Es gibt sie. Zuhauf. Diese Tage im Kalender, die sich anfühlen wie ein schlechter Scherz. Die sich anfühlen, als wäre die gesamte Welt gegen uns, und an denen die Menschen, die wir eigentlich am meisten lieben, zu unseren größten Feinden werden. Es gibt sie. Und gerade gibt es sie nach meinem Geschmack deutlich zu oft.
Mein Frühstück ist einsam. Von meinem Brot tropft Honig und zieht Bahnen über die Innenflächen meiner Hände. Von meinen Augen ziehen Tränen Bahnen über meine Wangen. Schon wieder. Hat man nicht irgendwann genug geheult? Alles fühlt sich klebrig an. Meine Hand, meine Wimpern unter verquollenen Lidern, vor allem aber dieser zähe Klumpen in meiner Brust.
Du liegst noch im Bett, schläfst nicht deinen Rausch aus, sondern die Anspannung und Enttäuschung und Verzweiflung von letzter Nacht. Flüchtest dich in Halbschlaf, der dich für ein paar Minuten oder Stunden länger denken lässt, alles wäre gut. Ich bin so neidisch auf dich.
Wir haben es gelernt. Wir haben gelernt, wie wir miteinander sprechen sollten, sodass es uns beiden dabei gut geht und am Ende nur dieses gute Gefühl bleibt. Aber wie zwei trotzige Kinder machen wir genau das Gegenteil von dem, was wir sollten, und feuern uns stattdessen Worte entgegen, die gar nicht anders können, als schwarze Löcher in das Innere des Anderen zu reißen. Mein Gott, siehst du, wie schön sie fliegen? Wann ist es eigentlich so leicht geworden, uns gegenseitig so sehr zu verletzen?
Drahtseilakt
Vor ein paar Wochen habe ich dich gefragt, ob du mich heiraten willst. Vom Bier ein wenig beschwipst, aber stockbesoffen vor Liebe stand ich mit zitternden Knien und freudentränennassen Wangen nachts um halb zwei vor dir am Hafen und habe dich gefragt, ob du mich heiraten willst.
Und du hast gelacht und gestrahlt und ja gesagt, und wir haben uns so herrlich frei und unbeschwert gefühlt. Die Welt hat uns gehört in diesem Moment und vom vielen Grinsen taten uns beiden am nächsten Morgen die Wangen weh.
Aber plötzlich tanzen wir wieder, nicht gemeinsam, sondern jeder für sich. Auf diesem dünnen Seil zwischen der romantisch-klebrigen Suche nach Hochzeits-Locations und dem stürmisch-restwinterlichen Alltag, werden immer wieder von meiner Unsicherheit, deiner Sehnsucht nach Spontanität und den Päckchen und Koffern, die wir beide tragen, ins Wanken gebracht.
Es hat sich nichts geändert an dieser Liebe zu dir, und dieses vor Glück triefende Gefühl, das du mir eigentlich gibst, ist auch immer noch da.
Es hat sich nichts geändert an dieser Liebe zu dir, und dieses vor Glück triefende Gefühl, das du mir eigentlich gibst, ist auch immer noch da. Selbstverständlich ist all das noch da. Ich weiß nur gerade mal wieder nicht, wo. Und es ist auch sicher nicht unsere erste beschissene Phase, in der uns Alltagsstress und Zukunftssorgen einreden, wir sollten gefälligst unsere Mauern höher ziehen, weil wir ansonsten so gefährlich angreifbar sind und das, nein, das wollen wir doch ganz sicher nicht sein.
Also bauen wir unsere Mauern höher und höher, reiben uns auf an nicht geputzten Waschbecken und viel zu fest gesteckten Forderungen und werden zu Feinden aus dem Bilderbuch. Feinde auf Zeit, ich weiß. Aber wie auch in diesen Momenten zuvor, in denen mehr Wut als Liebe und mehr Argwohn als Nähe zwischen uns Platz einnehmen, fühlt sich dieser eine Moment wieder ganz besonders furchteinflößend an. Und ja, ich habe Angst. Gott, was habe ich für eine Angst.
Alles grauschwarz
Ich schreie dir entgegen, dass ich mich davor fürchte, dich zu verlieren. Dass ich so verunsichert bin und du mir doch verdammt nochmal mehr Sicherheit geben musst. Ich stelle deine Gefühle infrage und du kannst es nicht mehr hören. Erwiderst Dinge, von denen du weißt, dass sie treffen. Ich weiß gar nicht, was du alles sagst, aber sie erreichen ihr Ziel.
Ich zähle all die Dinge auf, die du falsch machst, werfe dir deine Unzulänglichkeiten an den Kopf mit einer Wucht, die mich an meinem eigentlich ganz positiven Bild von mir gewaltig zweifeln lässt, bloß, um irgendeine Reaktion von dir zu provozieren, die mich daran erinnert, wer wir eigentlich sind.
Wir sind so unheimlich gut geworden in diesem Stück, das wir nicht auf Bühnen, aber zwischen den Laken unseres Bettes in regelmäßigen Abständen immer wieder aufführen.
Um zu hören, dass auch du manchmal Angst hast. Dass auch du manchmal unsicher bist. Und dass vor allem du nicht daran denkst, irgendetwas hinzuschmeißen, weil Alltagskleinigkeiten gerade zum Siebentausender werden. Du sagst mir, dass du wütend bist, und ja, das kann ich verstehen.
Wir sind so unheimlich gut geworden in diesem Stück, das wir nicht auf Bühnen, aber zwischen den Laken unseres Bettes in regelmäßigen Abständen immer wieder aufführen. Gäbe es Menschen im Publikum, sie würden Beifall klatschen, wenn sie nicht wüssten, wie ernst es uns ist. Wenn nicht gerade alles um uns herum grauschwarz geworden wäre.
