wir unser Gespräch so verschoben haben, dass du in der Zwischenzeit mal eben auf die Bestsellerliste klettern konntest! Glückwunsch!
Danke!
Vor deinem Romandebüt mit Ministerium der Träume wurdest du ja vor allem mit deiner Kolumne Habibitus in der taz und durch deinen Instagramauftritt bekannt. Ist das „Du“ in diesen Bereichen für dich schon eine Kunstfigur?
Also, mein Instagram ist mein Instagram. Aber mein Kolumnen-Ich ist nicht mein privates Ich. Vielleicht lässt sich das so ganz gut trennen. In der Kolumne will ich ein Alter Ego schaffen. Mein Instagram-Account heißt zwar so wie meine Kolumne, gehört aber zu meinem Privatleben.
Aber die Meinungen deines Alter Egos trifft schon sehr oft die deiner Persönlichkeit?
Auf jeden Fall! Es geht mir dabei nicht darum, eine andere Meinung zu haben, sondern sie anders zu artikulieren und mit Themen anders umzugehen.
Nasrin, „Nas“ in deinem Roman, trägt mit ihrer Erscheinung und ihrem Auftreten viel von dir in sich. Gleichzeitig arbeitest du bewusst mit Fiktion und betonst dies auch. Viele Leser:innen erfahren gerade bei Protagonist:innen mit Migrationshintergrund über genau diesen Hintergrund und schließen dabei auf die Autorin oder den Autoren mit Migrationshintergrund. Hat dich dieses „Phänomen“ beim Schreiben beschäftigt?
Ich würde eigentlich nicht sagen, dass die Protagonistin in meinem Roman wirklich nah an meiner Person ist, sondern eher an meiner Wirklichkeit. Also an den gesellschaftlichen Räumen, in denen ich mich aufhalte. Oder der Popkultur, die ich konsumiere. Oft sind die Figuren von weißen hetero Personen auch weiß und hetero, ohne dass man denkt, dass es um den:die Autor:in geht.
Weil es, bewusst platt gesagt, irgendwie jede:r sein könnte.
Ja, genau. Und meine Figur könnte auch jede:r sein. Ich bin ja nicht die Einzige, die queer oder of color ist und einen iranischen Background hat.
Es geht in deinem Roman viel um polizeiliche Willkür, aber auch um Ungleichheit und Diskriminierung. Erfahrungen, die wahrscheinlich viele deiner Leser:innen gemacht haben und sich demnach vielleicht an dich wenden wollen würden.
Als gegenwärtige:r Autor:in ist es ja viel leichter, in sozialen Netzwerken angeschrieben zu werden, als wirkliche Leser:innenbriefe zu erhalten. Viele Autor:innen nehmen sich der Rolle an, ihren Leser:innen Ratschläge zu geben. Wie ist das bei dir?
Ich kann auf keinen Fall eine psychologische Beratung anbieten. (lacht) Dafür bin ich gar nicht kompetent genug. Ich bin ja nur Autor:in. Das wäre irgendwie zu krass!
Dann wieder zum Alter Ego … Darf ich dich bei der Gelegenheit noch zu der einen „berühmten Kolumne“ fragen?
(Lacht) Du kannst ja fragen und ich schau, ob ich Bock drauf hab.
Super! Also … Der Hype und der Shitstorm zu deinem Text „All Cops Are Berufsunfähig“ nahm ja rasend schnell an Fahrt auf. War das eine Form des gefühlten Kontrollverlusts?
Auf jeden Fall. Der ist spürbar, wenn plötzlich Gerüchte über dich verbreitet werden, die einfach nicht stimmen, und du das richtigstellen musst. Dann merkst du, du hast keine Kontrolle darüber, wie andere Leute dich sehen. Und das musst du loslassen. Darin steckt ja auch eine gewisse Ermächtigung. Das ist richtig big scale.
Man lernt dabei aber auch low scale. Um eben Gossip und Gerüchte nicht zu sehr an sich heranzulassen und dass man darauf vertrauen kann, dass es auch Personen gibt, die die eigene Wahrheit sehen und sich nicht davon beeinflussen lassen, was andere Leute labern.
Dabei bietet sich ja auch die Frage an, was man mit einer Aufmerksamkeit macht, die die eigenen Erwartungen übersteigt.
Mir ging es ja nicht darum, Aufmerksamkeit zu erlangen. Für mich war das eine ganz normale Kolumne. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sie auch nur einen Bruchteil dieser Empörung auslöst.
Die Kolumne wurde voll skandalisiert und deswegen war das eine Aufmerksamkeit, die ich gar nicht gewollt habe. Es sollte einfach nur ein satirischer Text sein, der neben den ganzen Debatten zur Polizeigewalt auch mal einen kleinen Lacher dazwischen ermöglicht, ohne die Debatte abzulösen oder die Richtung zu ändern.
Ich denke, das Beste, was man da machen kann, ist, sich so weit davon abzugrenzen, dass es einen nicht die ganze Zeit abfuckt und beschäftigt und gleichzeitig die Aufmerksamkeit weiterleitet in andere Richtungen.
Wir hatten dadurch so viel Aufmerksamkeit bekommen. Mit dem Brief an Merkel, der Seehofer-Anzeige und so weiter. Also haben wir zum Beispiel die dadurch entstandenen neuen Follower:innen eingeladen, um bei von uns veranstalteten Benefizlesungen Geld zu spenden. Ich denke ,auch bei Aufmerksamkeitsökonomie ist Umverteilung möglich.
Hengameh Yaghoobifarahs Roman Ministerium der Träume ist in diesem Jahr bei Blumenbar erschienen.Gebunden mit ausklappbarem Vorsatz, 384 Seiten, ISBN: 978-3-351-05087-0
Headerfoto: Foto von Hengameh Yaghoobifarah: Tarek Mohamed Mawad, Foto von Aron Boks: Ken Yamamoto. (Kategorie-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!