Na, heute schon irgendwem was Nettes gesagt? Der/dem Liebsten, der Familie oder Freunden, der eigenen Grumpy Cat im Spiegel?
In meinem näheren Umfeld bin ich gerne so ein bisschen wie Sportfreunde Stiller und mache Komplimente. Über den Pullover, der Bombe aussieht, die Entscheidung, vor der ich meinen Hut ziehe, oder die kreative Ader, die unbedingt einen Dawanda-Shop braucht. Mir geht das leicht und ehrlich über die Lippen, weil ich diese Menschen gern habe.
Aber Wildfremde? Da erreiche ich plötzlich eine Schwelle, über die ich nicht unbedingt wie ein graziles Reh springe, oder zumindest setze ich mich selbst so lange einem mentalen Erörterungsduell aus – soll ich, soll ich nicht? –, bis mich irgendwer von hinten anrempelt und ich über sie stolpere. Dann ist der Moment vorbei. Und ich krieche sichtlich beschämt und auf allen Vieren davon.
Kommt das nicht komisch rüber? Einfach so direkt sagen, was man Nettes denkt?
Letztens aber hatte ich eine dieser Begegnungen, die einem zeigen, was ein Kompliment bei einem Fremden bewirken kann, und sei es noch so klein. Ich hatte eine neue Buchhandlung entdeckt und auch nur, weil ich mal aus meiner Routine ausgebrochen und nicht den gewöhnlichen Weg gegangen war.
Auf einmal stand ich also in einem kleinen Paradies, mitten im Großstadtdschungel, umgeben von Büchern und Sesseln und Lampen und Postern, von so vielen liebevoll platzierten Details, dass ich am liebsten eingezogen wäre. Mal ganz abgesehen von der tollen Buchhändlerin, die für mich da war und mich gleichzeitig auch in Ruhe ließ. Die Welt da draußen hätte untergehen können – es wäre mir (zumindest vorübergehend und bei regelmäßigem Schokoladennachschub) egal gewesen.
Und während ich herumstöberte und nicht wusste, ob ich ihr tatsächlich einfach sagen sollte, wie gut es mir hier ging, da schaltete sich mein Kopf mit seiner ganz eigenen Relativitätstheorie ein: „Hört sie doch bestimmt jeden Tag. Sagen ihr doch wahrscheinlich alle, die hier reinkommen. Das ist doch nichts Neues. Und überhaupt – kommt das nicht komisch rüber? Einfach so direkt sagen, was man Nettes denkt?“
Raus damit
An der Kasse schlug mir mein Herz dann absurderweise bis zum Hals und ich war schon wieder kurz davor, einen Rückzieher zu machen. Aber dann sind die Worte doch aus meinem Mund gepurzelt. Ein Kompliment, für sie und ihren Wahnsinnsladen. Und noch wahnsinniger war das Strahlen in ihrem Gesicht und das Danke, nämlich dafür, dass ich ihren Tag, der eher lausig begonnen hatte, ins Gegenteil gekehrt hatte.
Mann, tat das gut. Und Mann, wie einfach es doch ist, was Nettes zu sagen, und wie selten wir das am Ende wirklich tun. Warum eigentlich? Warum fällt es uns so leicht, uns zu beschweren und bis auf den letzten Cent zu reklamieren, Äußeres und Inneres völlig unbekannter Menschen zu kritisieren, und gleichzeitig so schwer, einen einzigen positiven Gedanken – direkt und ohne anonymes Profil – zu teilen?
Wieso behalten wir das so oft für uns? Halten uns lange Schlangen an der Kasse davon ab? Andere Zuhörer? Keine Zeit? Die berühmte Hemmschwelle? Angst, als Schleimer dazustehen?
Was hält derjenige wohl von mir? Komme ich nicht heuchlerisch rüber? Glaubt der nicht, ich bin total seltsam?
Bei mir trifft wohl Letzteres den Nagel auf den Kopf. Wie oft wollte ich schon ein Lob für geleistete Arbeit, eine gute Idee oder Einstellung aussprechen und wie oft habe ich es dann doch nicht getan, weil ich mich mal wieder für den Nabel der Welt hielt: Was hält derjenige wohl von mir? Komme ich nicht heuchlerisch rüber? Glaubt der nicht, ich bin total seltsam? Noch seltsamer als ohnehin schon, wenn ich dank innerem Zwiespalt letztendlich mit selbstproduziertem Rouge in Farbton „Bloody Mary“ davonkrieche … Darf ich vorstellen: Me, myself and mein bescheuerter Egozentrismus!
Dabei haben Komplimente diese schöne Wechselwirkung: Wenn wir eins bekommen, dann ist das Balsam mit Erdbeerduft für die kleine Seele. Es zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind, dass andere unser Glück teilen – selbst wenn’s nur die Freude über das neue T-Shirt ist –, dass sich die harte Arbeit irgendwie lohnt.
Komplimente bestärken, bauen auf, geben Mut. In rosigen Zeiten, aber auch in den eher holprigen, wenn wir vor allem unsicher und verletzlich sind. Da verhindern sie schon mal den persönlichen Weltuntergang und lassen uns am nächsten Morgen doch wieder aufstehen. Sie sind Trampolin und Sprungbrett in einem und bleiben hängen, manchmal sogar für immer.
Ich glaube, wir sind uns überhaupt nicht bewusst, was für einen Einfluss und was für eine Macht positive Worte (und leider auch negative) haben. Uns selbst kostet es nichts, höchstens ein wenig Überwindung und Anlauf für die Hemmschwelle. Wenn wir loben und unseren Wow-Moment teilen, bricht uns kein Zacken aus der Krone und wir verlieren auch nichts von unseren eigenen Fähigkeiten. Ganz im Gegenteil: Wir stocken da nur auf.
Wie ich dir, so du mir
Und gleichzeitig tut uns das Geben auch selbst so verdammt gut. Wenn ich sehe, dass meine Worte den Tag des anderen ein bisschen besser machen, dass sie mitten ins Schwarze treffen, dann gewinne ich zwar keine Traumreise für zwei Personen auf die Seychellen, aber zumindest eine ordentliche Portion Dopamin. Weil Glück doch immer irgendwie ansteckt.
Man könnte das natürlich auch aus einer rein egoistischen Perspektive betrachten. Sag‘ was Nettes über andere, dann geht’s dir selbst gut. What goes around comes around. Aber selbst wenn das so ist: Wenn man es ehrlich meint und es trotzdem seinen Zweck erfüllt, dann ist das doch eindeutig eine Win-win-Situation. Und das sieht übrigens auch Karma so.
Auf wildfremde Menschen zugehen und ihnen ein Kompliment machen, ohne dass wir vorher irgendwie Kontakt oder einen Zusammenhang hatten, wird wohl auch in Zukunft eher nicht passieren. Aber vielleicht fange ich einfach mal klein an und sage der netten Verkäuferin, dass sie wirklich das Größte für mich ist. Got it?
Headerfoto: Frau mit kandiertem Apfel via Shutterstock.com! (Gesellschaftsspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür.