Das Mädchen aus Texas – für einen Abend waren wir uns ganz nah

Ich traf Jessica vor einiger Zeit. Jessica ist ein Mädchen aus Texas. Sie ist 23, going on 24. Ein hübsches Ding. Jedoch nicht ungewöhnlich. Keine außergewöhnliche Schönheit. Die dunklen Haare fallen ihr bis auf die zarten Schultern, die braunen Augen sind klein, aber sie beobachten Dich.

Jessica ist also ein ganz normales Mädchen. Mit einem Gespür für Mode. Aufgerüscht war sie. Ja. Ein wenig. Sie trug ein Kleid zu einer schwarzen Strumpfhose und grüne Schuhe. Es war kein flattriges Kleid. Keins, das man sich vorstellt, wie es auf Nachbars Leine im Wind hin und her fliegt. Kein Sommerkleid. Keine Blümchen. Mehr Vintage. Dunkel. Die 60er.

Ich traf sie im Zug von Amsterdam nach Hamburg – mit einmal Umsteigen.

Sie hatte einen Trolley dabei. Das ist ein Koffer mit Rollen, für die, die es noch nicht wussten. Und einen Rucksack trug sie mit sich. Ich traf sie im Zug von Amsterdam nach Hamburg – mit einmal Umsteigen. Unsere Blicke trafen sich. Ich wusste nicht, was ich von ihr zu halten hatte. War ja auch nicht so wichtig.

“Hi, I’m Jess“, stellte sie sich vor, als wir durch irgendeinen unbedeutenden Zufall ins Gespräch kamen. Ich gab ihr meine Hand. Sie erwiderte meinen Händedruck. Wir redeten. Small-Talk. Bla bla. Ganz unspektakulär. Und. Sie sprach über sich. Über ihre Familie. Den Vater, zu dem sie ein schwieriges Verhältnis hatte.

Zu stark hatte er sie im Kindes-und Jugendalter bedrängt und zu verändern versucht. Nun hatten sie keinerlei Kontakt mehr. Sie zeigte mir Fotos. Ich sah ein kleines dunkelblondes Mädchen, verschüchtert beim großen Familienfoto links in der Ecke stehen. “I dye my hair.“ sagte sie erklärend. Ah ja.

Sie sprach über ihre gescheiterten Beziehungen. Ich nickte. Der Zug rollte in Hamburg ein und unsere Wege sollten sich trennen, doch dann bot sie mir an, noch etwas zusammen zu unternehmen – und ich willigte ein. Ich war froh. Sie war mir sympathisch. Wir liefen umher und teilten uns eine Flasche billigen Wein.

Wir gingen zum Hafen und setzten uns. Rauchten rote Gauloises. Sie erzählte von ganz alltäglichen Dingen.

Unsere Taschen hatten wir in Schließfächern verstaut. Wir gingen zum Hafen und setzten uns. Rauchten rote Gauloises. Sie erzählte. Sie hatte ein besonderes Talent. Sie sprach von unspektakulären oder alltäglichen Dingen, wie von etwas ganz Großem. So wie eine Traumtänzerin. Ich war fasziniert und lauschte ihrem Redefluss.

Jessica zeigte mir eine Mappe mit Zeichnungen. Sie waren großartig. Frauen mit allen erdenklichen Formen. Ganz Dünne, Kräftige, Frauen mit starker Fettleibigkeit, deren Augen leuchteten. Der Wein verfehlte seine Wirkung nicht an diesem verregneten Abend. Nach einer Zeit saßen wir beide zusammen, voller Sehnsucht am düsteren Hamburger Hafen und weinten. Keine Ahnung warum.

Headerfoto: Stockfoto von Jacob Lund/Shutterstock. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

Mia ist arm, aber eher mittel-sexy, bei gedämpftem Licht und mit der entsprechenden Promillezahl. Sie neigt zu Faulheit und Melancholie und ihre ehemalige französische Mitbewohnerin sagt, dass sie an ihrem Selbstbewusstsein arbeiten sollte. Es ist schwer, Ratschläge zu befolgen, wenn man sich von süßen, französischen Akzenten ablenken lässt und zu viel Wein getrunken hat. Sie mag Filme, Bücher, Kunst, Reisen, Musik und schreiben, was sie auf ihrem Blog macht.

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