Ein neues Kapitel beginnt: Gibt es das perfekte Tinder-Match?

Ich bin eigentlich kein Freund vom „Tindergarten“. Die Oberflächlichkeit und Hürdenläufe beim Kennenlernen finde ich genauso anstrengend wie die scheinbar enttäuschten, verzweifelten und skeptischen Seelen in diesem digitalen Supermarkt für Lust und Liebe. Und doch hab ich es mal wieder installiert. Vielleicht hab ich Glück? Verdient hätte ich es.

Beim Wischen durch die Gesichter halte ich kurz inne. „Wow, diese Augen“, denke ich mir nur und like die bezaubernde Dame. Kurze Zeit später – ein Match! Irgendwie hätte ich es nicht erwartet und freue mich.

Der erste Satz gleicht oft einem Bewerbungsschreiben. Ich versuche es mit charmanten Worten. Die Antwort folgt auf Englisch und dem Hinweis, dass Deutsch zwar sechs Jahre lang studiert wurde, aber eingerostet ist. Also Englisch. Mir fällt auf, dass meine Worte mehr auf den Punkt kommen als in meiner Muttersprache.

Die Oberflächlichkeit beim Kennenlernen finde ich genauso anstrengend wie die scheinbar verzweifelten Seelen in diesem digitalen Supermarkt für Lust und Liebe.

Es dauert nicht lange und Sympathie stellt sich zwischen uns beiden ein. Handynummern werden getauscht und wir fühlen uns so schnell vertraut, dass ich schwören könnte, einen Seelenpartner gefunden zu haben. Wir beschnuppern uns mit Worten, Bildern und Gedanken – wissen aber beide, dass Mutter Natur entscheidet, ob wir uns im echten Leben tatsächlich riechen können.

Allerdings ist die Sache nicht so einfach – sie kommt aus Schweden und war nur zu Besuch in der Stadt. Da ich es in den letzten Jahren gewohnt war, weit weg vom geliebten Menschen zu sein, ist dies keine Hürde und auch sonst bin ich hoffnungslos romantisch. Ich glaube daran, dass Liebe ihren Weg findet.

Heimliche Romanzen können Narben hinterlassen

Das Leben erscheint mir wie eine ständige Herausforderung, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Meine letzten Jahre waren schon verrückt. Ich bin mir hingegen sicher, dass alles seine Bedeutung hatte. Ich habe unterschiedliche Konstellationen ausprobiert und erkannt, was mir gut tut und was nicht. Viel Zeit habe ich allein verbracht, um keine faulen Kompromisse zu machen.

Das Wissen, wohl nie im Bett des anderen zu schlafen, war für mich allgegenwärtig. Die Momente waren toll, aber die Unfreiheit dazwischen erdrückend.

Auch hatte ich mich Herz über Kopf in eine intensive (und heimliche) Romanze gestürzt, inklusive Drama am Ende und vielen Narben, die nun übrig bleiben. Nachdem ich mich so oft fühlte wie ein Ersatzmensch, der rangeholt wird, wenn es zu Hause mit dem eigenen Partner nicht läuft, habe ich irgendwann vergessen, wie es ist, für den anderen Menschen die Nummer eins zu sein. Auch das Verstecken kann zwar seinen Reiz haben, aber es nagt am Selbstbewusstsein.

Das Wissen, wohl nie im Bett des anderen zu schlafen, war für mich allgegenwärtig. Die Momente waren toll, aber die Unfreiheit dazwischen erdrückend. Für beide. Doch das Gegenstück entschied sich wohl für etwas anderes, also wozu noch hinterher laufen?

Ich hab’s versucht mit allem, was ich hatte, aber weiß, dass dies wohl eine wichtige Lektion war, die mich auf etwas Größeres vorbereiten soll. Und das klopft wohl gerade an die Tür. So fühlt es sich zumindest an.

Endlich nicht mehr auf die Bremse treten

Doch zurück zu meinem „perfect match“: Schnell klingen unsere Worte begeistert. Wir öffnen uns so weit, wie es in einer digitalen Kommunikation möglich ist. Es fühlt sich nicht nach einem Spiel an und das beruhigt mich. Dieses Ganze „Komm her, lauf weg“ will ich nicht mehr. Ganz egal, ob aus Unsicherheit, Kontrolle oder Berechnung. Nein, hier schreiben wir sehr offen und teilen uns mit, was wir toll aneinander finden.

Beide werfen sich voll rein. Etwas naiv, aber mit voller Überzeugung. Mir tut es gut, nicht mal wieder auf die Bremse treten zu müssen, weil ich den anderen überfordere. Hier kommt die gleiche Intensität zurück. Ich trage viel Liebe und Leidenschaft in mir. Diese wartete nur auf den richtigen Menschen, mit dem ich sie teilen und ausleben kann und der diese Gefühle in mir aktiviert.

Ich trage viel Liebe und Leidenschaft in mir. Diese wartete nur auf den richtigen Menschen, mit dem ich sie teilen und ausleben kann.

Da ich ganz genau weiß, was ich will, bin ich recht wählerisch und so ein Match ist mit knapp 40 Jahren wie ein Sechser im Lotto. Ich spüre, dass da etwas Großes auf mich zurollt.

Sie schickt mir Fotos, keine Nacktbilder, denn wir wollen unsere Körper im Gegenüber erkunden. In jedem einzelnen neuen Foto habe ich das Gefühl, mich neu zu verlieben. Schnell schreiben wir auch über unsere Langzeitziele, und wo wir letztlich hinwollen.

Auch das habe ich verzweifelt in den letzten Jahren versucht. So etwas Einfaches erschien oft wie ein Ding der Unmöglichkeit. So sehr, dass ich irgendwann lieber allein leben wollte als in diesen Zwischenwelten.

Vielleicht naiv, aber es fühlt sich gut an

Doch hier schreibt mir ein Mensch, dass er irgendwann Familie haben möchte und mit dem ich es mir schon jetzt vorstellen kann, obwohl ich ihn noch nie im echten Leben gesehen habe. Das erscheint hochgradig naiv, aber es fühlt sich gut an. Es ist schön, ein Ziel vor Augen und im Herzen zu haben.

Als ich ihre Voicemail höre, schmunzle ich. Ihre Stimme ist so sympathisch und ihr Akzent niedlich. Ich mag ihren Intellekt, ihre Interessen, ihr Wesen (jedenfalls das, was ich bis jetzt kenne), ihre Passionen und irgendwie sind wir uns so oft einig (eigentlich immer), dass sich in mir ein Gefühl von Liebe aufbaut.

Ich weiß, dass dies eine Illusion sein kann, aber ich wäre ein Idiot, dies sausen zu lassen.

Ihre Augen ziehen mich jedes Mal aufs Neue in den Bann. Doch irgendwie fühlt es sich an, als ob es mehr ist als Fakten. Schwer zu erklären. Es ist einfach da. Ich weiß, dass dies eine Illusion sein kann, aber ich wäre ein Idiot, dies sausen zu lassen.

Und selbst wenn es so wäre, dann ist es ein schöner Traum, der mich daran erinnert, wie schön Liebe sein kann. Es gibt keinen Zweifel, dass dies eine neue Welt werden kann, wenn wir beide mutig genug sind und Mutter Natur mit uns sein wird.

Ein Wunderland, auf das ich lange gewartet habe. Also buche ich schon bald einen Flug nach Schweden und wir werden sehen, ob wir im wahren Leben auch so perfekt „matchen“.

Fortsetzung folgt.

Zu Teil 2 geht es hier.

Headerfoto: KAL VISUALS via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

LINUS Traumjäger, Herzmensch und Kreativling.

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