Frei-lieben – habt den Mut, über eure Bedürfnisse zu reden

Man könnte meinen, wir leben in einer modernen Gesellschaft. Wir haben alle Möglichkeiten, uns frei zu bewegen, egal ob virtuell oder real. Und doch empfinde ich die Liebe in unserer Welt per se nicht als frei. Zumindest nicht so, wie ich Freiheit definiere. Wir sind gefangen in unseren eigenen Illusionen und Vorstellungen. Und die Wärter mit Schlüssel sind Gesellschaft und Moral. Die Gitterstäbe sind die Angst. Daher bauen wir uns ein Fangnetz aus „Sicherheiten“ … das nennen wir dann Moral.

Das komplexe Puzzlespiel der Seelen und Körper

Je älter wir werden, desto komplexer wird das Puzzle unserer Wünsche und Vorstellungen. Gestrickt aus Erfahrungen und Emotionen, Logik und Sehnsucht, Pragmatik und Träumerei. Doch es ist wohl mehr als das. Es ist auch eine ganze Menge Biochemie und eben diese lässt uns Menschen beinahe intuitiv spüren, was richtig ist oder es zu sein scheint. Was uns anzieht, selbst wenn der Verstand dagegen ist.

Wären da nicht die ganzen Warnungen, die mit finsterer Miene an die Tür klopfen! Die Ängste, die einem den Magen zuschnüren und nicht schlafen oder essen lassen. Ich denke, es sind Ängste, verlassen oder ersetzt zu werden. Oft kollidiert die Illusion („bis ans Ende unserer Tage“) mit der Realität. Doch was, wenn wir uns schon freimachen bevor wir davor scheitern? Wenn wir verstehen, dass wir alle Weggefährten sind – für eine Zeit lang –, um dann weiter zu ziehen und zu wachsen.

Aus Erfahrungen und um eben das Puzzlestück von Seele und Körper noch mehr zu konkretisieren. Wir wissen irgendwann ganz genau, was wir wollen und was nicht. Und ist das Leben nicht ohnehin ein Strom aus Bestrebungen und Zufällen? Wenn wir uns entscheiden, monogam zu leben, dann ist dies etwas Wunderbares, muss aber nicht ewig so sein.

Moral und Sorgen

Oft hörte ich von meinen Freunden, wenn ich von meiner einstigen Affaire (ich benutze bewusst diese Schreibweise) erzählte: „Mach, was Dir gut tut, ich könnte das nicht!“ Vor dieser Zeit hätte ich wohl gleiches gesagt. Doch ich konnte nicht anders – wir konnten nicht anders. Gleichermaßen stellte es mich vor eine große Hürde. Jemanden zu teilen, den man liebt, ist wohl eines der (gefühlt) schwersten Dinge für einen Menschen und daher auch der Grund, warum viele es kategorisch ablehnen.

Aber warum ist das so? Teilen wir unsere Geliebten nicht ohnehin mit Freunden? Wollen wir nicht, dass es ihnen gut geht? Ist jede Beziehung nicht ohnehin irgendwann vorbei? Glauben wir ernsthaft, dass wir den Menschen, der uns am Herzen liegt, alles geben können? Ist Exklusivität wirklich Freiheit?

Ich bin unwissend in eine mir bis dato fremde Konstellation reingestolpert und habe entschieden, es zu probieren.

Versteht mich nicht falsch, ich möchte hier keinen Aufruf zur stetigen Polygamie oder Polyamorie machen. Es sind allerdings Möglichkeiten, die jahrelang verurteilt wurden. Nun gibt es neue Modelle, welche viele bereits ausprobieren. Jeder sollte hierbei sein eigenes Modell finden. Ich bin unwissend in eine mir bis dato fremde Konstellation reingestolpert und habe entschieden, es zu probieren.

Nun habe ich verstanden, dass es nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern situative und individuelle Wahrheiten. Und selbst diese Dinge können sich über den Zeitraum verändern. Dinge, vor denen mich jeder Moralist im Vorfeld gewarnt hätte, die ich aber nicht bereue.

Eifersucht kann sehr weh tun! Es ist die Angst, dass man selbst schon bald nicht mehr gebraucht wird.

