Hereingefallen: Wie sich mein Date Vertrauen und Intimität erschlich, um mich dann zu ghosten

Man möge mich naiv nennen oder romantisch, aber ich war neulich einmal wieder wirklich ein wenig verknallt – Tinder sei Dank. Schon kurz nach meiner Anmeldung, von der ich geschworen hatte, nie wieder Gebrauch zu machen, sammelte ich Matches wie andere Generationen vor mir Briefmarken.

Einer von ihnen schickte mir sehr schnell seine Telefonnummer, erwies sich aber glücklicherweise auch zügig als offensichtlicher Blödmann und einer von ihnen machte alles richtig, bis sich unsere gemeinsame Zeit anfühlte wie ein Bad in ätzender Säure.

Humor schafft Vertrauen, Vertrauen schafft Nähe

Zunächst schrieb er sehr humorvoll und charmant. Ich erkannte beinahe einen zweiten Helge Schneider in ihm oder wollte ihn zumindest erkennen. Am ersten Abend hatte ich mich schließlich bereits dreimal dabei erwischt, laut zu lachen. Da wir außerdem die ganze Zeit auf Englisch schrieben, zogen einige seiner Wortspiele erst verzögert, was Spannung aufbaute und mich zusätzlich immer etwas nervöser machte.

Ich wollte nicht dumm wirken und meine so identitätsstiftende Eloquenz waberte in einer Mischung aus schusseliger Begriffsstutzigkeit und gut gemeinter Mühe vor sich hin. Er reagierte aber äußerst charmant, nahm mir damit meine Scheu und gab nicht auf, mit immer neuen Fragen zu locken.

Nach etwa einer halben Woche intensiven Austauschs wusste dieser Mann bereits einiges über mich. Ich wusste von ihm nur, was er mich wissen ließ. 

Nach etwa einer halben Woche intensiven Austauschs wusste dieser Mann bereits einiges über mich, meine Interessen, meine Lieblingsmusik, meine Kindheit, meinen Antrieb und meine Wünsche. Ich wusste von ihm nur, was er mich wissen ließ. Seine Antworten auf meine Fragen blieben entweder diffus oder wichen der Möglichkeit einer baldigen Beantwortung in einem persönlichen Kennenlernen aus.

Mich jedoch quetschte er aus wie eine reife Zitrone, bohrte, hakte nach, blieb wach und interessiert, aus Gründen, die mir nicht ganz klar waren, aber ich ließ mich zumindest ein Stück weit bereitwillig darauf ein. Zu Weihnachten schickte er, zwei Tage vor unserem ersten Treffen, ein Video, in dem er mir an seinem Schlagzeug einen meiner Lieblingssongs einspielte. Ich schmolz dahin.

Große Worte vor dem ersten Treffen

Bis dato hatte er natürlich all das getan, was andere interessierte Männer zuvor auch getan hatten: Komplimente wie warmer Sommerregen über mich prasseln lassen, mich mit Aufmerksamkeit überschüttet und mir immer und immer wieder meine Besonderheit aufgezeigt. „Ich könnte mich womöglich in dich verlieben“, resümierte er und fügte an, es käme ihm vor, als sei ich bereits eine Vertraute.

Tatsächlich empfand ich ja auch ganz ähnlich, wenn ich über meinen Bildschirm gebeugt grinsend nach Worten suchte. Ich war inzwischen jedoch nicht nur sehr aufgeregt, sondern spürte immensen Druck auf mir lasten: „Was, wenn ich nicht gut genug bin?“

„Ich könnte mich womöglich in dich verlieben“, resümierte er und fügte an, es käme ihm vor, als sei ich bereits eine Vertraute.

Kurz vor unserem ersten Treffen, wandelte sich seine Stimmung außerdem. Aus dem humorvollen und interessierten Geplänkel wurden ernstere Töne. Auch er schien sich zu fragen, ob er nicht bereits auf einem Thron säße (auf den er sich ja bereitwillig gehoben hatte) und ich mir im Klaren darüber sei, dass er schließlich auch nur ein furzender, morgens miefender Kerl sei, der hin und wieder melancholische Schwere in sich spüre und auch bereits ein echtes Arschloch gewesen sei.

Ich nickte darüber nur verständnisvoll und bestätigte ihm, diese menschliche Seite fände ich angenehm. So kam es mir auch nicht komisch vor, dass er kurz vor dem ersten Treffen schrieb, er sei heute weniger gut drauf und könnte mit etwas schwerer Stimmung bei mir auftauchen. Meine Rührung wuchs für dieses menschliche und sensible Wesen und ich versicherte ihm mein absolutes Verständnis.

Romantik durchsetzt mit Stimmungsschwankungen

Wir waren einander dann auch sehr schnell verfallen. Er war charmant, witzig, aufmerksam und küsste wie aus einer Szene in einem französischen Film – sehr sanft, sehr vielsagend. Ich versank in seinen Augen, hypnotisiert und butterweich. Er verabschiedete sich am Folgetag und ich wartete auf die erlösende erste Nachricht. Stattdessen gab es nur ein Like unter einen meiner Instagram-Postings und ich fühlte mich stark genug, den ersten Schritt zu machen.

Fünf Dates später, immer darauf wartend, dass er mich nach einem weiteren Treffen fragt (was er nie tat), hatte ich nichts begriffen. Der Humor war inzwischen einer stetig wachsenden Stimmungsschwankung gewichen. Seine Launen wechselten von überschwänglicher Zuneigung („Ich liebe deine Haut … Ich liebe deine Haare … Du bist so wunderschön.“) zu unterkühlter Distanz.

Aus der ersten Euphorie war nun große Unsicherheit geworden.

Immer wieder versuchte ich mich darin, ihn besser kennenzulernen, fragte nach seiner Familie, sprach ihn auf seine Leidenschaft, die Musik, an und sendete kleine Signale. Aus der ersten Euphorie war nun große Unsicherheit geworden, also sprach ich ihn auch darauf an – Klarheit schafft Klarheit.

Er wirkte dabei nicht minder überrascht und gab mir auf sehr einfühlsame Weise zu verstehen, dass ich wunderbar, liebevoll, schön und witzig sei, aber sich unsere Leben nicht vereinbaren ließen. Als ich bereits mit einem Kloß so groß wie ein Felsbrocken auf seinem Sofa kämpfte, nahm er meine Hand und japste, er würde mich gerne in seinem Leben haben, als Freundin, mit oder ohne Sex – ich sei ihm so wichtig geworden und nahe wie kaum jemand.

Und plötzlich war er weg.

Was also tat ich? Statt hier endlich zu erkennen, dass es sich nicht um den Traummann handeln könne, lachte ich erleichtert und blieb. Ich sollte noch eine knappe Woche hoffnungsvoll und geistig nicht ganz auf der Höhe mitspielen, bis er mir mitteilte, seine Ex-Freundin sei wieder in sein Leben getreten und er müsse nun erstmal Klarheit gewinnen.

Ich verabschiedete mich wieder gedanklich und stellte mich schon stolz meinem weiteren Weg als Single, als er mich nochmals zu sich einlud, um, wie er es sagte, zu reden und seine Verwirrung in Klarheit umzuwandeln.

Bei alledem kam mir nie der Gedanke, hier einem Spieler aufgesessen zu sein, sondern einer tief verletzten Seele zu begegnen, die nun einfach vom Schicksal hart gebeutelt wurde. Unser letztes Treffen musste daher auch im absoluten Chaos enden, als er mir wieder in einem Spiel aus Nähe und Distanz nicht erzählen wollte, was ihn denn bedrücken würde, aber schrecklich nahe in meine Halsgrube weinte.

Ich war vollkommen am Boden, fühlte mich wie eine Süchtige, deren Drogen weggenommen wurden.

Als er mich bat, noch bei ihm zu liegen, obwohl ich längst hätte gehen sollen und als er mir mitteilte, er wolle nun ganz stark sein und nicht mit mir schlafen. Ich war gerührt, ich war durcheinander und ich war unfassbar unsicher. War ich hier das Arschloch, welches den armen Kerl wie eine Nymphe drohte zu verführen, obwohl er doch gerade so litt (unter einem für mich nicht nachvollziehbaren Kummer)?

War ich die Frau, die ihm die schwere Entscheidung zwischen mir und seiner Ex abrang, die mir bis dato gar nicht als Gefahr erschienen war? War ich schuld, als ich abends versuchte ihn zu erreichen und er sich totstellte, nicht auf Anrufe reagierte und auch nicht mehr auf meine Nachrichten antwortete?

