Das Leben als freiwillige Sexworkerin: Josefa Nereus erklärt

Ich verfolge Josefa Nereus – seit einiger Zeit bei YouTube und Facebook. Ihre Stimme ist so fantastisch-angenehm – na ja, und nicht nur das, der Inhalt ihres Channels namens Wissen. Macht. Sex. ist ebenfalls – wie soll ich sagen?  – geil.

Josefa ist ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, Sexworker*innen eine Stimme zu geben.

Und vor ein paar Wochen war sie tatsächlich in der Hamburger ZEIT mit einem Streitgespräch zum Prostituierten-Schutzgesetz. Aber eins nach dem anderen. Josefa ist ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, Sexworker*innen eine Stimme zu geben, eben jenes Prostituierten-Schutzgesetz zu diskutieren und uns nebenher noch Einblicke in die Arbeit als selbstständige Prostituierte zu geben.

Sie jetzt endlich mal am Telefon zu haben ist schon aufregend, aber mein Fangirltum darf natürlich nicht das Interview beeinflussen, das ist klar. Da erklingt ein mir sehr bekanntes ‚Moin Moin!‘ am anderen Ende der drahtlosen Leitung und schon schwebe ich geradezu durch unser Gespräch.

Moin Moin

Die Frau hinter dem eingefleischten ‚Moin Moin‘ lebt seit zehn Jahren in Hamburg, ihrer Traumstadt. Denn einmal am Wasser, will frau nicht mehr so schnell aufs Land. „Die Leute hier versuchen, was aus sich zu machen“, sagt sie und meint damit auch sich selbst. Seit fünf Jahren arbeitet Josefa als Prostituierte – selbstständig, mit Leidenschaft und mit Lust.

Seit fünf Jahren arbeitet Josefa als Prostituierte – selbstständig, mit Leidenschaft und mit Lust.

Davor hat die 32-Jährige als Mediengestalterin gearbeitet. Dieser Job war ihr auf lange Sicht aber zu schlecht bezahlt und passte nicht weiter in ihr Lebenskonzept. Ihre Affinität zu Technik, Medien, Design und Videos verbindet sie seit einem Jahr ganz einfach mit ihrem Job als Sexworkerin mit ihrem YouTube-Kanal. Win/Win, oder?

Auch Josefas Kunden und Kundinnen schauen ihre Videos und manche von ihnen wurden sogar erst durch diese auf ihre Dienstleistungen aufmerksam. Gerade mit den Videos und ihrer starken öffentlichen Präsenz will sie die Marke Josefa Nereus weiter bekannt machen; eine Marke, die für lustvolle Sexarbeit und für Frauen, die über ihre Sexualität reden, zu sich stehen und dabei kein Blatt vor den Mund nehmen, steht.

Selbstständige Powerfrau, Sexworkerin, verdammt klug und reflektiert. Klingt bewundernswert. Für mich. Für manch andere, darunter auch Bekannte von mir, denen ich übrigens etwas mehr Offenheit zugetraut hätte, empfinden Sexarbeit als befremdlich, abstoßend.

Sexarbeit liegt außerhalb der Norm, es ist ein Tabuthema – und ja, auch bei hippen Menschen unter 30 herrscht mitunter solch ein Tenor. Daher ist es kaum verwunderlich, dass auch Josefa nicht von Anfang an mit ihrem Gesicht und ihrer Stimme zu ihrer Arbeit stand.

Sexarbeit liegt außerhalb der Norm, es ist ein Tabuthema – und ja, auch bei hippen Menschen unter 30 herrscht mitunter solch ein Tenor.

Nur ihr Freund (mit dem sie seit zehn Jahren zusammen ist – just sayin‘, JA, frau kann als Prostituierte arbeiten und trotzdem in einer Beziehung leben) und ihre beste Freundin wussten davon. Die Geheimnistuerei brachte ziemlich oft ziemlich viele Lügen mit sich. Das fing manchmal schon morgens beim Bäcker an.

Eine ehrliche Antwort auf die small-talkige Frage: „Ach wo kommst Du denn her? Siehst so müde aus“ gab es anfangs nicht. Diese Lügen machen einsam und auf Dauer schlicht unglücklich. Sich dauernd verstecken zu müssen, sich zu verstellen ­­­– das ist anstrengend. Aber ein „Coming Out“ und die damit verbundenen Reaktionen des Umfelds sind unberechenbar.

Trotzdem: Irgendwann war es für Josefa Zeit, an die Öffentlichkeit zu gehen, im wahrsten Sinne. Die Interviews und die sonstige Pressearbeit sind und waren ein Permanent-Outing, das nicht mehr zurückgenommen werden kann und nicht zurückgenommen werden soll.

Zur Entwarnung: Ihre Freunde reagierten größtenteils positiv. Aber das Spektrum der Kommentare verlief von verständnisvoll, interessiert bis zu Ausrufen wie „ekelhaft“ und „geisteskrank“. Harte Kost, die verletzen kann und die es zu verdauen gilt, die manchmal auch Distanz erfordert.

Der Struggle ist es ihr wert. Warum? Weil dieser Job sie erfüllt, ihr die Möglichkeit gibt, von Zuhause aus zu arbeiten und nach ihren eigenen Regeln zu leben.

Aber der Struggle war es ihr wert. Warum? Weil dieser Job sie erfüllt, ihr die Möglichkeit gibt, von Zuhause aus zu arbeiten und nach ihren eigenen Regeln zu leben. Sie kann sich sexuell ausleben wie in wohl keinem anderen Job – und mittlerweile verleiht sie anderen Sexworker*innen durch ihre Präsenz eine Stimme. Last but not least: „Ich vögel‘ meine Kunden einfach gern!“, lacht sie. Mit dem Mund, in den Arsch, whatever.

Alltag und Sexwork

An einem normalen Tag steht sie zwischen 6 und 7 Uhr auf. Dann wird gefrühstückt, denn „hungrig in eine Session starten, das geht bei mir nicht“, erklärt mir Josefa. Heute war bereits ein Gast da, ein weiteres Interview hat sie auch schon gegeben. Es ist erst 12.

Morgen fährt sie für ein Theaterprojekt mit einem Koffer voller Sextoys nach München, genauer: für ein Kunstprojekt der Burschenschaft Molestia und der Münchener Kammerspiele. Jede Woche produziert sie ein Video für YouTube. Dazwischen Sex mit Freiern oder Paaren.

Ein (fast) normaler Alltag mit Buchhaltung, Fan- und Hatemails, Selbstvermarktung, auch mal zwischendurch Wäsche waschen und Einkaufen.

Ein (fast) normaler Alltag mit Buchhaltung, Fan- und Hatemails, Selbstvermarktung, auch mal zwischendurch Wäsche waschen und Einkaufen. Ein Alltag, der ziemlich viel Power verlangt. Ihr Job hört sich, wenn Josefa davon erzählt, trotzdem richtig gut an. Sie spricht von berührenden Begegnungen mit Kunden und strahlt eine tiefe Zufriedenheit aus.

Auch verdient sie mit ihrem jetzigen Job mehr, als sie es als Mediengestalterin je getan hätte. Wo ist der Haken? „Sexarbeit ist ein Beruf mit Risikopotenzial, auch wenn ich Vorsichtsmaßnahmen treffe“, sagt sie. Von der ständigen Stigmatisierung mit eben diesem Job ganz zu schweigen. Vor allem, wenn man klar mit seinem Gesicht für sich und Sex wirbt.

Nicht jeder ist dafür gemacht, mit Fremden für Geld zu schlafen, that’s a fact.

„Und riesige Summen lassen sich auch nicht leicht verdienen“, wie manch eine*r vermuten würde. Dazu kommt, dass nicht jede*r dafür gemacht ist, mit Fremden für Geld zu schlafen, that‘s a fact. Ganz so tralalala und rosarot ist der Job dann eben auch nicht (wie nahezu kein Job, das mal so am Rande). Ach und: Es ist Arbeit. Harte, schöne, mal nervtötende, lustvolle Arbeit.

Vom Fachmann für Kenner: Kleines Abschiedswort

„10.000 Stunden braucht es, um Profi zu werden, egal in welchem Gebiet“, erzählt sie am Ende unseres Telefonats. Josefa will zu den Besten ihres Fachs gehören und möchte auch noch in zehn Jahren in der Branche arbeiten. Denn auch Sex braucht Übung – sehr viel Übung. 

Anm. d. Red.: Jede Frau sollte mit ihrem Körper machen dürfen, was sie will. Es ist Josefas freie Entscheidung, als Sexworkerin zu arbeiten. Das finden wir toll und supporten wir. Wer allerdings gegen seinen Willen im Bereich der Sexarbeit gelandet ist, findet Hilfe beim Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen oder beim Weißen Ring. 

NASTI lebt und arbeitet in Leipzig. Als Medienwissenschaftlerin ist sie notorisch smartphonesüchtig und lässt euch bei Instagram alles miterleben, was sie so macht. Sie schreibt noch den ein oder anderen Text über Erlebnispornographie, Sex und Beziehung unter dem Pseudonym Antoinette Blume bei Mimi & Käthe.

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