Es sind doch die kleinen Dinge, die letztendlich zählen. – Wie oft habe ich diesen Spruch gehört und wie oft habe ich mir nur gedacht: Was für ein Blödsinn. Das klingt zu sehr nach Montagmorgen-Motivation, nach Achtsamkeit für Fortgeschrittene und Eat Pray Love.
Nach all dem, was einem mittlerweile überall zehnfach gefiltert entgegengrinst und ans schlechte Gewissen appelliert, weil man weder #happy noch #blessed ist und gute Laune gerade nur zum Kotzen findet. Weil die Welt nun mal nicht immer rosarot ist und einem Luftküsschen zuwirft.
Wer nix hat, der hat eben noch die kleinen Dinge. Ist doch auch nett. Und nett ist die kleine Schwester von scheiße.
Das klingt nach einem schlechten Slogan, der einem ja doch nur die Extras der neuen S-Klasse aufschwatzen will. Das klingt nach: ‚Wer nix hat, der hat eben noch die kleinen Dinge. Ist doch auch nett’.
Und nett ist die kleine Schwester von scheiße.
Die kleinen Dinge – was soll das schon sein? Puste ich mit der Pusteblume auch meinen Rechnungshaufen weg? Bringt mich das Cappuccino-Häubchen im Freien durch den Horror-Tag, an dem mir der Stress aus jeder Pore sprießt? Werde ich zu einem ausgeglicheneren Menschen, wenn ich meine käseweißen Füße ein Mal in dunkelblaues Wasser tunke?
In missmutigen Muffi-Schlumpf-Momenten verdränge ich, dass sie überhaupt existieren, weil ich sie dann nämlich a) nicht sehen kann und mich b) Bildergalerien voller Dankbarkeit doch nicht mehr blenden können. Liegt doch eh nur am Sommer, im Herbst sind wieder alle deprimiert.
Und liegt doch eh nur am virtuellen Mitteilungsbedürfnis, im wahren Leben erzählt Dir bestimmt keiner, wie schön die Muscheln am Strand sind.
Liegt doch eh alles nur am virtuellen Mitteilungsbedürfnis, im wahren Leben erzählt Dir bestimmt keiner, wie schön die Muscheln am Strand sind.
Diese Momente und Gedanken gibt es einfach, inmitten der Nüchternheit des Alltags und der ständigen Konsumflut, in der die kleinen Dinge gerne mal untergehen oder durch viel größere ersetzt werden. Das wird mir jetzt, wo sich mein Leben gezwungenermaßen auf die Basics reduziert, erst so richtig bewusst.
Das heißt: keine neue Klamotten oder andere materiellen Anschaffungen, keine Urlaube, kein Gönnen und Belohnen. Die winzigsten Investitionen müssen gründlich überdacht werden und mit dem Wort „Impulse“ verbinde ich mittlerweile nur noch die Deo-Marke meiner Jugend. Wenn ich nicht aufpasse, rutsche ich ganz leicht in den Teufelskreis der Vergleiche und analysiere noch mal genauer, was andere haben und ich nicht. Aber eins weiß ich jetzt schon: Das ist ganz schön viel.
Wenn der Moment und die Portion Selbstmitleid aber verdampft sind, dann wird mir auch bewusst, dass der verdammte Spruch ja doch stimmt.
Vielleicht ist das auch das Gute an unfreiwilliger Knauserei: Sie öffnet einem mal wieder die Augen, für all die Dinge, an denen wir tagtäglich mit unseren riesigen Scheuklappen vorbeilaufen
Vielleicht ist das auch das Gute an unfreiwilliger Knauserei: Sie öffnet einem mal wieder die Augen, für all die Dinge, an denen wir tagtäglich mit unseren riesigen Scheuklappen vorbeilaufen; die automatisch ausgeblendet werden, wenn aufploppende Benachrichtigungen unsere Sensationsgier anfeuern oder zehn offene Tabs gleichzeitig aktiv sind.
Wenn gesamte Tage besser aus dem Kalender gestrichen werden und uns schon ein einziger Satz oder ein wenig Kritik zum Heulen bringen. Wenn wir selbst immer nur das große Ganze sehen und ausschließlich die leckersten Häppchen aus anderen Leben aufgetischt bekommen.
Diese Dinge sind trotz solcher Momente da. Sie tun gut.
Diese Dinge sind trotz solcher Momente da. Sie tun gut. Vielleicht kann ich also doch verstehen, warum plötzlich Stracciatella, nackte Zehen und Balkon-Openings meinen Feed überfluten.
Das ist nämlich dieses Gefühl, nach einem viel zu langen Winter endlich wieder warme Sonnenstrahlen auf der Haut zu spüren. Das erste Mal wieder Eis auf die Faust zu essen. Das erste Mal wieder in weniger als drei Schichten draußen zu sein. Das ist ein blauer Himmel, ein Platz im Grünen oder zwitschernde Vögel morgens um sechs.
Das ist aber auch noch so viel mehr, wenn gerade nicht Sommer oder Sonnenschein ist, sondern einfach mal zwischendurch, auch an miesen Tagen. Das ist dann ein Mensch, eine Umarmung, ein Wort. Ein neues Pflanzenblatt, ein Lied, Essen, Bücher, Pläne.
Man muss sich daran ab und zu erinnern, dass die Seele doch klüger ist als der Verstand.
Einfach ein bisschen Zeit für einen selbst. Das kommt genau in dem Moment angeschlichen, in dem man es am meisten braucht, oder wenn man gar nicht gewusst hat, dass man es jetzt so sehr nötig hat. Das erinnert einen daran, dass die Seele doch klüger ist als der Verstand.
Ich möchte glauben, dass wir doch alle, Herzchen und Selbstdarstellung hin oder her, diese Sehnsucht nach dem Kleinen teilen. Nach dem, was emotionalen Wert hat, was sich mit keinem Geld der Welt bezahlen lässt und was wir, wenn es auf einmal nicht mehr da wäre, ganz schön vermissen würden.
Und ich will mir gar nicht vorstellen, was mein Leben ohne diese scheinbar völlig banalen Peanuts des Alltäglichen wäre. Auch wenn ich mir manchmal wünsche, die Scheuklappen noch häufiger ablegen zu können und nicht erst in Krisenzeiten alle Sinne zu aktivieren, bin ich froh, dass diese kleinen Dinge überhaupt für mich da sind. Dass sie mich finden und mir zeigen, dass es letztendlich, aus allen Perspektiven betrachtet, wirklich nur auf sie ankommt.
Wer nix hat, der hat eben noch die kleinen Dinge ... Nee. Wer die kleinen Dingen nicht hat, der hat eben nix. So einfach ist das.
Headerfoto: Frau mit Hunden via Shutterstock.com. („Wahrheit oder Licht“-Button hinzugefügt.) Danke dafür.