Aber ja, Eifersucht kann sehr weh tun! Es ist die Angst, dass man selbst schon bald nicht mehr gebraucht wird, ausgetauscht wird, dass man selbst klein und nutzlos ist. Daher wollen wir uns oft in Sicherheit wiegen und versprechen uns Monogamie, um diesem schmerzlichen Gefühl zu entgehen. Ein edler Ansatz, nur leider selten wirklich konsequent durchgeführt.

Ich kenne nur temporäre Beispiele funktionierender Monogamie. Langfristig wirklich wenige. Vielleicht ist es das Scheitern an zu hohen Ansprüchen. Vielleicht sollten wir kleinere Brötchen backen. In der Essenz geht es doch darum, dass wir uns gegenseitig gut tun. Hauptsache wir sind gegenüber uns selbst und dem Partner ehrlich.

Mut zur Wahrheit

In der heutigen Zeit führt ein Seitensprung oder eine „Affaire“ oft zur Trennung. Das liegt daran, dass unser Urvertrauen ineinander verletzt wurde und Eifersucht meist weh tut. Und wer unter euch traut sich schon, seinem Partner zu sagen: „Irgendwie ist unser Sexualleben eingeschlafen“ oder „Ich habe einfach mal Lust, etwas anderes auszuprobieren“?

Auch mir würde sich wohl in der ersten Sekunde der Magen umdrehen, wenn mir aus dem Nichts so eine Frage gestellt würde. Wir glauben doch sehr gern daran, dass wir ewig und nur wir zwei glücklich werden. Mittlerweile fände ich es besser, wenn wir nicht nur unser Herz auf der Zunge tragen würden, sondern auch unsere Lust. Wenn es kein Tabuthema mehr wäre, zu sagen, dass wir eben auch gerne woanders Spaß haben wollen, ohne dass unsere Beziehung wertlos ist.

Ich finde diesen Schritt besser und vor allem mutiger, als es hinter dem Rücken zu tun und sich hinter dem Versprechen von einst zu verstecken. Womöglich machen es auch so manche heimlich, nur um sich selbst dieses Privileg zu ermöglichen, fremd zu wildern. Ziemlich egoistisch. Aber sicher, bevor man sich „außerhalb“ austobt, sollte man doch lieber an der Ursache der Lustlosigkeit in der eigenen Partnerschaft arbeiten, als an den Symptomen. Jedoch ist dies nicht immer möglich, denke ich.

Ich fände es schöner, wenn wir den mutigen Weg des Redens auf uns nehmen, anstatt uns hinter dem Rücken des anderen zu betrügen.

Es liegt mir fern, alle zum freien Rum-Sexen zu animieren. Wirklich guter Sex ist etwas Einzigartiges und sollte bewahrt werden. Ich fände es schöner, wenn wir den schwierigen und mutigen Weg des Redens auf uns nehmen, anstatt uns hinter dem Rücken des anderen zu betrügen oder unsere Beziehung/Familie/Ehe zu ruinieren. Gefolgt von Unzufriedenheit, die wir durch andere Dinge kompensieren.

Ich verstehe, dass wir in vielen Orten noch gar nicht so weit sind und ich habe so oft gemerkt, wie ich mit großen Augen angeschaut wurde und so oft habe ich mich erklärt, um das zu verteidigen, was ich da tat. Ich wünschte einfach, wir wären wirklich frei und würden nicht nur so tun! Als wäre die Monogamie die einzige heilige Madonna und alles andere schlecht und falsch. Allerdings ist auch dies nicht einfach. Wir müssen uns unseren tiefsten Ängsten stellen, mit Eifersucht umgehen usw. Und uns vor allem mit Respekt behandeln.

Doch ich will euch sagen, auch ich finde eine Monogamie – gerade in einer Zeit wie heute – wirklich besonders und wunderbar. Wenn sie echt ist! Und selbst das kann sich nach Jahren auch wieder ändern und das ist okay. Nur habt bitte den Mut und redet darüber! Seid ehrlich und redet über eure Wünsche und Ängste. Dann seid ihr wirklich frei.

Liebt euch frei!

Headerfoto: Ioana Casapu via Unsplash. (Gedankenspiel-Button hinzugefügt.) Danke dafür!

LINUS Traumjäger, Herzmensch und Kreativling.

7 Comments

  • Lieber Linus,

    bin auf deinen Text gestossen beim Rumstöbern. Schön, wie du schreibst! Ich lebe seit ein paar Jahren in offener Beziehung, inzwischen offener Ehe. Leider kenne ich nur sehr wenige andere Paare/Gruppen, die ähnlich leben. Ich weiss auch noch nicht, wie sich unser Beziehungs-System verändert, falls wir mal Kinder haben. Mir persönlich bedeutet die feste Primärbeziehung als Kern noch sehr viel, ich brauche diese Sicherheit, um nebenbei frei zu sein. Richtige Polyamorie sprengt irgendwie noch die Vorstellungskraft.

    Die Eifersucht, die du benennst, die hat meiner Meinung nach aber nicht explizit mit der Öffnung zu tun. Ich denke, dass eifersüchtig veranlagte Menschen auch in monogamen Beziehungen Eifersucht empfinden, auf Arbeitskolleg*innen, Freund*innen, etc. Auf Zeit, die der*die Partner*in mit anderen verbringt. Daran muss man auch arbeiten, wenn man nicht polyamor oder offen lebt.

    Wie du schreibst, am schönsten sind die Gedanken, dass man der anderen Person das Beste wünscht. Und dass Liebe, Zuneigung, Anziehungskraft doch eigentlich einfach wunderschöne Gefühle sind, die man teilen, berichten, bereichern kann.

  • Hi Linus!
    Vielen, lieben Dank für deinen tollen Beitrag! Du sprichst mir aus der Seele und verbalisierst Gedanken, die wohl viele Menschen haben! Auch ich kämpfe immer wieder mit diesem veralteten Lebensstil der Monogamie, auch wenn ich in einer langjährigen Beziehung bin, welche ich sehr schätze! Du ermutigst mich sehr, einige Bedürfnisse offen anzusprechen! Dankeschön!:))

  • Liebe Alexandra, genau das habe ich versucht auch zu sagen. Ich behaupte nicht das die Monogamie wertlos ist. Keines Falls! Und gerade in Zeiten wie heute, wo Ablenkungen und Versuchungen an jeder Ecke warten.

    Und ja es ist eine Gradwanderung.
    Mir geht es wohl hauptsächlich darum, das sich viele selbst belügen und somit betrügen.

  • Ein gelungener Artikel. Ich finde es immer gut, wenn Menschen sich neuen Möglichkeiten gegenüber öffnen.

    Ich selbst helfe dabei bezüglich Polyamorie mit dem Polyamorie Magazin, weil mir selbst vor vierzehn Jahren, als ich unwissend in die Polyamorie hinstolperte, ein paar Anleitungen gut getan hätten.

    Herzliche Grüße, Viktor

  • In einer Zeit, in der alles möglich scheint, fällt es den Menschen immer schwerer sich zu entscheiden. Permanent sind sie auf der Suche nach irgendwas oder irgendwem (ohne genau zu wissen was oder wen sie eigentlich suchen), sind schnell gelangweilt von dem, was sie haben und den Menschen, die sie umgeben. Ich schätze die Tatsache, in einer Zeit zu leben, in der „unkonventionelle“ Lebensstile möglich sind. Jedoch glaube ich auch, dass ECHTE Monogamie, wie du sie nennst, vielleicht wichtiger ist als jemals zuvor. Da sie eben auch die nötige Stabilität verleiht die vielen Menschen fehlt – weil sie sämtliche Möglichkeiten haben und nicht wissen welche sie zuerst nutzen sollen. Es ist eine Gratwanderung.

  • Ein ermutigender Text.
    Mein Partner hat sich langfristig auch eine Öffnung gewünscht und ich bin froh, dass er es gleich von Anfang an kommuniziert hat, mit ähnlichen Argumenten wie Du. Die mich eben überzeugen.
    Nur bin ich leider noch nicht so weit mit meinen Unsicherheiten und Ängsten. Ich arbeite daran…

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