Der Motor läuft. Rufus Becks Stimme ist vor einer Weile verstummt. Keiner von uns beiden regt sich, um die nächste CD in den Player zu legen und weiter Harrys Geschichte zu lauschen. Wir kennen sie ohnehin auswendig und mindestens an mir sind die letzten zwei Kapitel vorbeigegangen, während meine Gedanken fröhlich Karussell fahren.
Ich spüre, dass er sauer ist, genervt, gestresst. Während ich die Emotion nicht genau deuten kann, weiß ich eines: Sie ist keine angenehme. Und wie so oft verfalle ich selbst in Zweifel, die schließlich ihrerseits unangenehme Emotionen an Bord holen.
Instinktiv komme ich bei den kleinsten Konflikten zu dem Ergebnis, dass er mich nicht liebt und Schluss machen wird.
Das sieht dann meistens ungefähr so aus: Zunächst zweifle ich an seiner Liebe zu mir. Das ist der wohl unrealistischste Part des Ganzen. Ich setze seine Emotionen, die die Gesamtsituation betreffen, mit seiner Wertschätzung für mich gleich. Instinktiv komme ich bei den kleinsten Konflikten (seien es lediglich unangenehme Emotionen seinerseits) zu dem äußerst logischen Ergebnis, dass er mich nicht liebt und Schluss machen wird. Jetzt sofort.
Sobald ich das dann überwunden habe, denke ich, ich muss es beenden. Nicht jetzt sofort. Aber doch zumindest, wenn wir den ganzen Weg wieder zurückgelegt haben und in Berlin sind. Offensichtlich möchte ich es nicht beenden. Aber vielleicht passt es nicht? Vielleicht ist er zu pessimistisch, regt sich zu schnell auf, könnte mich noch um einige Zentimeter überragen und ohnehin anders sein?
Er ist genau der, den ich möchte. Und trotzdem halte ich mich in Zweifeln auf.
Er gibt mir die Sicherheit, die ich brauche und ist der Mensch, den ich an meiner Seite möchte. Ganz genau so, wie er ist. Und trotzdem verfalle ich immer wieder in alte Muster. Greife nach negativen Charakterzügen oder Äußerlichkeiten, die gar nicht existieren und halte mich daran fest.
Um Distanz zu wahren. Um nicht so hart zu fallen. Um nicht so verletzlich zu sein, wenn er sich in ein paar Wochen doch gegen mich und meine Macken entscheiden sollte. Vergangene Erfahrungen haben mich gelehrt, dass es besser so ist. Dass es das große Danach ein klitzekleines bisschen leichter macht, wenn ich damit rechne, dass dieses kommt.
Seine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. „Wo muss ich hin?”
Vergangene Erfahrungen haben mich gelehrt, dass es besser so ist. Dass es das große Danach ein klitzekleines bisschen leichter macht, wenn ich damit rechne, dass dieses kommt.
„Die nächste rechts”, antworte ich mit Blick auf mein Handy mit geöffneten Google Maps. Er seufzt und das Karussell meiner Gedanken wird schneller. Zugegeben, wir sind seit drei Tagen unterwegs und haben bereits 2.082 Kilometer zurückgelegt und um die Hundert Euro an Maut allein verloren.
Er darf ruhig seufzen. Dieses Mantra wiederhole ich einige Male in meinem Kopf, um dem Karussell einen kleinen Funken Rationalität entgegen zu setzen. Dieser prallt ab und wird außer Sichtweite geschleudert.
„Wir haben’s bald geschafft”, versuche ich mich selbst und ihn zu beruhigen. Daraufhin nimmt er seine rechte Hand vom Lenkrad und legt sie in meine. Für einen Moment umschließt seine Wärme nicht nur meine Hand. Ich fühle mich unfassbar wohl und geborgen.
Das Karussell kommt zum Stillstand. Und ich bin bereit, zu fallen.
Später – wir haben längst unsere Ferienwohnung bezogen, uns ausgesprochen und ins Bett verkrochen – wird mir klar, dass meine Zweifel an seiner Liebe und Entschlossenheit daher rühren, dass meine eigene so schnell in sich zusammenbricht.
In jedem unserer Konflikte attestiere ich ihm die Zweifel und die Unsicherheit, die mich beherrschen. Die Annahme, dass diese in ihm keimen, vermehrt sie in mir um ein Vielfaches und treibt meine Verlassensängste an, während ich mich eigentlich nur nicht ganz auf ihn einlassen will. Um eben diese Ängste irgendwie klein zu halten.