Zermürbende Scham
Und ich schäme mich. Weißt du eigentlich, wie sehr ich mich schäme für dieses unstillbare Bedürfnis nach Sicherheit? Auf meinem Schreibtisch stapeln sich Ratgeberbücher zu meinem inneren Kind, zum Überwinden meiner Ängste und zu einem Leben ohne Sorgen, wenige ganz, die meisten erst zur Hälfte gelesen.
Weißt du eigentlich, wie sehr ich mich schäme, selbst meinen allerliebsten Menschen zu erzählen, wie verunsichert ich bin? Ich will sie anrufen und sagen: „Mir geht es fantastisch. Wir planen unsere Hochzeit und packen Kisten und diese neue Wohnung ist toll, und überhaupt ist mein Leben das allerbeste der Welt und ich könnte immerzu tanzen, so viel Glück quillt aus mir heraus“.
Weißt du eigentlich, wie sehr ich mich schäme für dieses unstillbare Bedürfnis nach Sicherheit?
Ich höre so viele Geschichten von Bilderbuchbeziehungen ohne auch nur ein einziges bitteres Wort, ohne jeglichen Streit und traue mich nicht, zu sagen, dass wir beide so oft so weit weg von Bilderbüchern sind. Ich will nicht erzählen, dass eigentlich alles in Ordnung sein müsste und ich mich trotzdem nicht gut fühle.
Dass ich zerrissen bin von diffusen Ängsten, die uns beide unter Druck setzen und mich noch stärker versuchen lassen, festzuhalten, was ist. Ich habe Angst davor, verurteilt zu werden. Ob von den anderen oder doch viel mehr von mir selbst, wer weiß das schon so genau. Wann bin ich eigentlich so ängstlich geworden?
Weißt du eigentlich, wie sehr ich mich schäme vor dir? Dass ich nicht dankbar sein kann für all das, was ist. Dass ich nicht genieße, sondern zerdenke, und dass ich mich hin und wieder dabei erwische, mir diese anfängliche Rosarote-Brille-Zeit zurückzuwünschen, in der wir viel zu verliebt gewesen sind, um auch nur irgendeinen Fehler zu sehen.
Ich sehe dich, wie du mich bedingungslos hinnimmst – mit all meinen Macken und all meinen Ängsten, von denen du damals am Anfang nicht die leiseste Ahnung hattest. Sehe dich, wie du all das akzeptierst und vielleicht nicht jeden Tag glücklich, aber doch irgendwie ganz einfach so zufrieden bist.
Dir scheint es so wenig auszumachen, dass zwischen uns nicht immer nur Regenbögen leuchten. Dass wir manchmal schreien und wüten und vielleicht gar nicht wissen, warum – aber trotzdem nicht damit aufhören können. Dass wir Schlachten schlagen, von denen wir schon vorher wissen, dass wir sie eigentlich beide nur verlieren können. Du nimmst es so sehr hin, dass Liebe manchmal vielleicht einfach auch so aussehen kann; und ich bewundere dich dafür, wie menschlich dich das macht.
Nur ein kleines bisschen Liebesgarantie
Du stehst auf. Ich höre deine nackten Füße tapsig auf den kalten Fliesen im Bad. Möchte, dass du zu mir kommst, aber meine Tür ist verschlossen. Wenn, dann muss schon ich sie öffnen.
Tapsige Füße im Schlafzimmer, plötzlich meine Hände auf deinem Bauch. Wie bin ich hier hingekommen? Ganz egal, Hauptsache da. Deine Arme um meine Schultern, keine Worte von dir, nichts zu sagen. „Es tut mir leid“, flüstere ich. „Wir tun uns doch gegenseitig weh“, flüsterst du.
Ganz ohne Wertung, ganz ohne Wut. Du strahlst so viel Wärme aus und ich will dich nicht loslassen, nie wieder.
Bin ich tatsächlich der einzige Mensch, der am liebsten eine Garantie für das hier hätte?
Um uns herum wird erzählt von diesem winzig kleinen Wesen im Bauch. Von Menschen, die sich erst so viel kürzer kennen als wir. Um uns herum zerbrechen Beziehungen. Von Menschen, die sich schon so viele Jahre länger kennen als wir. Keine Sicherheit. Was wissen wir schon, was in drei Jahren passiert, oder in fünf oder zehn? Oder morgen?
Bin ich tatsächlich der einzige Mensch, der am liebsten eine Garantie für das hier hätte? Ich hoffe nicht. Was würde sich das einsam anfühlen. Dass es eine Garantie nicht gibt hingegen, natürlich, das weiß ich. Das einzige bisschen Garantie erschaffen wir selbst. Vielleicht ist das alles, was es in dieser Welt voller Veränderungen und Geschwindigkeit gibt. Aber vielleicht ist das auch alles, was es in dieser Welt gerade braucht.
Mein zuletzt aufgeschlagenes Buch, das mir beibringen möchte, weniger Ängste zu haben, sagt mir, ich soll heute leben. Nicht morgen. Nicht in drei Jahren oder fünf oder zehn. Und heute bist du da. Hältst mich fest.
Fühlt sich Sicherheit nicht eigentlich genau so an? Aufwachen, sage ich mir. Die Welt ist weniger grauschwarz, als sie manchmal vielleicht scheint. Und wir sind immer noch hier. Ganz gleich, wie sehr wir manchmal kämpfen.
Headerfoto: Stockfoto von Viacheslav Boiko/Shutterstock. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!