Ich war vollkommen am Boden, fühlte mich wie eine Süchtige, deren Drogen weggenommen wurden. All die Nettigkeiten, die Nähe, die Berührungen – innen wie außen – waren von jetzt auf gleich entzogen worden und ich wusste nicht wieso. Stattdessen war er fort, hatte mich ohne ein weiteres Wort überall geblockt und ich war um eine Erfahrung reicher.

Die kalkulierte Strategie hinter seinem erst liebevollen, dann wechselhaften Verhalten

Erst in der tagelangen Aufarbeitung durch Gespräche mit meinen Freundinnen, kam mir in den Sinn, dass ich nichts falsch gemacht hatte und dieser Mensch einfach auf die sehr verlässliche PickUp-Methode zurückgegriffen hatte. Humor, Lovebombing, Deep Talk und dann schließlich sehr ambivalente Verhaltensweisen an den Tag zu legen.

Das sogenannte Gummiband-Prinzip. Ich war auf einen Mann hereingefallen, der mir meine Narben küsste und murmelte, er wolle jede meiner Schwächen kennen und mir beteuerte, wie schön und stark ich sei – was mich immer schwächer werden ließ. Er hatte Humor als Einstieg genutzt und war kontinuierlich abgedriftet, in die immer tieferen Sphären meiner Seele, um mich dann eiskalt abzuservieren oder wie wir es jetzt nennen würden, zu ghosten.

Ich war nicht nur vollkommen verunsichert, sondern fühlte mich auch schuldig. Ich hatte den Eindruck, ich habe nicht nur etwas falsch gemacht, sondern diesen Mann auch dazu gebracht, mich schlecht zu behandeln, Druck auszuüben oder ungeduldig zu werden.

In mir tobte ein Orkan aus unterschiedlichen Gefühlen und so begann ich zu weinen. Ich weinte um meine geküssten Narben, meine gezeigten Gefühle und meine naive Hoffnung mich in jemanden verlieben zu dürfen, Vertrauen aufzubauen und mich verletzlich zu zeigen.

Ich war von ihm so vollkommen ausgehöhlt worden, dass es mir schwer fiel noch zu spüren, wo ich begann und wo er endete.

Ich war von ihm so vollkommen ausgehöhlt worden, dass es mir schwer fiel noch zu spüren, wo ich begann und wo er endete. Aus wenigen Wochen Miteinander war ein absolut beschissener Geschmack im Mund zurückgeblieben und die Ahnung, dass irgendwo da draußen nun auch andere Frauen auf diesen Menschen hereinfallen würden. Etwas, womit ich nicht leben wollte.

Darum meine Damen und auch Herren, sobald ihr dieses unbestimmte Bauchgefühl habt – und ich hatte dies – vertraut darauf. Kein Kompliment der Welt, kein Lacher und keine Aufmerksamkeit können sich so gut anfühlen, wie das Wissen darum, sich nicht mit einem Arschloch eingelassen zu haben. Ich weiß, wovon ich schreibe. Leider.

Im Übrigen wird diese PickUp-Methode auch gerne von Männern genutzt, um Frauen sexuell gefügig zu machen, sie auszunutzen und sich ihr Vertrauen zu erschleichen. Ob es darum geht, auf Verhütung zu verzichten oder Dinge zu tun, die man eigentlich nicht tun möchte. Auch hier ist das Bauchgefühl der erste Ratgeber.

Headerfoto: Adrien King via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt, Bild gecroppt.) Danke dafür!

Laurine Lauretta, ein Perpetuum Mobile. Zwischen alleinerziehender Mutterschaft, pädagogischer Arbeit und Frausein, bleibt noch genug Zeit sich viele Gedanken um die Liebe, das Leben und allerlei Unsinn zu machen. Hier in Wort und Text.

2 Comments

  • Ich hatte etwas Ähnliches erlebt und im Nachhinein festgestellt, dass es sich bei ihm um eine narzisstische Persönlichkeitsstörung gehandelt hat. Alles was du schreibst: sein Verhalten zu Beginn, die Art wie sich das Zusammensein angefühlt hat, die Stimmungsschwankungen, sein Leid, die Frage nach der eigenen Schuld… alles was identisch… 😔 Danke für deinen Teilen!

  • Danke danke, du schreibst mir aus dem Herzen, vor allem das ohne Kondom habe ich erlebt, und da nicht zu resignieren fällt schwer, danke für diese Umarmung, die du da sendest ♥️

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