Wenn ich mich nicht ganz drauf einlasse, wenn ich emotionale Distanz wahre, wird ein potenzielles Aus weniger schmerzhaft. Zumindest scheint dieser Gedanke in meinem Unterbewusstsein zu regieren.
In jedem unserer Konflikte attestiere ich ihm die Zweifel und die Unsicherheit, die mich beherrschen.
Und schließlich verstehe ich in der Reflexion, dass sich diese Angst zunächst in meinem Wunsch nach einer offenen Beziehung manifestierte. Dass sich mein Unvermögen, mich fallenzulassen, in meiner Lust auf andere Männer widerspiegelte. Diese ist längst verflogen. Was übrig bleibt sind die Zweifel, die mir und meinem Glück im Weg stehen. Ein letzter Widerstand.
Er atmet laut neben mir ein und dreht sich zu mir um. Ich kann ihm jetzt beim Schlafen ins Gesicht sehen. Er sieht ruhig aus, völlig entspannt und irgendwie zufrieden. Das Karussell in mir kommt langsam, laut quietschend zum Stillstand.
Ich weiß jetzt, dass ich mich fallen lassen muss, wenn ich diese Zweifel loswerden möchte. Dass ich mir nicht weiterhin einreden kann, dass wir eigentlich gar nicht zusammenpassen. Dass ich das alles akzeptieren muss, ihn akzeptieren muss. Und mich. Wenn ich halbherzig in diese Beziehung gehe, nimmt sie mich ganzherzig aus.
Vom Fallen und Landen
Wir gehen Eis essen, Pizza essen, Cornetti essen. Und um das alles wieder loszuwerden, bleiben wir stundenlang im Bett, während sich das Tageslicht in den Vorhängen bricht. Manchmal liegen wir auch in der Sonne und lesen oder lassen uns in den Wellen treiben. Als Lesezeichen dient mir eine herausgefallene Seite aus seinem Roman.
Drei Tage nach unserer Ankunft sage ich ihm nach einiger Überwindung zum ersten Mal, dass ich ihn liebe. Er hat mir das schon vor Monaten gesagt und seitdem warte ich innerlich geduldig, dass ich mich bereit fühle, es zu entgegnen.
Wir spazieren am Strand und er merkt, dass irgendwas nicht stimmt, dass ich ihn auffällig lang ansehe. Weil ihm das nach einer Weile unangenehm ist, beginnt er, mir seine Beobachtungen von anderen Menschen am Strand zu erzählen. „Hast du den dicken Mann gesehen? Der war so komisch dick. Ich hab’ noch nie so einen prallen Bauch gesehen.”
Schließlich fragt er mich, wieso ich ihn dauernd so ansehe und ich sage ihm, dass ich versuche, ihm meine Liebe zu gestehen.
Unter Lachen sage ich ihm wieder und wieder, dass er aufhören soll. Schließlich fragt er mich, wieso ich ihn dauernd so ansehe und ich sage ihm, dass ich versuche, ihm meine Liebe zu gestehen.
Und ich meine das so. Obgleich ich zwei Tage vorher von Zweifeln geplagt neben ihm wach lag, weil ich mir sicher war, dass ich es beenden müsse. Ich bin gesprungen und er hat mich aufgefangen. Mit seinen Sprüchen über die Bäuche fremder Männer zwar nicht gerade romantisch. Aber weich. Und so warm.
Headerfoto: Jakob Owens via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
Das ist etwas was ich gerade erlebe und es trifft es auf den Punkt. Ich möchte meine Gefühle nicht zeigen, weil er mich ja sowieso verlassen wird und ich treibe ihn direkt dazu. Was macht man dagegen, wenn man sich nicht sofort fallen lassen kann? Hmm…
Wow, du schreibst mir so aus der Seele heraus! Jedenfalls das permanente Zweifeln wegen seiner impulsiven Gefühlsregungen, die Zweifel, die ich aus mir heraus auf ihn projiziere, obwohl alles gut ist.
Diesen Artikel hätte ich vor ein paar Wochen gebrauchen können. Da habe ich meine Unsicherheit auf ihn übertragen und ihn erst fortgejagt und dann ziehen lassen – er hätte sich doch eh von mir getrennt und das hat er dann nach einem kurzen Reset ja auch.