Es ist Montag. Montag halb zehn, Anfang November. Unattraktiver kann ein Tag nicht klingen, oder? Für mich wurde dieser Montag allerdings ganz besonders attraktiv.
Unattraktiv passt an diesem Tag auch zu meinem Outfit. Nach dem Motto Never skip a Monday! bin ich morgens aus den Federn gekrochen, hab mein Schlafzimmerfenster geöffnet und meine Nase in die kühle Morgenluft gestreckt. Ein paar herbstliche Sonnenstrahlen und eine frische Brise zaubern mir ein Lächeln auf die Lippen.
Kaffee und Zigarette, dann schnappe ich meine Sportmatte und mache mich auf den Weg in den Volkspark Friedrichshain, um meinen untrainierten Körper in Bewegung zu bringen. Dank Lockdown Nummer 2 in diesem unglaublichen Jahr kann ich wieder an meinen Anfang des Jahres niedergeschriebenen und über den Sommer etwas in Vergessenheit geratenen Plänen, weiterarbeiten.
Unattraktiver kann ein Tag nicht klingen, oder? Für mich wurde dieser Montag allerdings ganz besonders attraktiv.
Ich laufe also in meiner locker sitzenden Jogginghose, die ich normalerweise zum Gammeln und Pizza essen trage, über eine Kreuzung mitten in Berlin. Schnell haste ich über die ersten drei Spuren, dann über die Tramgleise und, obwohl die Ampel eben wieder auf Rot springt natürlich noch über die letzten drei Spuren.
Manchmal frage ich mich, wie lang ich wohl brauche, wenn ich alt und klapprig bin, eine Straße in Berlin zu überqueren, wenn ich es jetzt schon jedes Mal fast nicht schaffe, in einem Zug die Grünphase zu erwischen. Bis dahin hab ich vielleicht aufgehört, es für notwendig zu halten, mein Leben zu riskieren, um ein paar Sekunden früher auf der anderen Seite der Straße anzukommen und gucke entspannt in den blauen Himmel, während die Bahn an mir vorbei rattert.
Für diesen Tag ist es nochmal gut, dass ich mich aus unerfindlichen Gründen beeilt habe, sonst wäre ich nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen.
Süße Unterbrechung auf dem Weg zum Sport
Zu meiner Schlabberjogginghose habe ich die Trainingsjacke kombiniert, die ich seit circa 15 Jahren besitze, die sich aber trotzdem noch nicht abgenutzt hat. Ungeschminkt bin ich natürlich auch und die Haare hab ich zu einem Zopf zurückgebunden, sodass meine Stirn nochmal höher aussieht, als sie sowieso schon ist.
Als ich gerade auf der anderen Seite der Kreuzung ankomme und sich mir durch das schnelle Gehen fast die unter meinem Arm eingeklemmte Matte entrollt, höre ich plötzlich hinter mir eine ruhige, tiefe, freundliche Stimme: „Entschuldigung, äähh Entschuldigung …“
In Berlin sind wir es ja gewohnt ständig angesprochen zu werden: Für nen Euro, die Motz, ne Kippe oder weil jemand mal wieder die Richtung zum Alex wissen will. Da dies in dieser Ecke allerdings eher selten vorkommt und unsere Stadt dank Corona von Tourist:innen „befreit“ wurde (ich übrigens auch dadurch von meinem Job), hab ich mich fast erschreckt, als ich gemerkt hab, dass da jemand mich meint.
Ich drehe mich um und blicke in zwei tiefbraune Augen. Großgewachsen, ziemlich gutaussehend der Kerl.
Ich drehe mich um und blicke in zwei tiefbraune Augen. Großgewachsen, ziemlich gutaussehend der Kerl und ich frage mich sofort, was er von mir will. Nach dem Scannen einiger Ausschlusskriterien bleibt eigentlich nur die Frage nach dem Weg. Dafür sah er aber irgendwie zu berlinerisch aus.
Kurze Pause, er hält Abstand und sagt: „Hey ich hab dich grad über die Straße laufen sehen und musste dich ansprechen. Ich finde dich attraktiv und wollte dich nach deiner Nummer fragen.“ Meine Reaktion ist ein ungläubiges Kopfschütteln und die ersten Gedanken laufen in Sekundenschnelle von „Meint er das ernst?“ zu „Hat er vielleicht ne Wette verloren?!“ Zweiteres frage ich ihn dann, doch er antwortet mit einem ziemlich süßen Lächeln: „Nein, wirklich, ich finde dich einfach attraktiv.“
Nur Mut!
Ein Sprung über meinen Schatten später und „Blockieren kann man im Notfall immer“, gebe ich ihm meine Nummer und wir verabschieden uns.
Immer noch total hin und hergerissen, ob mich der Typ nicht verarschen will, laufe ich eine extra Runde im Park, komme völlig ausgepowert wieder zu Hause an und da ist sie schon: die Nachricht auf meinem Handy, ob wir uns die Tage nicht zu einem Spaziergang treffen wollen.
Ich hole nochmal tief Luft und irgendwas in mir sagt: Lass dich einfach drauf ein. Falls es ein Serienmörder ist, schalte schonmal den Live-Standort zu einer Freundin und was soll um Himmels Willen schon passieren, außer, dass ihr euch vielleicht nicht versteht?
Lasst uns doch mal wieder mutig sein und mehr im „echten Leben“ miteinander sprechen. Wenn du nicht fragst, ist die Antwort immer NEIN.
Mein größter Respekt an alle Männer, die sich trauen, Frauen – unaufdringlich, freundlich und mit genügend Abstand – einfach mal anzusprechen und nach ihrer Nummer zu fragen: Ihr könnt euch vorstellen, was für ein unglaublich schönes Gefühl das ist. Gilt natürlich für alle Geschlechter.
Lasst uns doch mal wieder mutig sein und mehr im „echten Leben“ miteinander sprechen. Was soll schon passieren, wenn es nicht klappt? Wenn du nicht fragst, ist die Antwort immer NEIN. Das gilt für so viele Bereiche in unserem Leben.
In dem Moment, in dem wir jemanden auf diese Weise ansprechen, machen wir dem:derjenigen mit Sicherheit eine unglaubliche Freude. Alleine dafür lohnt es sich!
Hier findest du Fortsetzung Teil 1 und Fortsetzung Teil 2.
Headerfoto: isaiah thomas via Unsplash (Gedankenspiel Button hinzugefügt und Bild grcroppt.) Danke dafür!