Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich in einem kalten Flughafen-Café außerhalb des Terminals. Vor mir ein lauwarmer wässriger Kaffee auf einem Plastiktisch, um mich herum ältere rauchende Männer, die sich in der fremden Sprache unterhalten, die ich nicht verstehen kann. Noch acht Stunden bis zum Abflug. Ich wollte schnell weg, nicht mehr in der Stadt bleiben, in meinem kalten 7-Euro-Zimmer mit den klapprigen Fenstern, das mich doch nur an euch erinnert und daran, dass ihr mich alleingelassen habt. Doch hier darf man erst zwei Stunden vor Abflug in das Wärme verheißende Flughafengebäude. Also sitze ich an diesem trostlosen Ort und schreibe, während ich mich endlos gebrochen fühle.
Dieses Land, in dem ich zwei Monate verbracht habe, es hatte mein Herz geöffnet und es gleichzeitig kalt wie ein Stein werden lassen. Ich kann mich an kaum eine Zeit erinnern, die so viele Aufs und Abs bei mir ausgelöst hat wie diese. Als ich ankam, war ich haltlos, eine tiefe Einsamkeit hatte sich über Wochen in mir breit gemacht, die ich so einfach nicht zu vertreiben wusste. Dafür brauchte ich euch, um mich an euch festzuklammern, wie ein Kind am Bein seiner Mutter. Zwei Wochen an dem einen, bis dieser der gemeinsamen Enge entfliehen will, dann zwei Wochen an dem anderen, ein fast nahtloser Übergang.
Wir küssen uns versteckt hinter Mauern oder Autos, denn in eurem Land ist selbst ein Kuss ohne Trauschein ein Tabu. Würde uns jemand sehen, es wäre ein großer Skandal.
Ihr seid in den frühen Zwanzigern, jungenhaft, noch am Anfang des Selbstfindungsprozesses, alles andere als eine verlässliche Stütze; und doch hoffe ich irgendwo tief in meinem Inneren auf genau diese, fordere sie geradezu ein, ich, die mehr als zehn Jahre ältere Reisende, aus dem fernen europäischen Land. Wir lachen zusammen, diskutieren, sprechen über euer Land, doch auch über Reisen – die bisher für euch nur ein ferner Traum sind –, über Religion – von der ihr euch abgewandt habt, so sagt ihr –, wir küssen uns versteckt hinter Mauern oder Autos, denn in eurem Land ist selbst ein Kuss ohne Trauschein ein Tabu. Würde uns jemand sehen, wohlmöglich sogar eure Eltern, es wäre ein großer Skandal.
Wir essen Reis, Salat und Hummus, trinken viel Kaffee, und wir streiten uns. Ihr wolltet eine schöne Zeit mit mir, der Exotin, die den Hauch der fernen Welt mit sich bringt. Und kann man es euch verübeln? Kann ich euch böse sein, dass ihr keine Zukunft mit mir planen wollt, dass ihr Panik bekommt, als ich sage, dass ich vielleicht wiederkäme? Ist es nicht selbstverständlich, dass eine Liebe wie die unsere flüchtig ist und zeitlich begrenzt? Haben wir sie nicht genau deshalb so intensiv gelebt, da uns die Zeit wie Sand zwischen den Fingern zerronnen ist?
Ich werde wieder auf Reisen gehen, das Land verlassen, ihr werdet weiterhin in eurer Heimat arbeiten, während eure Familienmitglieder und Freunde schon lange nach der passenden Frau für euch Ausschau halten. Wir haben eine Liebe mit Haltbarkeitsdatum.
Seit Jahren nähre ich meine Wunde mit dem gleichen Muster: junger Mann aus einem anderen Land, ohne Bodenhaftung und nicht auf Dauer verfügbar, vor allem nicht emotional.
Doch trotzdem ist mein Fall nach der verliebten Euphorie endlos tief, und er droht mich zu zerreißen. Eure Antwort auf die Frage, ob wir uns irgendwann wiedersehen: „Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht.“ Überrascht hat sie mich nicht, sie ist realistisch, doch hat sie eine tiefe Wunde aufgebrochen, die gerade am Verheilen war. Denn seit Jahren nähre ich sie mit dem gleichen Muster, in das auch ihr zu 100 Prozent passt: junger Mann aus einem anderen Land, ohne Bodenhaftung und nicht auf Dauer verfügbar, vor allem nicht emotional.
Es ist wie eine Droge, von der ich nicht loskomme, nur für eine gewisse Zeit, bis die Sucht wieder zuschlägt und die Nadel in die frische Kruste sticht. Ihr zwei kennt euch nicht und doch war euer Verhalten mir gegenüber irgendwie austauschbar. Von euphorischer Bewunderung, hin zu einer kalten Distanz, fast Ablehnung – vielleicht nicht zuletzt deswegen, weil auch ich euch austauschbar behandelte und meine Hoffnung und Angst fast wahllos in eure Hände legte.
Und trotzdem werdet ihr von nun an ein Teil meiner Geschichte sein, ihr und dieses Land, welches mich so berührt hat, mit seinem tiefblauen Wasser, der Weite der Wüste, aus der ab und an ein Minarett in den Himmel ragt, und die ansonsten den Blick auf nichts verstellt, auch nicht den in mein Inneres. Mein Inneres, welches wieder heilen wird, wahrscheinlich schneller als ich in diesem Moment zu glauben vermag. Die Narben werden sich zu den anderen gesellen und ein Teil von mir werden, so wie immer, und wahrscheinlich noch lange sein wird.
Headerfoto: Frau mit schwarzem Gewand via Shutterstock.com. (Gedankenspiel-Button hinzugefügt, Bild gespiegelt.) Danke dafür!