Ich stehe in der S-Bahn, auf dem Weg zur Arbeit. Es ist Morgen, während die Stadt erwacht und die Sonne durch die schmutzigen Fenster dringt. Ich habe „Scratch Massive“ im Ohr und sehe die Menschen, mit den Blicken auf ihre Smartphones gerichtet. Jeder in seiner Welt und isoliert von dem, was vor seiner Nase liegt. All wirken in ihrer digitalen Welt verloren und ich lächle sanft und blicke aus dem Fenster.
Anderes Szenario: Ich bin mit einer Freundin essen und sehe ihren Blick auf das Display ihres Handys, nachdem ich von der Toilette zurückkehre. „Normaler Anblick“, denke ich mir: Digital love. Das Smartphone ist den Meisten näher als ihr Partner. Es ist ein nützliches Werkzeug, aber es zieht uns weiter von uns selbst weg, als wir denken.
Betrachte ich die Menschen in Berlin, wirken sie auf mich wie Bienen in einem Bienenstock. Alle rotieren. Jeder ist die „busy bee“ und in seiner eigenen Welt so emsig, dass es gefühlt kein Atemholen mehr gibt. So sehr, dass dieses Zur-Ruhe-Kommen, was wir brauchen könnten, weiter weg ist denn je.
Alle rennen sie Geld, Ruhm, Macht, Bestätigung, Sex, Aufregung, Erfolg und materiellen Dingen hinterher.
Alle laufen sie Geld, Ruhm, Macht, Bestätigung, Sex, Aufregung, Erfolg und materiellen Dingen hinterher. Ziehen Ihr Glück aus Klicks und Likes via Social Media und bemerken gar nicht, warum sie so unglücklich sind. Ich selbst bin auch nicht der Hippie, der sich all dem ganz und gar entzieht. Und auch ich mache diesen Social Media-Wahnsinn mit – wenn auch nicht so „professionell“, wie ich es könnte.
Auch ich veröffentliche digitale Worte auf diesen Blog und „muss“ Marketing betreiben, um meine Musik am Laufen zu halten. Jedoch in meiner eigenen Geschwindigkeit und Laune. Ich probiere Tinder aus und bin auch sonst selbst oft (aber nicht immer) ein Smartphone-Sklave. Doch gerade passiert wieder etwas Wunderbares: Es ist das Öffnen meines Herzens. Ich lege die Angst vor Vergangenem ab. Ich will mutig sein und Liebe ausstrahlen.
Bereue nichts, sondern lerne aus den Begegnungen, die dich geplagt haben
Einst fokussierte ich all meine Liebe auf einen Menschen, der weit weg war/ist. Die Gefühle waren echt, aber ich war so sehr damit beschäftigt, ihr zu huldigen, dass ich mich und mein Leben vergessen habe. Eifersucht und Sehnsucht plagten mich. Beide sind Süchte. Und doch bereue ich diese Zeit nicht, denn diese ganz besondere Begegnung gab mir etwas mit auf dem Weg.
Solche Begegnungen sind dazu geschaffen, uns etwas zu lehren, und wir werden so lange wieder dieselben Fehler begehen, bis wir es wirklich verstanden haben. Aber zugegeben – ich war sehr stur und in einer Obsession aus Liebe und Begehren verfangen. Es wurde irgendwann ungesund für meine Geliebte, da ich sie erdrückte, ohne es zu wollen – obwohl ich wusste, dass es sich für sie so anfühlen musste.
Sowie viele meiner Worte ihr die Luft zum Atmen nahmen, wurden all die Einschränkungen dieser Konstellation – und vor allem die Distanz – zu einem Gefängnis in meiner Seele und meinem Kopf. Je mehr ich meiner Selbstbestimmtheit beraubt wurde, umso erdrückender wurde ich selbst.
Heute verzeihe ich UNS. Die drei Buchstaben, die wir immer groß schrieben, sind heute ein Überbleibsel der wohl intensivsten Zeit meines bisherigen Lebens.
Ich denke tatsächlich, dass die Liebe ein kleiner Mikrokosmos der Wärme in der oberflächlichen Welt da draußen ist.
Klingt etwas esoterisch, aber vielleicht ist diese Verbindung (die nur noch zart dosiert in Träumen existieren darf) ein Teil meiner Spiritualität, auch wenn ich mich sonst für einen Atheisten halte. Wenn, dann gibt es für mich eine Religion – und die heißt Liebe! Ich denke tatsächlich, dass die Liebe ein kleiner Mikrokosmos der Wärme in der oberflächlichen Welt da draußen ist.
Es fühlt sich so an, als ob die Menschen glaubten, dass Zuneigung stets an eine Erwartungshaltung geknüpft ist. Sofort gehen dann die Alarmglocken der Verletzlichkeit an. Manchmal heißt es dann: „Lass uns Freunde sein“ – oder ähnliches. Bloß nix riskieren.
Ich kann mit Absagen umgehen, aber empfinde es manchmal so, als wäre es in dieser Millionenstadt tatsächlich nicht so einfach, in die Tiefe zu gehen. Alles bleibt möglichst unverbindlich und kurzlebig. Als ob die Menschen mit ihrer eigenen Entscheidungsgewalt nicht umgehen könnten. Manche glauben, irgendwo etwas Besseres zu finden, und die anderen haben davor Angst, selbst verletzt zu werden.
Also ziehen sie sich immer schön die Rüstung an, wenn es ans Eingemachte geht. Lasse ich mich davon abschrecken? Ich habe mir angewöhnt, manchmal auch Menschen auf der Straße einfach zu sagen, dass sie schön sind, ohne einen Nutzen daraus zu ziehen oder eine Telefonnummer zu kassieren. Die Menschen sind in der ersten Millisekunde verängstigt, dann überrascht und dann lächeln sie ganz glücklich.
Anschließend gehe ich glücklich nach Hause und freue mich – einfach so. Es kann so leicht sein. Das Herz öffnen. Sicher, es gibt nicht nur Menschen mit guten Absichten und gerade Großstädte scheinen wie ein Sammelbecken an Neurosen, gescheiterten Persönlichkeiten, Narzissten und Ängsten. Doch das Glück befindet sich genau da, wo keine Angst existiert.
Traut Euch, Euch zu öffnen
Macht Euch auf, wenn ihr wollt. Lächelt mal jemanden an, der Euch sympathisch erscheint. In den meisten Fällen wird er überrascht sein und sich freuen. Aber erwartet keine unmittelbare Reaktion. Macht es einfach. Ich finde das befriedigender als 100 Likes unter dem eigenen Post.
Mein Herz ist gerade offen. Es liebt die kleinen Dinge. Die Menschen, die mir nahe stehen, Kunst, Musik, Literatur, gutes Essen, Natur und doch sehne ich mich nach der Frau, die mir näher sein mag als es Freunde tun. Die bei mir schläft und noch da ist, wenn ich die Augen auf mache. Und irgendwann werde ich auch eine Frau treffen, die es nicht gleich mit der Angst zu tun bekommt, wenn ich keine Spielchen spiele, um zwischen Sicherheit und Unsicherheit hin und her zu pendeln.
Was haben wir zu verlieren, wenn wir unser Herz öffnen? Ja sicher, es kann gebrochen werden. Und ja, gegebenenfalls kann es aus dem Ruder laufen. Aber ist das nicht das Leben? Wollen wir uns lieber Wochenende für Wochenende in den Clubs die Sehnsucht mit Fast-Liebe trösten, um Montags dann doch wieder deprimiert zu sein? Danach gieren, digitale Anerkennung zu bekommen, anstatt in unserem echten Leben glücklich zu sein?
Wie auch immer – ich gebe nicht auf, an die Liebe zu glauben.
Wie auch immer – ich gebe nicht auf, an die Liebe zu glauben, und ich bin mir sicher, dass dieses Bedürfnis – lieben und geliebt zu werden – ganz normal ist. Ich bleibe bei der Suche wählerisch. Ich mache keine faulen Kompromisse. Ich höre einfach weiterhin auf mein Herz. Und wenn ich wieder mal in der S-Bahn stehe und die Kopfhörer drin habe, singe ich vielleicht auch einfach mal mit, auch wenn ich ein schrecklicher Sänger bin. Vielleicht wird es auch nur ein leises Summen.
Headerfoto: Sarah Diniz Outeiro via Unsplash. („Gedankenspiel“-Button hinzugefügt.) Danke dafür!
>Manche glauben, irgendwo etwas Besseres zu finden, und die anderen haben davor Angst, selbst verletzt zu werden.< WOW so ein wunderschöner Text! Love it!
Wunderschöne Zeilen Linus.
Alles liebe für dich Kate
Wie gut das geschrieben ist. Aus dem Herz ins Herz. Und ganz oft dachte ich: genau. so. und nicht anders.
Linus, ich hoffe du lächelst mich mal irgendwo an. Ich lächle zurück.